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«Pence ist ein Kreuzritter gegen LGBT-Rechte»

Professor Steenbergen, wie haben Sie die vergangenen 24 Stunden erlebt?
Ich stehe unter Schock, denn bis zwei Uhr morgens war die eigentliche Frage, was bei den US-amerikanischen Senatswahlen passieren würde und nicht bei den Präsidentschaftswahlen. Ich muss sagen, dass ich wirklich schockiert bin, dass Trump Florida für sich entscheiden konnte. Danach wurde es nur noch schlimmer. Keine einzige Wählerumfrage, die ich gesehen habe, hatte dies vorausgesagt. Sogar die gestrige Hochrechnung schrieb Hillary Clinton einen grossen Vorsprung zu.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]«LGBT-Rechte sind ein Bereich, den Trump an Pence abdelegieren wird, da er keine starke Bindung zu diesem Thema hat.» [/perfectpullquote]

 Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz zwischen Wahlprognose und dem tatsächlichen Ergebnis?
Das habe ich mich auch gefragt, ich habe keine Erklärung dafür. Die Trump-Kampagne hatte im Wahlkampf mehrfach betont, dass die Umfrageergebnisse falsch seien, weil sie die Wählerschaft nicht erreichen. Auch eine Studie der Cornell University befand, dass einige Wahlprognosen Trump-Wählende nicht berücksichtigt hätten. Mit einer Fehlerquote aufgrund einer Voreingenommenheit zugunsten der Demokraten habe ich gerechnet, nicht aber, dass diese die Wahlergebnisse massgeblich beeinflusst.
Was in Florida passiert ist und sich in den Bundesstaaten Wisconsin, Pennsylvania und Michigan wiederholt hat, ist eine starke Mobilisierung der Wählerschaft in ländlichen Gebieten. Ich bin mir nicht sicher, ob die Stichprobenbefragung in diesen Gebieten ausreichend war, um der öffentlichen Meinung Rechnung zu tragen. Auch die unabhängigen Parteien haben eine Rolle gespielt, der libertäre Kandidat Johnson und die grüne Kandidatin Stein haben viele Stimmen bekommen. Auch der jüngste Skandal um die Clinton-E-Mails hat viele Wähler dazu bewegt, Stein oder Johnson zu wählen. Dies, obwohl nichts dahinter steckte.


War Hillary Clinton zu polarisierend, um es mit Trump aufzunehmen?
Das ist die Frage. Obwohl es im Nachhinein immer einfach ist, den Kandidaten oder die Kandidatin verantwortlich zu machen. Ich würde sagen, die Schuld liegt beim FBI für die Veröffentlichung der E-Mails. Es hat Clinton an den Wahlurnen geschadet.

Was bedeutet eine Trump-Pence-Regierung für LGBT-Menschen in den USA?
Es sind schlechte Nachrichten. Der zukünftige Vizepräsident Pence hat sich als Gouverneur des Bundesstaats Indiana als konservativer Hardliner bewiesen. Er hat eine religiös motivierte Gesetzesvorlage durchgebracht, die es Unternehmen und Privatpersonen ermöglicht,  LGBT-Menschen aus religiösen Gründen zu diskriminieren.
LGBT-Rechte sind ein Bereich, den Trump wahrscheinlich an Pence delegieren wird, da er keine starke Bindung zu diesem Thema hat. Wir können also mit grossem Widerstand auf Bundesebene rechnen, wahrscheinlich auch auf Bundesstaatsebene, da viele Anliegen auf diesem Level behandelt wurden – etwa die Öffnung der Ehe.
Es hat Bestrebungen auf der Bundesstaatsebene gegeben, solche Gesetze rückgängig zu machen. Zudem muss ein Sitz am Obersten Gericht neu besetzt werden. Es wird ein konservativer Richter sein. Man wird bestehende LGBT-Gesetze anfechten. Für einzelne Bundesstaaten wird es sehr schwierig sein, LGBT-Rechte auszubauen.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]«Egal, welche persönlichen Überzeugungen Trump in Bezug auf LGBT-Rechte hat, er wird sie beiseite schieben.» [/perfectpullquote]


Pence hat damit gedroht, LGBT-Rechte rückgängig zu machen. Wie wahrscheinlich ist es, dass er seine Drohung wahr macht?
Pence darf nicht unterschätzt werden. Auf diesem Gebiet hat er sich als Kreuzritter bewiesen und er sieht es als seine Priorität. Er unterstützt sogenannte «Religious Freedom Bills», die es gewöhnlichen Menschen ermöglichen, LGBT-Menschen zu diskriminieren. Widerstand vom Kongress wird er keinen haben, da dieser ihm zustimmt. Der Senat ist in diesen Fragen gemässigter, aber es wird eine Mehrheit geben, die ihn unterstützt.

Im Wahlkampf hält Donald Trump die Regenbogenfahne hoch – verkehrt, wohlgemerkt. (Bild: via advocate.com)
Im Wahlkampf hält Donald Trump die Regenbogenfahne hoch – verkehrt, wohlgemerkt. (Bild: via advocate.com)

Vor zwei Wochen hat Trump an einer Wahlkampfveranstaltung noch die Regenbogenfahne geschwenkt. War das nur ein Publicity Stunt oder ist Trump wirklich ein Unterstützer von LGBT-Rechten?
Auf einer persönlichen Ebene womöglich schon, aber ich denke nicht, dass er starke Überzeugungen hat. Zudem ist sein Handlungsspielraum zum jetzigen Zeitpunkt stark eingeschränkt. Seine Wählerschaft stammt zum grossen Teil aus ländlichen, sehr konservativen Gegenden und nimmt dieses Thema sehr ernst. Sie wird nicht tatenlos zusehen, wenn er sich für LGBT-Rechte ausspricht. Auch sein Vizepräsident und der US-Kongress werden das nicht gutheissen. Egal, welche persönlichen Überzeugungen Trump in Bezug auf LGBT-Rechte hat, er wird sie beiseite schieben.
Ich sehe die Wahl von Trump und Pence als grossen Rückschritt. Der Fortschritt, der gemacht wurde, wird zu einem gewissen Grad wieder rückgängig gemacht werden. Die gute Nachricht ist aber, dass Menschen wie Pence auf der falschen Seite der Geschichte stehen wenn es um LGBT-Rechte geht. Viele junge Wählerinnen und Wähler, auch aus dem republikanischen Lager, haben sich dafür ausgesprochen. Fürs Erste müssen wir wohl mit diesen Begleiterscheinungen leben.

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Marco Steenbergen ist Professor für Methoden der Politikwissenschaft an der Universität Zürich. Amerikanische Politik, Öffentliche Meinung sowie Machtausübung und Herrschaft gehören zu seinen Fachgebieten.


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