Wie LGBT-freundlich ist der neue Bundesrat?
Seine Grosseltern sind in die Schweiz eingewandert. Bevor sein Vater in der Versicherungsbranche tätig war, arbeitete er als Bauer. Seine Mutter kümmerte sich um den Haushalt. Noch bei der Geburt hatte Cassis die italienische Staatsbürgerschaft. Mit der Einbürgerung im Jahr 1976 musste er seinen italienischen Pass abgeben. Später wurde er schweizerisch-italienischer Doppelbürger. Doch im Rahmen seiner Bundesratskandidatur verzichtete er schliesslich wieder auf die italienische Staatsbürgerschaft. Cassis studierte Medizin an der Universität Zürich und spezialisierte sich anschliessend in Innerer Medizin und Public Health.
Der Tessiner ist im Bundeshaus kein Unbekannter. Der 56-Jährige politisiert schon zehn Jahre in Bundesbern. Er gelangte im Juni 2007 als Nachfolger der in die Tessiner Regierung gewählten Laura Sadis in den Nationalrat und wurde 2011 und 2015 wiedergewählt. Kurz darauf gewann er in einer Kampfwahl gegen Christian Wasserfallen und wurde zum Fraktionspräsidenten der FDP-Bundeshausfraktion gewählt.
Stimmverhalten im Parlament Cassis Abstimmungsverhalten im Parlament in den letzten Jahren ist unklar zu deuten. In einem der wichtigsten Geschäfte für LGBT, der Erweiterung der Rassismus und Diskriminierungsstrafnorm um die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidenität, enthält er sich seiner Stimme. Bei der Ehe für alle oder dem Zugang zum Adoptionsverfahren auch für LGBT drückte er im Parlament den JA-Knopf.
Einer, der mit dem neuen Bundesrat bereits mehrmals zusammengearbeitet hat, ist der schwule Nationalrat Hans-Peter Portmann. Er sagt, dass Cassis «durch und durch liberal» sei und «unserer Community freundschaftlich nahe» stehe. «So war er zum Beispiel bereits in den 80er-Jahren im Tessin ein Vorkämpfer zur Betreuung und Integration von HIV- und Aidskranken Menschen», so Portmann. Auch sieht er ihn als Verbündeter für LGBT-Anliegen, denn er habe ihn in seiner Funktion als Fraktionschef in LGBT-Anliegen stets unterstützt «und mir geholfen, bei entsprechenden Abstimmungen im Parlament unsere Parteimitglieder vollständig von meinen Anträgen zu überzeugen.».
Der zweite schwule Nationalrat im bürgerlichen Lager, Hans-Ueli Vogt von der SVP, kennt den neuen Bundesrat in Sachen LGBT zu wenig: «Ich weiss schlicht nicht, wo er bei diesen Themen persönlich steht.». Und der schwule SP-Nationalrat Martin Naef ordnet Cassis als «gesellschaftspolitisch aufgeschlossen» ein.
Erwartungen der Community sind hoch Für die Schweizer LGBT-Dachverbände ist der neue Bundesrat noch Neuland. Pink Cross, der Schweizer Dachverband der Schwulen, stützt sich ebenfalls lediglich auf sein bisheriges Abstimmungsverhalten: «Während der heutige Bundesrat Cassis zwar zentrale Anliegen wie etwa die Stiefkindadoption oder auch die Fristverlängerung der parlamentarischen Initiative Ehe für alle als Nationalrat befürwortet hatte, scheint er der Erweiterung der Antirassismus-Strafnorm weniger Bedeutung beizumessen. Allerdings könnte die Enthaltung bei der Abstimmung dieses Geschäfts als Abweichung der vorherrschenden Parteimeinung interpretiert werden, zumal er im Jahr 2009 bei der Motion von Nationalrat Jositsch mit dem gleichen Ziel noch ein Nein eingelegt hatte.», sagt Geschäftsleiter René Schegg. «Ich erhoffe mir von Ignazio Cassis ein verstärktes Auftreten für LGBT-Rechte und den Mut, sich auch gegen die Parteimeinung zu stellen, gerade etwa bei der Erweiterung der Antirassismus-Strafnorm.» Er erhofft sich, «dass mit dem neuen Bundesrat der links-liberale Flügel der FDP gestärkt wird, da dieser erfahrungsgemäss sich stärker für Schwulenrechte stark macht.».
Auch die Mediensprecherin von Transgender Network Switzerland, Janna Kraus, erhofft sich «eine produktive und positive Zusammenarbeit und ein offenes Ohr für Anliegen der LGBT+ Gemeinschaft.».
Die Lesbenorganisation Schweiz hat sich auf die Anfrage der Mannschaft nicht geäussert.
Schweigen des Bundesrates Nicht äussern will sich auch der Bundesrat selbst. Auf die Fragen der Mannschaft, wie er selber zu LGBT-Themen steht, antwortet die Kommunikationsabteilung der Bundeskanzlei: «Herr Cassis hat in den letzten Tagen und Wochen viele Interviews gegeben und war in den Medien sehr präsent. Mit der Departementsverteilung wird er sich den Aufgaben und Dossiers des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten widmen und sich bis auf Weiteres auf diese Tätigkeit konzentrieren.»
Auf die Nachfrage, wie sich der neue Bundesrat denn zu genau diesen aussenpolitischen Fragen wie der offiziellen Haltung der Schweiz zur Einhaltung der Menschenrechte, der Verfolgung von LGBT in anderen Ländern, den Gesprächen mit diplomatischen Vertretungen, den geflüchtete LGBT-Menschen oder dem Druck auf Gremien zur Einhaltung und Wahrung des Schutzes von LGBT stellt, äussert sich die Bundeskanzlei – mit Schweigen.
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