Vom Verfolger zum Partner der LGBTIQ-Community
Das Misstrauen der Polizei gegenüber sitzt teilweise noch tief
Fast täglich werden Mitglieder der LGBTIQ-Gemeinde beschimpft und verprügelt – die Zahlen sind seit Jahren auf einem hohen Niveau. Dabei wird ein Grossteil der Übergriffe gar nicht zur Anzeige gebracht. Die Polizei versucht das in Zusammenarbeit mit der Community zu ändern – je nach Bundesland mit sehr unterschiedlichem Eifer.
München, Mai 2017: Beim Verlassen einer Bar wird Gregor von drei Männern angepöbelt. «Bist du eine Scheissschwuchtel?» Einer schlägt Gregor krankenhausreif: Die Platzwunde am Auge muss genäht werden, der zertrümmerte Bereich unter dem Auge wird in einer aufwendigen OP wiederhergestellt.
Berlin, November 2017: Dan und sein Freund werden am Alexanderplatz von zwei junge Männern als «Schwuchteln» beschimpft, einer der Männer schlägt mit der Faust zu, zückt schliesslich sogar ein Messer. Das Paar rennt um sein Leben. Dan erleidet eine Gehirnerschütterung, kommt mit einem geschwollenen Auge und einer angebrochenen Nase davon.
Es gibt noch viel Misstrauen gegenüber der Polizei.
Zwei Beispiel von Gewalt gegen Schwule in Deutschland. Da die Männer in beiden Fällen Anzeige erstatteten, werden diese Vorfälle in die Statistik einfliessen, die das Bundesinnenministerium jedes Jahr veröffentlicht. Die Zahlen für 2017 werden offiziell in der ersten Maiwoche bekanntgegeben, im Vorfeld des Internationalen Tags gegen Homo-, Bi- und Transphobie «IDAHOT» am 17. Mai. Aber das Ministerium liess uns vorab schon wissen, dass sich die Zahlen im Vergleich zu 2016 nicht signifikant verändert haben: Homo- und transphobe Gewalt bleibt ein ernstes Problem. Zudem lässt die Entwicklung der Vorjahre kaum auf eine Verbesserung für queere Menschen hoffen. Wurden bis 2007 pro Jahr Fälle von Hasskriminalität aufgrund von sexueller Orientierung beziehungsweise geschlechtlicher Identität in zweistelliger Höhe registriert, stieg die Zahl 2008 auf 110 Fälle (2007 waren es 63). Im Jahr 2016 lag sie schon fast dreimal so hoch, bei 316. Die meisten Täter sind Männer, in der Regel bereits vorbestraft.
Das Misstrauen sitzt oft noch tief Binnen 15 Jahren haben sich die gemeldeten LGBTIQ-feindlichen Übergriffe in Deutschland also mehr als versechsfacht. Und trotzdem muss man diese Zahlen noch mit Vorsicht geniessen, denn längst nicht alle Straftaten werden angezeigt. Experten gehen von einer Dunkelziffer aus, die bei 80 % oder noch höher liegt. Einer der Gründe: Ältere queere Menschen erinnern sich noch gut an die Zeiten, als die Polizei nicht ihr Freund und Helfer war, sondern der Gegner. Paragraph 175, der Homosexualität unter Strafe stellte, wurde in Deutschland erst im Jahr 1994 abgeschafft. Auch wenn sich die Polizei mittlerweile «vom Verfolger zum Partner» der Community entwickelt hat, wie es der ehemalige Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt mal ausgedrückt hat, sitzt das Misstrauen teilweise noch tief.
Um das Verhältnis zur Community zu verbessern, hat die Polizei fast überall in Deutschland sogenannte Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen AGL geschaffen. Je nach Bundesland gibt es aber grosse Unterschiede. Nur in zwei Stadtstaaten sind diese LGBTIQ-Kontaktstellen als Full-Time-Job angelegt: Die Berliner Polizei hat schon seit über 26 Jahren zwei hauptamtliche AGLs, 2012 zog die Staatsanwaltschaft nach. Hamburg hat seine polizelichen Ansprechpersonen im Sommer 2016 zu zwei hauptamtlichen Ämtern ausgebaut.
Zwei von drei Sachsen finden Homosexualität unnatürlich In Sachsen wiederum gibt es gar keine. Dort stehen als Ansprechpartner bei LGBTIQ-Themen die Gleichstellungsbeauftragten sowie die Personalreferate der Dienststellen zur Verfügung. «Das Anliegen wird auch von den Personalvertretungen aufgegriffen», teilt uns die sächsische Polizei auf Anfrage mit. Halbherziger kann man das Thema Hassgewalt kaum angehen. Dabei ist Homophobie in Sachsen stark verbreitet: Laut «Sachsen-Monitor» 2017, bei dem das Institut dimap im Auftrag der Staatskanzlei den Menschen im Freistaat auf den Zahl fühlt, halten 36 % der Befragten homosexuelle Beziehungen für «unnatürlich».
Fast überall sonst in der Republik sind Polizisten immerhin nebenamtlich als LGBTIQ-Kontaktperson tätig. In Bremen beispielsweise, wo es dieses Amt erst seit 2015 gibt, steht den beiden AGL durchschnittlich ein Tag pro Woche zur Verfügung. Nebenamtliche Ansprechpartner berichten übereinstimmend, dass ihre Zeit oft nicht ausreicht und viel Eigeninitiative nach Feierabend gefragt ist. Sachsen-Anhalt könnte als nächstes daraus eine Lehre ziehen und das Amt zu einem hauptamtlichen aufwerten, das sieht der Koalitionsvertrag von CDU, SPD und Grünen vor; es kann allerdings noch zwei Jahre dauern.
Amt im Präsidium eingefordert In Brandenburg ist Polizeioberkommissar Marco Klingberg (47), im Hauptamt tätig als Einsatzbearbeiter im Einsatz- und Lagezentrum bei der Notrufannahme und –bearbeitung, schon seit 2005 der zuständige nebenamtliche AGL. Zuvor hatte das damalige Polizeipräsidium Frankfurt/Oder eine Ansprechperson benannt und Klingberg fand, das dies auch im Polizeipräsidium Potsdam angebracht sei und forderte das Amt bei der Polizeiführung ein. Ihm waren Fälle von Diskriminierung innerhalb der Behörde bekannt, dazu kamen Übergriffe auf Mitglieder der LGBTIQ-Gemeinde in Brandenburg. Das Präsidium liess sich überzeugen und machte den Weg frei für das Amt – wohl auch zu, weil man damals «politisch gut dastehen wollte», sagt Klingberg.
Als Kontaktperson im Polizeipräsidium wirkt er sowohl nach innen wie auch nach aussen. Wenn Menschen Opfer einer homo- oder transphoben Straftat werden, aber sich nicht trauen, Anzeige zu erstatten, dann unterstützt er sie dabei. Umgekehrt kann sich der Sachbearbeiter, der eine Anzeige aufnimmt, mit Fragen an ihn wenden. Bei Ermittlungen im Zuge von Straftaten ist Klingberg nicht eingebunden.
Dafür arbeitet er im Bereich Opferschutz mit verschiedenen Vereinen zusammen und klärt auf: Was passiert, wenn eine Anzeige erstattet wurde? Oder er bereitet Kollegen darauf vor, wie sie sich verhalten sollten, wenn sie es mit Fällen von häuslicher Gewalt in schwulen oder lesbischen Beziehungen zu tun bekommen.
Versteckspiel seit über 20 Jahren Manchmal suchen Kollegen das Gespräch mit ihm, die es nicht wagen, sich in der Behörde zu outen. Klingenberg erzählt von einem Polizisten, der sich eine zweite Biographie zu seinem eigentlichen Leben aufgebaut hat. Seit Mitte der Neunzigerjahre geht sein Versteckspiel schon, und nun glaubt er, nicht mehr zurückzukönnen: Er hat Angst, als unglaubwürdig zu gelten, weil er den anderen so lange etwas vorgemacht hat.
Mit dem Coming-out war eine Last von mir genommen
Klingberg versucht dem Kollegen zu helfen. «Nicht indem ich ihm zum Coming-out überrede, das muss jeder Kollege selber entscheiden.» Aber Ratschläge kann er ihm geben und ihm aufzeigen, wie er selbst als geouteter Polizist lebt und arbeitet, ohne ausgegrenzt zu werden.
Als Klingberg 1989 bei der Polizei anfing, war er selbst noch ungeoutet. Aber nach kurzer Zeit war es ihm lästig, sich immer wieder etwas einfallen zu lassen, was er den Kollegen erzählen könnte, das er am Wochenende unternommen habe. Ausserdem wollte er seinen Freund nicht länger verleugnen. 1992 outete er sich schliesslich. «Eine Last war von mir genommen», erinnert er sich. Die Kollegen nahmen es positiv auf, offene Diskriminierung bei der Polizei hat er nicht erlebt. Andere Kollegen können das nicht von sich behaupten. Blöde Kommentare muss sich der eine oder die andere immer noch anhören. Auch sowas ist ein Fall für den Ansprechpartner.
Wie umgehen mit trans Kolleg*innen? Vor einigen Jahren hat Klingberg mal einen transsexuellen Kollegen unterstützt, der von der Fachhochschule in den Schutzdienst wechselte, um in einer Polizeiwache zu arbeiten. Der Stab des Schutzbereiches schrieb ihn damals an: Man wisse nicht, ob man den neuen Kollegen integrieren könne. Dass man es konnte, dabei half AGL Klingberg. Der damalige Leiter des Schutzbereiches hatte ursprünglich vor, alle Kollegen vorab zu informieren, dass sie einen trans Mann als Kollegen bekämen. Klingberg intervenierte: Das macht der Neue selber, wenn er bereit ist. Auch wollte man ihm einen eigenen Raum einrichten, wo er sich umziehen sollte. Kommt nicht in Frage, stellte Klingberg klar: Der zieht sich bei den Männern um.
Für ein Coming-out muss sich jeder Kollege selber entscheiden.
20 bis 30 % seiner Arbeitszeit widmet er LGBTIQ-Fragen. Die Zeit reicht aber nicht, sagt er. Wenn er Beratungstermine wahrnimmt, macht er das ausserhalb seiner üblichen Dienste oder an freien Tagen. Das kann er sich zwar als Dienstzeit gutschreiben lassen. Aber ideal, sagt Klingberg, wäre eine hauptamtliche Stelle. Zumal seine Stelle noch nicht sehr publik in Brandenburg ist, findet Klingberg. Das sei das Problem, wenn man es im Nebenamt macht, da könne man nicht sehr präsent sein.
In Hamburg hat man das erkannt und im Sommer 2016 Tatsachen geschaffen. Dort ist Christine Osbahr (52) eine von zwei hauptamtlichen Kontaktpersonen. Seit 1996 bei der Hamburger Polizei, war sie zuvor unter anderem in der Drogenprävention tätig, im Jugendschutz und im Reviervollzugsdienst in St. Georg. Als Ansprechpartnerin für gleichgeschlechtliche Lebensweisen sieht ihr Aufgabenfeld ähnlich aus wie bei ihrem Kollegen in Brandenburg: Die lesbische Polizistin hilft Opfern von Straftaten bei der Aufnahme von Anzeigen und vermittelt sie an Opferhilfegruppen und Beratungsstellen, hält Vorträge an der Polizeiakademie zum Thema Hasskriminalität etc. Sie wird aber auch bei Bedarf bei Ermittlungen einbezogen. Wie im Fall zweier älterer Herren, seit über 40 Jahren ein Paar, die in der Seniorenwohneinrichtung, wo sie leben, massiven homophoben Beschimpfungen ausgesetzt waren. Andere Bewohner beleidigten die Männer immer wieder, was sich schliesslich auch auf die Gesundheit der beiden ausgewirkt habe. Osbahr und ihre Kollegen nahmen Anzeigen auf und sprachen mit den Betreibern der Anlage. «Das ging mir wahnsinnig zu Herzen, aber jetzt haben die beiden Ruhe.»
Mit offenen Armen und offenem Geist Osbahr ist froh, dass man in Hamburg einen proaktiven Ansatz verfolgt und die Ämter der Ansprechpartner von zuletzt vier halben Stellen auf zwei ganze Stellen ausgebaut hat. Es geht nur so, sagt sie und erklärt: «Veranstaltungen von Opferhilfen oder Beratungsstellen, an denen man als AGL teilnimmt, finden oft am Abend statt und dauern vielleicht auch etwas länger. Dann kann man nicht am nächsten Morgen um 5 Uhr im Streifenwagen sitzen. Oder wenn man gerade zu einem Einsatz unterwegs ist und das LGBTIQ-Handy klingelt, dann lässt man es klingeln. Das schafft nicht gerade Vertrauen, wenn dann Menschen vergeblich anrufen.»
Dabei wirbt sie als Ansprechperson genau dafür – für Vertrauen. «Ich will der Community zeigen: Es gibt bei der Polizei eine Stelle, wo ihr mit offenen Armen und einem offenen Geist empfangen werdet und wo ihr ohne Vorbehalte oder Ängste haben zu müssen Anzeige erstatten könnt.»
Und das kommt an. Die Rückmeldungen, die sie erhält, machen sie stolz: «Seit Sie diesen Job machen, ist das Verhältnis zwischen Polizei und Community so gut, wie lange nicht mehr», sagt man ihr. Auch beim queeren Beratungs- und Begegnungszentrum Magnus- Hirschfeld-Centrum geniesst sie einen hervorragenden Ruf: «Zu der Osbahr kannste gehen», heisst es dort.
Rückendeckung des Polizeipräsidenten Wichtig für den Ausbau der Ansprechpartner war der Rückhalt des Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer, den Osbahr ausdrücklich lobt. Schliesslich ist das Personal wie überall bei der Polizei knapp, und dass die AGL aufgestockt wurden, findet sie «grossartig». Meyer sei auch der erste Polizeipräsident Deutschlands gewesen, der auf der CSD-Parade mitgelaufen ist und der auch jedes Jahr dafür sorgt, dass zum Christopher Street Day die Regenbogenfahne am Präsidium gehisst wird.
Osbahr würde es begrüssen, wenn es in Deutschland mehr Ansprechpartner gäbe, die im Hauptamt tätig sein können. Die mit derselben Präsenz und Sichtbarkeit wie sie selbst für ein besseres Miteinander zwischen Polizei und Community sorgen. Und dass es für Polizisten, die dieses Amt ausüben, festgelegte Standards gibt, wünscht sich Osbahr. Im Moment hängt noch viel an der Eigeninitiative und der Kreativität der jeweiligen Polizisten. Auch eine Art zusammenfassende Organisation gibt es übrigens nicht: So fanden bisher erst zwei Bundesreffen der polizeilichen Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweisen statt – das letzte war Ende 2014 in Bremen.
Die meisten Geflüchteten kennen Polizei aus ihrer Heimat nur als Verfolgungsorgan, da ist die Anzeigebereitschaft nochmal niedriger
Marco Klingberg aus Brandenburg ist optimistisch, dass sein Amt aufgewertet und vielleicht ebenfalls zu einem hauptamtlichen ausgebaut wird. Die Landesregierung hat Ende 2017 den «Aktionsplan für Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, für Selbstbestimmung und gegen Homo- und Transphobie in Brandenburg» beschlossen und will künftig LGBTIQ-Themen in der Aus- und Weiterbildung bei der Polizei besser umsetzen und die Gewaltprävention angehen.
Für viele Massnahmen fehlt die Zeit Vorerst bleibt Klingberg oft nur der Konjunktiv. In Bereichen, wo sich Kriminalität häuft, könnte man sich mit anderen Verbänden zusammenschliessen, etwa in Fussballvereinen. Denn wenn bei Spielen Banner mit homophoben Sprüchen gezeigt werden, ist das ist eine Straftat. Leider fehlt die Zeit, das umzusetzen. Auch beim Thema Gewalt gegen queere Flüchtlinge müsste man etwas unternehmen. «Die meisten kennen Polizei aus ihrer Heimat nur als Verfolgungsorgan, da ist die Anzeigebereitschaft nochmal niedriger», sagt Klingberg. Damit sein Amt ausgebaut wird, müsste es auch die Community einfordern, findet er. Das wäre auch Aufgabe der queeren Szene, findet der Polizist. «Wenn ich es allein fordere, wird es wahrscheinlich nicht passieren.»
Und es ist wichtig, dass Opfer von Straftaten zur Polizei gehen oder sich an die jeweiligen LGBTIQ-Ansprechpartner wenden. Denn wenn Gewalttaten gegen Schwule oder Transpersonen nicht angezeigt werden, können Übergriffe auch zukünftig schwer verhindert werden, weil sich die Täter in Sicherheit wiegen und weitere Straftaten ohne Angst vor Strafverfolgung begehen können.
Die Aufklärungschancen sind grösser, wenn unmittelbar nach der Tat Anzeige erstattet wird.
Ein Problem ist allerdings auch, dass ein Grossteil gar nicht aufgeklärt wird – in Deutschland gelingt das nur bei jedem dritten Fall von LGBTIQ-feindlicher Gewalt. Das liegt zwar über dem Durchschnitt, reicht aber natürlich bei weitem nicht. In der Hauptstadt wurden in der Vergangenheit im Schnitt sogar 40 % der Fälle aufgeklärt, was vergleichsweise hoch ist, auch gemessen an der Anonymität der Grossstadt, findet Ines Karl. Die Berliner Oberstaatsanwältin ist zusammen mit einem Kollegen als LGBTIQ-Ansprechpersonen bei der Staatsanwaltschaft tätig; in einer europaweit einzigartigen Spezialabteilung, die Hasskriminalität gegen Homo- und trans Menschen verfolgt.
Anzeigen, anzeigen, anzeigen! Warum bei einem Grossteil der Fälle kein*e Täter*innen ermittelt wird bzw. die Ermittlungen eingestellt werden, hat laut Karl unterschiedliche Gründe: Entweder man kann einem Täter die Tat nicht nachweisen etwa wenn Aussage gegen Aussage steht oder wenn die Erinnerung an die Tat durch Alkohol oder andere Substanzen getrübt war. Manche Anzeigenden hätten laut Karl auch psychische Probleme, sodass ihren Angaben nicht immer ohne Weiteres gefolgt werden kann. Wichtig ist aber, nach einer Straftat zur Polizei zu gehen. «Die Aufklärungschancen sind grösser, wenn unmittelbar nach der Tat Anzeige erstattet wird, dann greift die Spurensicherung oder eine eventuellen Videoauswertung in öffentlichen Verkehrsmitteln», sagt Ines Karl und empfiehlt: «Anzeigen, anzeigen, anzeigen – auch um Serientäter*innen zu erkennen und zu ermitteln.»
Ein Land im Dornröschenschlaf
In der Schweiz wird nicht erfasst, wenn LGBTIQ-Menschen diskriminiert oder Opfer von Gewalt werden. Dabei hatte der Bundesrat in Bern im August 2015 auf die Anfrage der BDP-Politikerin Rosmarie Quadranti geantwortet, er halte es für wichtig, «Minderheiten zu schützen und die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung, namentlich aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität, zu fördern». Diskriminierende Handlungen gegen LGBTIQ seien sicherlich verbreitet, es fehlten aber Zahlen, um dies zu belegen. Wörtlich hiess es: «Der Bundesrat erachtet es als sinnvoll, ‹Hate Crimes› zu erfassen und entsprechende Daten zu veröffentlichen.» Passiert ist aber nichts. Wie Recherchen der Newsplattform «Watson» im vergangen Jahr ergaben, ist die Einführung einer solchen Statistik vom Tisch. Eine Mehrheit der Kantone habe sich dagegen ausgesprochen, wie das zuständigen Bundesamt für Statistik (BFS) mitteilte. Einer der Gründe: «ein ungünstiges Aufwand-Ertrag-Verhältnis». Anders ausgedrückt: lohnt sich nicht!
Die Schweiz, so konstatiert die «LGBT+ Helpline», eine Meldestelle für homo- und transphobe Gewalt, befinde sich in «einem Dornröschenschlaf», weil man davon ausgeht, dass Diskriminierung und Gewalt gegen LGBTIQ-Menschen gar nicht stattfindet. Dem widersprechen verschiedene nicht respräsentative Umfragen: So wurde 2012 anlässlich einer Diplomarbeit über Hassgewalt eine Umfrage unter 261 LGBTIQ-Personen durchgeführt. Drei von vier Befragten waren schon mal belästigt oder beleidigt worden. Weiteres Ergebnis: Fast jeder dritte Homosexuelle fühlt sich nicht sicher, von den trans Personen sagen das sogar über 70 %. Laut einer Umfrage zur Zürich Pride in 2016 sind zwei von drei LGBTIQ-Menschen in den letzten zwölf Monaten schon einmal Opfer von Beleidigung, unterlassener Hilfeleistung oder Gewalt gewesen.
In Ermangelung offizieller Statistiken bauen nun mehrere LGBTIQ-Organisationen eine Plattform auf, um trans- und homophobe Hassverbrechen statistisch zu erfassen. LGBTIQ-Ansprechpersonen bei der Polizei gibt es in der Schweiz ebenfalls nicht; darum verfolgt die queere Polizistenorganisation PinkCop den Ansatz, Polizist*innen zu sensibilisieren und sie zu schulen.
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