«Viele Menschen fragen wieder, ob homosexuell normal sei»
Eine überzeugte Europäerin und Verfechterin von LGBTIQ-Rechten im Interview
Katarina Barley (SPD) ist Vizepräsidentin des EU-Parlaments. Der gesellschaftliche Rollback etwa in Bezug auf Homosexualität macht ihr Sorgen.
Was Katarina Barley über die Entwicklung von Gleichberechtigung und Selbstbestimmung in Europa erzählt, klingt, als spräche die Vizepräsidentin des EU-Parlaments über einen Mafia-Film: «Es gibt Hunderte Organisationen weltweit, grössere und kleinere, die gegen Gleichberechtigung, gegen Menschenrechte und gegen den demokratischen Staat kämpfen», warnt Katarina Barley in der aktuellen Emotion (Ausgabe 3/2022).
Die überzeugte Europäerin und Bürgerrechtlerin sagt: «Bei der Finanzierung spielen US-amerikanische Evangelikale und russische Oligarchen eine grosse Rolle, auch wenn die Geldströme oft undurchsichtig sind.» Schon während ihrer Zeit in der Bundespolitik hat sich die Juristin entschieden für die Rechte von Frauen und Familien stark gemacht und für Diversität eingesetzt. Das setzt sie seit 2019 auf europäischer Ebene fort.
Hinter der Untergrabung demokratischer Rechte stecke ein gemeinsames Ziel: «Diese Netzwerke wollen Familie und Kirche wieder zu den einzigen Instanzen machen, die darüber entscheiden, wie wir unser Leben gestalten.» Systematisch und oft mit Erfolg arbeiteten sie daran, ihre fundamental-religiöse Agenda zu verbreiten. «Sie versuchen beispielsweise, Empfängnisverhütung, Abtreibung und gleichgeschlechtliche Beziehungen zu kriminalisieren – meist unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Kinderschutzes», sagt die Politikerin.
Die Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen (MANNSCHAFT berichtete) führt sie als Beispiel für die erfolgreiche Beeinflussung der Politik durch solche Netzwerkarbeit an: «Diese Verschärfung wurde von einer ‚Bürgerinitiative‘, einer Pro-Life-Stiftung, vorangetrieben. Hinter der aber stand Ordo Iuris, ein katholisch-fundamentalistisches Jurist*innenkollektiv.» Das Kollektiv versende zum Beispiel massenhaft E-Mails mit tendenziösen Botschaften. «Es geht darum, Menschen zu beeinflussen, die eigentlich gar nicht gegen Gleichberechtigung sind, und damit die gesamtgesellschaftliche Stimmung zu verändern», erklärt Barley.
Ich finde es zum Beispiel erschreckend, wie viele Menschen wieder fragen, ob Homosexualität normal sei.
«Auch bei uns in Deutschland dreht sich der Wind. Ich finde es zum Beispiel erschreckend, wie viele Menschen wieder fragen, ob Homosexualität normal sei, und denken, dass sich diese über Konversionstherapie ‚heilen‘ liesse. AfD-Politiker*innen bezeichnen Aufklärung als ‚Frühsexualisierung‘, die man am besten unter Strafe stellen solle. Ganz im Sinne der religiösen Fundamentalist*innen», so die SPD-Politikerin.
Letztes Jahr hatte sie gefordert, Ungarn und Polen sollten EU-Gelder gesperrt werden angesichts ihrer «Defizite bei den demokratischen Prinzipen» (MANNSCHAFT berichtete).
Die beste Waffe im Kampf gegen solche rückschrittlichen Botschaften ist ihrer Meinung nach so schlicht wie effizient, nämlich sich gut zu informieren – zuerst sich selbst und dann laut und deutlich andere, zum Beispiel über soziale Medien. Zudem sollte sich politisches Engagement nicht in Detailfragen verzetteln. «Wir haben einen gemeinsamen Gegner, der ist extrem mächtig und extrem reich. Dieser Gegner steckt uns alle in einen Sack und haut drauf.» Man müsse gemeinsam dafür eintreten, dass er nicht demokratische Grundfeste einschlage.
Das könnte dich auch interessieren
Community
«Wegen Krankheit»? – Warum der Dyke March abgesagt wurde
Was als Berliner Marsch für Lesben begann, ist heute Symbol der Spaltung
Von Sören Kittel
Lesbisch
Politik
Pride
Europa
Von der Leyen fordert Durchführung der Budapest Pride
Bei der Budapest Pride am Samstag drohen Teilnehmenden Strafen. Die EU-Kommissionspräsidentin stellt sich hinter die verbotene Parade.
Von Newsdesk/©DPA
News
Pride
Sport
Pro LGBTIQ: FC Bundestag will weiter ohne AfD-Abgeordnete kicken
Von Newsdesk/©DPA
Queerfeindlichkeit
News
Politik
Deutschland
Nimm dies, Julia Klöckner! Bayern hisst zum CSD Regenbogenflagge
Die Bundestagsverwaltung hat die Teilnahme ihrer queeren Mitarbeitendengruppe am CSD Berlin zurückgezogen. Zudem soll zum CSD vor dem Bundestag keine Flagge wehen. In Bayern entscheidet man das queerfreundlicher.
Von Newsdesk Staff
News
Pride