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Wenn der Sugardaddy mit dem Toy Boy …

Gegenüber Paaren mit grossem Altersunterschied bestehen oft Vorurteile. Das kann dazu führen, dass reife Beziehungen zwischen erwachsenen Menschen unberechtigterweise entwertet werden.

Samstagvormittag, zehn Uhr. Etwas verschlafen schlurfe ich durch den Supermarkt, als mir in der Teigwarenabteilung ein aparter Mittfünfziger entgegenkommt. Neben ihm geht ein junger Mann, der Mitte zwanzig sein dürfte. Die beiden unterhalten sich miteinander, lächeln. «Wie schön», denke ich mir. Vater und Sohn, harmonisch beim gemeinsamen Einkauf. Ich drehe mich nach links zum Regal, um mir eine Packung Spaghetti zu schnappen. Da sehe ich aus den Augenwinkeln, wie der Jüngere dem Älteren zärtlich die Hand auf den Unterarm legt und ihn kurz auf den Mund küsst, bevor er leichtfüssig zur Käsetheke trabt. Für einen Sekundenbruchteil bin ich irritiert, dann wird mir klar: Das ist kein Vater-Sohn-Gespann, das ist ein Paar! Und bevor ich mich dagegen wehren kann, beginnt es, das Klischeekopfkino. Auf die Plätze, fertig, los: Der Alte hat die Kohle und leistet sich einen jungen Gespielen. Dieser wiederum lässt sich aushalten, kriegt gegen Sex sein Studium oder das Partywochen­ende in Sitges finanziert. Oder er hat einen Vaterkomplex und wirft sich deshalb an die graubehaarte Brust.

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Ungefähr so lauten sie, die gängigsten Vorurteile gegenüber generationsübergreifenden Paaren. Einer, der diese Stereotype nur allzu gut kennt, ist Clint. Er ist dreissig, sein Freund Anfang Fünfzig. Auf tommoon.net erzählt er, wie die Leute immer wieder die unterschiedlichsten Vermutungen zu ihrer Beziehung anstellen. «In der Regel nehmen sie an, mein Partner sei wohlhabend und komme für meinen Lebensunterhalt auf – das nervt!», so Clint. «Ich bin ein zielstrebiger, karriereorientierter Typ, der für sich selbst sorgt.» Zudem gingen manche automatisch davon aus, sein Freund übernehme beim Sex den aktiven, er den passiven Part. «Als ob ich bloss sein Spielzeug wäre.» Andere wiederum glauben ihm nicht, wenn er von der aufrichtigen Zuneigung erzählt, die er für seinen Freund empfindet. Und schliesslich hätten Aussenstehende auch schon impliziert, er leide an einem «Vaterkomplex». «Gelegentlich werde ich psychoanalysiert und gefragt, ob ich eine schlechte Beziehung zu meinem Vater hätte, oder ob dieser früh gestorben sei», so Clint. «Beide Fragen kann ich mit einem NEIN beantworten.»


Böse Reaktionen
Auch der erfolgreiche britische Profiturmspringer Tom Daley weiss, was es heisst, wenn die Beziehung zum geliebten Partner kritisch beäugt wird. Als Ende 2013 gemunkelt wurde, der damals 19-Jährige sei mit dem 20 Jahre älteren Drehbuchautor Dustin Lance Black zusammen, überschlugen sich im Internet die gehässigen Bemerkungen. «Ich bin schockiert und angeekelt – jemand soll diesen armen Jungen retten!», hiess es zum Beispiel. Andere hofften, dass Daley «nicht verletzt wird» und «sich schützt». Tom sei so ein netter Typ, meinte ein anderer, «ich bin sicher, Black wird ihn zugrunde richten».

Klartext reden
Die Tatsache, dass sich manche derart über Daleys Beziehung enervierten, veranlasste den LGBT-Journalisten Michael K. Lavers dazu, eine persönliche Stellungnahme zum Thema zu verfassen. Der Artikel war ein Kommentar aus berufenem Munde, schliesslich lebt Lavers seit Jahren mit seinem Partner Andres zusammen, der fast 34 Jahre älter ist als er. «Manche Leute bezeichnen die Beziehung zwischen dem Turmspringer und dem Drehbuchautor als ‹seltsam› oder ‹unheimlich› und meinen zu wissen, Black sei ‹viel zu alt› für Daley», schrieb Lavers vor knapp drei Jahren.

Manche Leute bezeichnen die Beziehung zwischen dem Turmspringer und dem Drehbuchautor als ‹seltsam› oder ‹unheimlich› und meinen zu wissen, Black sei ‹viel zu alt› für Daley.

«Ich selbst empfinde meinen Partner nicht als ‹viel zu alt›, und unser Leben ist weder ‹seltsam› noch unheimlich›.» Im Gespräch mit der Mannschaft erzählt der 35-Jährige, er habe den damaligen Aufruhr um Daley und Black einfach nur lächerlich gefunden. Deshalb entschied er sich dazu, den Artikel zu schreiben. Er wollte Klartext reden und dem Leser einen Einblick in sein und Andres’ gemeinsames Leben geben – und besonders in die Normalität dieses Lebens.


Nervosität vor erstem Treffen
Kennen gelernt haben sich die zwei im Juli vor sechs Jahren. In einer Bar in Washington D. C., wo sie sich den ganzen Abend lang unterhielten. Als Lavers am nächsten Tag nach New York zurückkehrte, war ihm eines klar: Er hatte mit Andres einen «wahrhaft netten Mann» kennen gelernt, mit dem er in Kontakt bleiben wollte. Die folgenden Wochen waren von täglichen Telefonaten und ausgiebigen SMS-Konversationen bestimmt, im September 2010 wurden die beiden ein Paar. Lavers’ Umfeld reagierte gelassen. «Niemand aus meinem engeren Familien- und Freundeskreis hatte ein Problem mit dem Alters­unterschied», erzählt er. Gerade auch seine Eltern, die jünger sind als Andres, nahmen die neue Liebe des Sohnes gut auf. «Ich war sehr aufgeregt, als sich alle zum ersten Mal sahen», erinnert sich der Journalist und lacht. Seine Nervosität war jedoch umsonst, die Eltern gingen perfekt mit der Situation um. Ganz allgemein sind Lavers und sein Partner von negativen Reaktionen weitgehend verschont geblieben. «Wir haben Glück», meint er. Nur ein-, zweimal wurden sie von Fremden gefragt, ob sie Vater und Sohn seien, doch «das war jeweils weder böse noch beleidigend gemeint.»

Foto: Amer Mohamad

Eine Ausnahme – leider
Dass der Altersunterschied zwischen ihm und seinem Partner nur selten kommentiert wird, sollte eigentlich nichts Spezielles, sondern die Regel sein, findet Michael Lavers. «Es ist einfach und simpel: Wir tun niemandem weh. Deshalb hat es auch niemanden zu kümmern, wie alt wir sind.» Fakt sei aber, dass die Diskriminierung gegenüber älteren Männern nicht nur in der Gesellschaft allgemein, sondern gerade auch in der Szene grassiere. Oft würden die Motive in Zweifel gezogen, wenn sich schwule Männer unterschiedlichen Alters nahe­stünden – sei es freundschaftlich, sei es in einer Partnerschaft. «Wenn die Leute einen jungen Typen mit einem älteren Mann zusammen sehen, dann denken die meisten, der Junge wolle sich einen Sugardaddy angeln. Eine bedauernswerte Einstellung», findet Lavers.

Unqualifizierte Argumente
Auch der Basler Psychotherapeut Udo Rauchfleisch hält nicht viel von solchen vorgefertigten Meinungen. «Die Sugar­daddy-Theorie ist diskriminierend und reduziert die Verbindung zweier erwachsener Menschen auf eine ausschliesslich finanzielle Ebene.» Beim Argument des sogenannten Vaterkomplexes winkt Rauchfleisch ebenfalls ab. «Dieser Begriff beschreibt eine überstarke Bindung des Sohnes an den Vater, der bei der Partnerwahl des Sohnes eine bedeutende Rolle spielt», erklärt er.

Die Sugar­daddy-Theorie ist diskriminierend und reduziert die Verbindung zweier erwachsener Menschen auf eine ausschliesslich finanzielle Ebene.

Diese Dynamik sei keinesfalls bei allen schwulen Partnerschaften mit markantem Altersunterschied vorhanden. Für Rauchfleisch ist der Vaterkomplex ein «laienhafter Begründungsversuch», der nichts wirklich erkläre. Und eine böse Unterstellung, wie der Psychologe es nennt. Eine Unterstellung, die den Jüngeren als krankhaft abstemple und gleichzeitig in Abrede stelle, dass «es sich in den meisten Fällen um reife Beziehungen zwischen zwei selbstständigen Männern handelt».

Wertvoller Austausch
Es sind Beziehungen, die ihre Vorteile haben. So erlebten zum Beispiel viele ältere Männer die Jugendlichkeit des Partners als eine grosse Bereicherung, sagt Udo Rauchfleisch. Junge können Älteren helfen, geistig frisch und flexibel zu bleiben. Die Jugend fordert  – dadurch bewahren ältere Menschen den Kontakt zur Lebensrealität und Denkwelt nachfolgender Generationen. Auch Michael Lavers hebt den Wissensaustausch hervor, der stattfinden kann. Er ist überzeugt davon, dass «wir Jüngeren viel von Älteren lernen und von ihren Erfahrungen profitieren können. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir diese Menschen schneiden und meiden.» Ein weiteres Plus sieht er in der Beständigkeit und Reife, die ältere Männer oft mitbrächten. Es sind dies Attribute, die ihn stets anzogen. «Ich fühlte mich in Gesellschaft ruhigerer, ausgeglichener Männer schon immer wohler», sagt er. Und fügt lachend an, er habe «für Drama keine Zeit».

Verschiedene Lebensphasen
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich unterschiedlich alte Partner auch in unterschiedlichen Lebensphasen befinden. Daraus können sich nicht nur die erwähnten positiven Wirkungen, sondern auch Nachteile ergeben. «Andres und mich trennen 33 Jahre», sagt Michael Lavers. «Wenn ich in meinen Vierzigern oder Fünfzigern bin, wird er sehr alt sein. Und irgendwann wird er wahrscheinlich an gesundheitlichen Beschwerden leiden.» Darüber mache er sich manchmal schon seine Gedanken, meint er. «Doch darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist.»

Womöglich meint der Jüngere, er wolle noch sexuelle Erfahrungen machen, die der Ältere bereits hinter sich hat.

Laut Udo Rauchfleisch kann sich ein weiteres Problem im Hinblick auf das Sexualleben ergeben. «Womöglich meint der Jüngere, er wolle noch sexuelle Erfahrungen machen, die der Ältere bereits hinter sich hat.» In diesem Fall sei es umso wichtiger, dass die Partner offen über ihre Beziehung und ihre Wünsche sprächen, erklärt Rauchfleisch. «Es gilt, sich ehrlich über die eigenen Gefühle zu verständigen. So kann man miteinander Mittel und Wege finden, die Partnerschaft zu gestalten.»

Der Einfluss der Gesellschaft
Schliesslich kann der Altersunterschied dazu führen, dass «die gemeinsame Basis fehlt», wie es der 51-jährige Rolf beschreibt. Vor sieben Jahren, im Alter von 44, war er mit einem 19 Jahre jüngeren Mann zusammen. «Wir standen an völlig verschiedenen Orten in unserem Leben. Eine solche Kombination kann zwar spannend sein und beiden Seiten neue Einsichten und Inspiration liefern. In unserem Fall hat es aber nicht funktioniert.» Die Beziehung war auch aus einem anderen Grund nicht ganz unbelastet. Im Gegensatz zu Michael und Andres, die kaum auf ihren Altersunterschied angesprochen werden, war Rolf immer wieder mit diesbezüglichen Fragen konfrontiert. «Viele Leute erkundigten sich danach, was ich denn ‹mit so einem Jungen› überhaupt wolle», erzählt er gegenüber der Mannschaft.

Auch sonst im Alltag – beim Spazieren, beim Einkaufen – habe das Thema der Altersdifferenz jeweils mitgeschwungen. In gewissen Situationen fiel es ihm nicht leicht, sich unbeschwert an der Seite seines Partners zu zeigen, der mit 25 Jahren noch immer «sehr jungenhaft aussah», wie Rolf es beschreibt. «Manchmal wollte er in der Öffentlichkeit Händchen halten. Ich habe dann jeweils gemerkt, dass ich das nicht wollte. Ich fühlte mich vom Umfeld beobachtet und in die Daddy-Rolle gedrängt.» Klar sei, dass in Beziehungsangelegenheiten grundsätzlich weder das Alter noch die Meinungen anderer Leute eine Rolle spielen sollten, sagt Rolf, der nun seit Längerem in einer offenen Beziehung mit einem Mann Ende vierzig lebt. «Zu einem gewissen Grad übt die Gesellschaft aber doch einen Einfluss aus.»

«Verbotene Liebe»?
Diese soziale Beeinflussung hat Rolf auch schon bei anderen Schwulen festgellt, insbesondere bei jüngeren. «Sowohl meine eigenen Erfahrungen als auch diejenigen einiger Freunde haben gezeigt,  dass manch ein junger Mann von Älteren sexuell angezogen ist.» Rolf wird regelmässig von 20- bis 30-Jährigen angeschrieben, gelegentlich trifft er sich mit ihnen.

Offenbar ist es ein Tabu, sich als junger Mann für Ältere zu interessieren.

«Für diese Männer ist es kein Problem, mit einem doppelt so alten Mann Sex zu haben.» Wenn es aber darum gehe, dazu zu stehen, sehe die Welt oft anders aus. Es sei schon passiert, dass er von demselben Typen, mit dem er Sex hatte und sich gut verstand, komplett ignoriert wurde, als er ihn im Kreise seiner Freunde im Nachtleben traf. Das sei für ihn in Ordnung, meint Rolf, er verurteile das nicht. «Es fällt mir einfach auf. Und es zeigt, dass es offenbar ein Tabu ist, sich als junger Mann für Ältere zu interessieren.»

Kopie heterosexueller Vorgaben
Dieses Tabu ist laut Udo Rauchfleisch nichts anderes als ein Ausdruck der weitverbreiteten Vorstellung, Partner müssten gleichaltrig sein. Bei dieser Vorstellung, so der Psychotherapeut, handle es sich letztlich um eine sozial konstruierte Norm, die sich rational nicht begründen lasse. «Klar, wenn ein Paar Kinder möchte, dann mag es meist einfacher sein, wenn die Eltern ungefähr gleich alt sind.» Doch selbst in diesen Fällen sei dies in keiner Weise zwingend, und gerade im LGBT-Bereich ergebe das starre Konzept der Gleichaltrigkeit meist noch weniger Sinn. Trotzdem würden sich auch die meisten Lesben und Schwule diesem fixen Idealbild unterwerfen, statt sich davon zu befreien, bedauert Rauchfleisch. «Wir haben das Gefühl, dem heterosexuell geprägten Mainstream entsprechen zu müssen. Ich finde es ehrlich gesagt blamabel, dass Lesben und Schwule diesbezüglich nicht etwas mehr Toleranz an den Tag legen.»

Wer sich am Altersunterschied zwischen zwei Menschen stört, die sich für ein gemeinsames Leben entschieden haben, der sollte wohl ein bisschen mehr über sich selbst und die eigenen Unsicherheiten nachdenken.

Mehr Toleranz aufbringen, sich von unreflektierten Pauschalisierungen lösen – letztendlich geht es genau um das. Partnerschaften zwischen zwei ungleich alten Menschen können genauso gut funktionieren oder problembeladen sein wie alle anderen Beziehungen auch. Michael K. Lavers sagt es so: «Wer sich am Altersunterschied zwischen zwei Menschen stört, die sich für ein gemeinsames Leben entschieden haben, der sollte wohl ein bisschen mehr über sich selbst und die eigenen Unsicherheiten nachdenken. Am Ende zählt nur, dass wir beide glücklich sind. Ich hoffe, die Leute realisieren das.»


Promibeziehungen mit grossem Altersunterschied

Richard Buckley & Tom Ford

 

Seit stolzen 29 Jahren sind sie ein Paar: Modejournalist Richard Buckley, 68, und der Modedesigner und Film­regisseur Tom Ford (55). 2014 läuteten die Hochzeits­glocken, bereits zwei Jahre zuvor war der gemeinsame Sohn Jack auf die Welt gekommen.

Tom Daley & Lance Black

 

Der britische Profiturmspringer Tom Daley, 22, und der US-amerikanische Drehbuchautor und Regisseur Dustin Lance Black, 42, wurden 2013 ein Paar. Im vergangenen Jahr gaben die beiden ihre Verlobung bekannt. Sie leben zusammen in London.

Ellen DeGeneres & Portia de Rossi

 

Die Schauspielerin und Talkshow-Moderatorin Ellen DeGeneres, 58, und die Schauspielerin Portia de Rossi, 43, sind seit 2004 ein Paar, vier Jahre später gaben sich die beiden in Beverly Hills das Jawort.

Simon Halls & Matt Bomer

 

Sie sind seit fünf Jahren verheiratet und haben zusammen drei Kinder: Hollywoodschauspieler Matt Bomer, 38, und der Publizist Simon Halls, 51. Die Hochzeit zwischen den beiden fand im Geheimen statt – ein Jahr vor Bomers öffentlichem Coming-out.


Der Animationsfilm «In A Heartbeat» ist endlich da

Hübscher junger Mann