Streit über Umgang mit LGBTIQ – Wolfgang Thierse bietet SPD-Austritt an
Der SPD-Mann hat u.a. wenig für eine gegenüber Minderheiten sensible Sprache übrig
Wirbel um Wolfgang Thierse: Der ehemalige Bundestagspräsident und die SPD-Spitze geraten in Streit. Es geht um den richtigen Umgang mit sexuellen und anderen Minderheiten. Auch ein möglicher Austritt von Thierse aus der SPD ist über Stunden nicht vom Tisch.
Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat im Streit über den richtigen Dialog mit sexuellen und anderen Minderheiten seinen Austritt aus der SPD ins Spiel gebracht. Daraufhin kochte am Mittwoch eine hitzige Debatte in sozialen Medien hoch. Ausgangspunkt war eine Debatte über den gesellschaftlichen Umgang mit oft benachteiligten Gruppen. Vorläufiger Höhepunkt ist ein Schreiben des 77-Jährigen an die SPD-Spitze, in dem der frühere DDR-Bürgerrechtler nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur seinen Parteiaustritt in den Raum stellt.
Nach einem Bericht des Tagesspiegel bat Thierse in das an SPD-Chefin Saskia Esken gerichtete Schreiben darum, ihm öffentlich mitzuteilen, ob sein «Bleiben in der gemeinsamen Partei weiterhin wünschenswert oder eher schädlich» sei. Er habe Zweifel, wenn sich zwei Mitglieder der Parteiführung von ihm distanzierten. Dies war eine Anspielung darauf, dass Esken und Parteivize Kevin Kühnert zuvor «Aussagen einzelner Vertreter*innen der SPD» zur Identitätspolitik kritisiert hatten. Dabei geht es darum, wie man sich gegenüber bestimmten Gruppen verhält und über sie redet. Zu diesem Thema hatte sich Thierse zuvor pointiert geäussert.
Beide Seiten seien miteinander im Gespräch, hiess es am Mittwoch in Parteikreisen in Berlin. Thierse war bis 2005 stellvertretender Vorsitzender der Partei. Mitglied des Bundestags war der 77-Jährige von 1990 bis 2013.
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Thierse hatte in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung auch «linke Identitätspolitik» kritisiert. Es mache sich eine Haltung breit, Diskussionen zu verweigern. Mit Blick unter anderem auf die Debatte um die Umbenennung der Mohrenstrasse in Berlin, deren Namen als rassistisch kritisiert wird, schrieb Thierse: «Die Reinigung und Liquidation von Geschichte war bisher Sache von Diktatoren, autoritären Regimen, religiös-weltanschaulichen Fanatikern.»
Auch für eine gegenüber Minderheiten sensible Sprache findet der SPD-Mann kritische Worte: «Wenn Hochschullehrer sich zaghaft und unsicher erkundigen müssen, wie ihre Studierenden angeredet werden möchten, ob mit «Frau» oder «Herr» oder «Mensch», mit «er» oder «sie» oder «es», dann ist das keine Harmlosigkeit mehr.» Im Deutschlandfunk sagte Thierse, es gebe «Radikalisierungen des Diskurses», die «das Leben von Gemeinsamkeiten erschweren».
Der Weg zu einer gewissen Eskalation der Debatte wurde nach Berichten des «Tagesspiegel» und des Online-Magazins «queer.de» aber erst durch einen weiteren Vorgang bereitet. Demnach gab es Streit über ein Online-Talk der SPD-Grundwertekommission mit FAZ-Feuilletonchefin Sandra Kegel. Aktivistinnen und Aktivisten der Schwulen-, Lesben-, Bi- und Transgender-Szene hatten der Frau vorgeworfen, in einem Artikel die Existenz von Queerfeindlichkeit unter anderem in der Filmszene zu bestreiten. Nun übten sie heftige Kritik an der Veranstaltung. Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland warf der SPD vor, ihre Beteuerungen, auf der Seite queerer Menschen zu stehen, seien nichts wert.
Darauf luden Esken und Kühnert den Berichten zufolge rund 20 Personen, darunter Vertreterinnen und Vertreter der Szene, zu einem Online-Gespräch im März ein. Zu den Umständen der in der Kritik stehenden Online-Debatte schrieben sie laut den Berichten: «All das beschämt uns zutiefst.» Zudem schrieben sie demnach, dass Aussagen einzelner aus der SPD zur Identitätspolitik in Medien, auf Plattformen und parteiintern ein rückwärtsgewandtes Bild der SPD zeichneten. Wohl genau darauf habe dann Thierse reagiert.
Nachdem es öffentlich geworden war, dass Thierse einen SPD-Austritt ins Spiel gebracht hatte, kochte eine Debatte vor allem in den sozialen Netzwerken hoch. Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß (CDU) etwa twitterte, die «Parteiausschluss-Debatte» offenbare die intellektuelle Leere der SPD. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD) – offen schwul wie Kevin Kühnert –, würdigte Thierse als anständigen und bedeutenden Sozialdemokraten.
Am Nachmittag telefonierten Thierse und Esken eine gute halbe Stunde miteinander, wie Esken dem Spiegel sagte. Sie habe den Kontakt gesucht. «Ich bin froh, dass wir den Gesprächsfaden aufgenommen haben und dass wir vereinbart haben, weiter im Gespräch zu bleiben«, sagte sie dem Magazin. «Wolfgang Thierse ist für uns ohne jeden Zweifel ein verdienstvoller Sozialdemokrat, und nichts läge mir ferner als mich von ihm zu distanzieren.»
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