«Shwule Grüsse vom Balkan» (16) – Bogdana holt aus
Theater mit dem Vater
Aleksandar aus unserer Kolumne «Shwule* Grüsse vom Balkan» liegt nach dem Autounfall im Krankenhaus. Dadurch erfährt auch noch sein Vater von seinem Shwulsein.
Aleks liegt auf der Intensivstation in einem dalmatinischen Krankenhaus – umgeben von Apparaturen, Monitoren und Schläuchen. Und seiner Familie: Vater Cvetko, Mutter Bogdana und Bruder Alen. Langsam erwacht er aus seinem Dämmerzustand. Cvetkos gerötete Augen verraten, dass Aleks dem Tod nur knapp entronnen ist. Bogdanas Tränen liefern sich indes einen Wettlauf mit Aleks’ Infusionstropf. Einzig Alen grinst ihm zu, weil er bemerkt hat, dass Aleks wieder bei ihnen ist: «Na Brudi, wie war es auf der anderen Seite des Jordans?»
Da klatscht Bogdana Alen auf den Hinterkopf und taucht sogleich wieder ab in ihr Tränenmeer: Sie hätte beinahe ihren Sohn auf dem Gewissen gehabt. Wegen einer Konversionstherapie am Wallfahrort Medjugorje, bei der ein Pater den Beichtstuhl zum Glory Hole umfunktioniert hat, anstatt ihren Sohn zum Hetero umzuwandeln. Geplagt vom schlechten Gewissen kann sie Aleks nicht in die Augen schauen.
Cvetko stapft im Zimmer umher und fragt, wie das passieren konnte. Bogdana schweigt. Aleks blickt zu Alen, dann zu Cvetko und schliesslich zu seiner Mutter. Beschämt schüttelt sie den Kopf. Sie hat es Cvetko also nicht gesagt, dass sie mit Aleks in Kroatien und Bosnien nur unterwegs war, um ihn von seinem Shwulsein zu heilen.
«Wie ist das passiert?», hakt Cvetko nach. «Mama wollte mich vom Shwulsein heilen. Darum fuhr sie mich in ein Shwulen-Heil-Camp in Medjugorje … hat nicht funktioniert. Aber Gott hat mir nach dem Unfall gesagt, ich sei völlig in Ordnung – eine Art Update für die Menschheit», murmelt Aleks vom Valium sediert und nickt wieder weg.
Cvetko setzt sich. Er schluckt und wischt sich den Schweiss von der Stirn. Sein Blick wandert im Zimmer umher und landet bei Bogdana und Alen: «Der Junge ist bestimmt im Delirium», lächelt er gezwängt, beinahe hoffnungsvoll, «sagt mir nun, wie es dazu kam!» Bogdana und Alen schauen sich schweigend an. «Ihr habt beide davon gewusst und mir nichts gesagt?»
Bogdana fürchtet Cvetkos Reaktion und merkt dabei, welche Kämpfe Aleks vor dem Coming-out innerlich auszufechten hatte. Cvetko wird bestimmt eine Schimpftirade lostreten und sie und Aleks verstossen, denkt sie sich. Aber sie muss es ihm nun sagen: «Ja, Aleks ist … wie soll ich sagen … er ist halt so.» «Wie soll unser Sohn denn bitteschön sein?», fragt er in zunehmender Verzweiflung. «Na, shwul eben!», faucht Bogdana mit Adrenalin geladen zurück. Dabei durchströmt sie eine wohltuende Erleichterung, die sie das letzte Mal nach der jeweiligen Geburt ihrer Söhne erlebte.
Was werden die anderen denken? Shwule sind doch keine echten Männer!
Cvetko steht auf und tigert zeternd im Zimmer herum: «Was werden die anderen denken? Shwule sind doch keine echten Männer. Das haben wir nun von der westlichen Erziehung! Und was ist mit Enkeln? Wir werden nie Enkelkinder haben!»
«Und was ist mit mir?», unterbricht Alen seinen Vater, «ich bin nicht shwul und habe nach der Fussballkarriere vor, eine Familie zu gründen.» «Aber Aleks wird einsam und alleine sterben, weil er keine Kinder haben wird!» Cvetkos Gezeter schlägt um in ein kindliches Wimmern. Alen umarmt seinen Vater und versucht ihn zu trösten: «Wir sollten froh sein, dass Aleks noch lebt und auf dem Weg der Besserung ist.»
«Du hast ja recht. Aber was werden die Leute im Jugo-Klub oder in unserer Heimat über uns denken?», jammert Cvetko. «Wen Aleks letztlich liebt, ist seine Sache – nicht unsere und ganz sicher nicht die von irgendwelchen anderen Leuten, die sich sowieso ihr Maul zerreissen, sobald sie dir den Rücken zudrehen», verteidigt Alen seinen Bruder und fügt an: «Vielleicht solltet ihr eine Beratungsstelle aufsuchen, sobald wir wieder zurück in der Schweiz sind.» «Wir sind doch nicht dumm im Kopf!», fährt ihn Cvetko an.
Da holt Bogdana aus und verpasst Cvetko zum ersten Mal in ihrer Ehe eine Ohrfeige: «Du wirst nie wieder eines meiner Kinder abnormal nennen, haben wir uns verstanden? Vielleicht bist du nicht ganz dicht mit deinem Machogehabe!»
«Hört auf, alle beide!», geht Alen dazwischen, «ich begleite euch zur Beratungsstelle dann. Alles wird gut.» Dann umarmt er Cvetko und nickt hinter seinem Rücken Bogdana anerkennend und grinsend zu.
Die Eltern von Aleks könnten sich natürlich auch an Dr. Gay wenden. Der beantwortet Fragen wie: Wie finde ich andere queere Jugendliche?
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic.
Unterstütze LGBTIQ-Journalismus
Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!
Das könnte dich auch interessieren
Pride
Shakira, Sport und Strassenfeste: So soll die World Pride 2025 werden
Vom 17. Mai bis 8. Juni 2025 findet in Washington, D.C. die World Pride statt. Erste Details sind nun bekannt.
Von Newsdesk Staff
Musik
Sport
Kurznews
Berliner Polizei rät Queers in bestimmten Gegenden zu mehr Vorsicht
Viele Menschen jüdischen Glaubens sagen, dass sie bestimmte Berliner Gegenden nicht mit sichtbaren Symbolen betreten, Queers agieren ähnlich. Polizeipräsidentin Barbara Slowik spricht von nötiger Wachsamkeit.
Von Newsdesk/©DPA
Polizei
Deutschland
Furry Fandom
Unterwegs in Ulm: Als Furry durch die Nacht
Jayden und Patrik sind Furries. In ihrer Freizeit schlüpfen sie in Tierkostüme und verhalten sich entsprechend ihrer Furry-Charaktere. Einblicke in eine Szene, die noch relativ unbekannt ist.
Von Newsdesk/©DPA
Queer
Deutschland
TIN
Community
Schutzhäuser für Queers: Nur nicht kleben bleiben
Vor ein paar Monaten wurde in Zürich das Haven99, das erste Deutschschweizer Haus für LGBTIQ, eröffnet. Die Casa Resistencias, eine analoge Institution in Rio de Janeiro, existiert bereits seit zwei Jahren.
Von Cesare Macri
LGBTIQ-Organisationen
Schweiz