Schwuler Winzer: «Es war ein Sprung ins kalte Wasser»
Der Klimawandel ist eine grosse Herausforderung für Holger Hagen
Von München in die Steiermark: Winzer Holger Hagen übernahm frisch ab Studium ein Weingut in Österreich. Heute führt er den Betrieb gemeinsam mit Ehemann René.
Holger, du bist gebürtiger Münchner und hast mit 27 Jahren als Winzer in der Steiermark angefangen. Kommst du aus einer Winzerfamilie? Nein, gar nicht. Das ganze Berufsbild rund um den Wein hat mich fasziniert. Da sind einerseits das Handwerkliche und die Arbeit mit der Natur, andererseits der Kontakt zu den Menschen und der Wein als Kulturgut. Also habe ich in Deutschland Önologie und Weinbau studiert und in 2006 hier einen Betrieb in der Steiermark übernommen.
Das muss alles andere als einfach gewesen sein. Das stimmt. Meine Jugend war plötzlich schnell vorbei und es gab Momente, in denen ich meine Entscheidung bereut habe. Mit meinen Weinen schien ich jedoch von Anfang an einen Nerv getroffen zu haben. Sie kamen gut an und gaben mir in den erst fünf Jahren viel Kraft, als es wirtschaftlich noch nicht so lief. Ich muss natürlich auch sagen, dass ich es mir mit der Biozertifizierung noch ein bisschen schwieriger gemacht habe. Der Bioanbau erfordert mehr Aufwand, bedeutet aber nicht mehr Einkommen. Er gehört aber zu meiner Philosophie.
Was würdest du dem damaligen Holger mit auf den Weg geben? Dass es im jungen Unternehmertum ganz normal ist, einen Zickzackkurs zu fahren. Von Anfang an gleich alles fehlerfrei zu machen wäre auch nicht richtig gewesen. Ich würde meinem jüngeren Ich raten, kleiner und übersichtlicher einzusteigen und vielleicht einen kleinen Winzerbetrieb zu gründen – so wie ich es für meinen Ruhestand plane. Ein paar Fässer im Keller. Bekannte und gute Freund*innen, die vorbeikommen, um eine Kiste abzuholen. Das kann ebenso reizvoll sein wie das Führen eines grossen Unternehmens.
Führst du deinen Betrieb Vollzeit? Ja, mehr als hauptberuflich. Es ist ein doppelter Vollzeitjob (lacht). Ich habe das Glück, dass mich mein Mann René seit diesem Jahr unterstützt. Er hat seinen Beruf als Friseur an den Nagel gehängt und hilft mir jetzt bei der Verwaltung und beim Marketing.
War dein Vollzeitjob eine Herausforderung für ihn? Lange hielt er sich bewusst raus, bis es ihn auch richtig gepackt hat. Unsere beiden Jobs haben mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Wir haben viel mit Menschen zu tun und gehen auf sie ein. Wenn ich kann, liefere ich den Kund*innen den Wein persönlich. Sie wollen von mir die Geschichte der Flasche hören, die sie in den Händen halten.
++ Österreich öffnete die Ehe für gleichgeschlechtliche binationale Paare erst im Sommer 2019, ein halbes Jahr nach der allgemeinen Eheöffnung (MANNSCHAFT berichtete) ++
Wie ist es, wenn der Ehemann auch Kollege ist? Da wir unsere Arbeit automatisch mit ins Privatleben nehmen, ist es immer eine Herausforderung. Zum Beispiel möchte ich morgens meinen ersten Kaffee noch ohne Gedanken an das Geschäft trinken, René sitzt dann bereits am Computer. Die gemeinsame Arbeit hat auch viele schöne Seiten, denn wir leben für unseren Weinbau. Dass es manchmal Reibereien gibt, ist normal. Wir sind aber alt genug und ein eingespieltes Team. Mit der Zeit hat man den Dreh raus (lacht).
Dir gehören drei Hektar in Österreich, zweieinhalb in Slowenien. Wann kam der Blick über die Grenze? Als Zugezogener der Steiermark habe ich schon von Anfang an über die Grenze geschaut. Bereits in meinem ersten Jahr kaufte und bewirtschaftete ich meinen ersten Weinberg in Slowenien. Der staatenübergreifende, europäische Gedanke sagt mir zu – vor allem in einer Zeit, in der sich Staaten wegen der Flüchtlingskrise und der Pandemie abschotten. Die Staatsgrenze verläuft mitten durch zwei Regionen, die sich durch ihre Weinkultur eigentlich sehr nahestehen. Mit meinem Wein versuche ich diese beiden Regionen miteinander zu verbinden.
War die Grenze auch während Corona offen? Ja, Gott sei Dank. Seitens der Behörden war gegenüber Pendler*innen und Landwirt*innen eine grosse Offenheit da. Sie liessen uns immer durch. Ich hoffe, dass es so bleibt.
Du hast die Biozertifizierung erwähnt. Was sind die Kriterien? Die wichtigste Unterscheidung fängt beim Pflanzenschutz an. Die Weinrebe muss behandelt werden, damit sie gesund bleibt. Eine Bedrohung sind zum Beispiel Mehltaupilze. Wir spritzen mit natürlichen, traditionellen Mitteln statt mit chemischen Wirkstoffen. Ein weiteres Thema ist der Dünger, bei dem man den Gedanken des Weinbergs als Biotop statt als Monokultur verfolgt. Die Rebe soll sich möglichst natürlich ernähren und die Nährstoffe im Boden selbst suchen müssen. Mit weniger Chemie fällt jedoch mehr Handarbeit an, die Erträge sind kleiner. Ich finde jedoch, dass der Mehraufwand geschmacklich belohnt wird.
Inwiefern? Der Wein kann mehr Charakter und einen vielfältigeren Geschmack entwickeln. Hier spricht jedoch das Herz des Bioerzeugers und nicht das Lehrbuch (lacht).
Welcher Wein ist das Aushängeschild deines Weinguts? Unser Sauvignon Blanc vom Hochgrassnitzberg – eine Toplage hier in der Südsteiermark. Es ist ein kräftiger, extraktreicher Wein und trotzdem sehr elegant. Das heisst, dass er weich am Gaumen wirkt und sich angenehm trinken lässt.
Ist es auch dein Lieblingswein? Ich muss sagen, dass ich eher der quirlige Typ bin (lacht). Die Weine vom Hochgrassnitzberg sind mir oftmals für meinen Trinkspass zu ruhig. Ich will etwas aufregendes, wenn ich mir abends eine Flasche aufmache. Zu meinen Favoriten im Sommer zählt unsere «Amorosa», ein rosa Frizzante mit Aromen von Walderdbeeren. Beim Tuntenball in Graz war sie mehrere Jahre der offizielle Sekt und es gab spezielle Etiketten dafür. Dieser «Sprudel» verbindet uns mit der Community.
Wie offen war die Steiermark für einen Münchner frisch aus dem Studium? Obwohl ich die Steiermark schon einmal besucht hatte, war es ein Sprung ins kalte Wasser. Hier wird eine lockere Mentalität gelebt und ich war ergriffen von der Offenheit der Steirer*innen gegenüber Zugezogenen. Ich war nochmals positiv überrascht, als René und ich unsere Beziehung nach einem Jahr öffentlich machten.
Wie habt ihr das gemacht? Eine Illustrierte porträtierte uns. Sie wollten unter anderem zeigen, dass Homosexuelle mitten in der Gesellschaft leben. Als unsere Geschichte dann auf sechs bunten Seiten erzählt wurde, waren wir schon ein bisschen nervös. Die Reaktionen der Menschen hier waren jedoch genial. Sie riefen uns an, klopften an unsere Türe oder grüssten uns auf der Strasse. Diese Gesten haben wir sehr geschätzt.
René ist zwar Steirer, hatte nach seinem Coming-out jedoch nur in Graz gelebt und keine Erfahrungen auf dem Land gemacht. Daher waren wir etwas unsicher, wie man unsere Partnerschaft auffassen wurde.
Was sind die Herausforderungen in deinem Job? Eindeutig der Klimawandel – das erleben alle europäischen Winzer*innen. Das Wetter wird extremer. Im Frühling muss mit späten Frostnächten gerechnet werden, im Sommer besteht ein erhöhtes Hagelrisiko. Auch Hitze und Trockenheit bedrohen uns immer wieder. Damit müssen wir irgendwie klarkommen.
Bei einem Familienbesitz und einem schwulen Paar stellt sich die Frage: Wie wirst du deine Nachfolge regeln? Das wissen wir noch nicht, sind ja auch noch ein bisschen zu jung. Wir haben keine direkten Nachkommen und hegen auch keinen Adoptionswunsch. Ich habe einen Bruder, der frisch verheiratet ist, vielleicht können wir dort auf Nachwuchs hoffen (lacht). Wir lassen das mal auf uns zukommen und schauen in 10 oder 20 Jahren weiter.
Wie kann man sich als Laie am besten mit Wein vertraut machen? Indem man den direkten Kontakt zu gleichaltrigen Winzer*innen sucht, zum Beispiel wenn man in den Urlaub fährt. Sobald sie merken, dass Interesse da ist, erklären sie viel und gerne. Auch Weinproben in Gruppe bieten eine gute Gelegenheit. Aus Winzerhand und Winzerworten kann man das meiste lernen. Wir sind ein offenes Völkchen.
Auf welches Fettnäpfchen sollte man achten? Das Weinglas sollte man unbedingt am Stiel und nicht am Kelch halten. René kriegt jeweils eine Gänsehaut, wenn wir solche Gäste haben (lacht). Einerseits wärmt man mit der Hand unnötig den Wein, andererseits ist es weniger ästhetisch. Bei einer Weinverkostung trinkt man stets aus demselben Glas. Hält man es am Kelch, ist er nach einer Viertelstunde mit Fingertapsern übersät.
Was bereitet dir an deiner Tätigkeit als Winzer am meisten Freude? Wenn ich meine Produkte und die Geschichten, die dahinterstehen, persönlich erklären kann. Meistens sind die Gäste etwas angeheitert oder sogar leicht beschwipst, strahlen aber übers ganze Gesicht, wenn sie den Weinkeller verlassen. Das sind die schönsten Momente.
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