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„Wenn ich nicht Polizist wäre, würde ich Euch beide töten“

Pavel und Igor flohen nach Bayern, weil sie in ihrer Heimat St. Petersburg von einem Nachbarn und einem Polizisten bedroht wurden. Doch das Gericht sieht keine unmittelbare Gefahr für die Flüchtlinge. Nun droht ihnen die Abschiebung.

Igor (32) und Pavel (41) sind seit 2013 ein Paar. Die beiden Russen lernten sich online kennen und beschlossen bald zusammenzuziehen. Igor lebte damals schon in St. Petersburg, Pavel wohnte in der Nähe der lettischen Grenze. Zusammenleben – das geht in Russland bei zwei Männern eigentlich nicht, aber sie taten es trotzdem. Es dauerte nicht lange, da bemerkten die Nachbarn, dass es sich um ein Paar handelte, das da in der 1-Zimmer-Wohnung zusammenlebte. Vielleicht haben sie mal gesehen, wie sich die Männer einen flüchtigen Abschiedskuss gaben, vermutet Igor im Gespräch mit der Mannschaft.

Es dauerte nicht lange, bis die ersten beleidigenden Worte fielen. Die Männer wurden von einem Nachbarn als Schwuchtel beschimpft. Zur Polizei geht man deshalb nicht, sagt Igor. „Alle haben Angst vor der Polizei.“


Im November 2013 wurde Pavel erneut in seinem Haus beleidigt. Es kam zum Streit, der Nachbar schlug Pavel, der darauf die Treppe herunterfiel. Von nun an hatten die Männer Angst, dem Homohasser im Flur zu begegnen.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Wenn ich nicht Polizist wäre, würde ich Euch beide töten![/perfectpullquote]
Wenige Monate später im Februar 2014 – das Gesetz gegen „Homopropaganda“ war seit einem Dreivierteljahr landesweit in Kraft –, stand ein Polizist vor der Tür. Die Nachbarn hatten gemeldet, dass im Haus ein schwules Paar wohne, das ein schlechtes Beispiel gebe für Kinder. Der Polizist drohte ihnen eine Strafe an, wenn sie die Wohnung nicht verließen. Er fügte hinzu: Wenn er nicht bei der Polizei wäre, würde er die beiden töten. Er empfahl ihnen, das Land zu lassen, nach „Gayropa“ zu gehen, wie man in Russland das vermeintlich verlotterte Europa gerne nennt.

Die Männer waren verzweifelt. Zu zweit eine neue Wohnung in St. Petersburg zu finden, war unmöglich. Als Igor mit seinem Bruder sprach, der bereits seit 14 Jahren in Deutschland lebt, drängte er das Paar, Russland zu verlassen. Sie seien in Gefahr.


4 Tage versteckt bei einer Freundin

Igor und Pavel wollten ihr Land nie verlassen, doch schließlich entschieden sie sich für die Flucht. Sie zogen aus ihrer Wohnung aus und versteckten sich vier Nächte in der Wohnung einer Freundin, bis ihr Flug nach Deutschland ging.

Erstmal kamen sie bei Igors Bruder in Bamberg unter und stellten Antrag auf Asyl. Etwa ein Jahr lang lebten sie einer Flüchtlingsunterkunft in Wörth an der Donau im Landkreis Regensburg, zusammen mit muslimischen Flüchtlingen, viele davon aus Tschetschenien (wo Schwule systematisch verfolgt, gequält und z.T. getötet werden). Aus Angst vor homophoben Übergriffen gaben sich Igor und Pavel als Brüder aus.

Um in Deutschland anerkannt zu werden, lernten die Männer schnell Deutsch, um Arbeit zu finden und eine Wohnung zu bekommen. Sie nahmen Putzjobs an und mieteten schließlich eine Wohnung in Regensburg an – was nicht leicht war, ohne Dokumente. Aber sie integrierten sich gut. Igor fängt demnächst eine Ausbildung zum Steuerfachangestellten an; Pavel, von Haus aus Pädagoge, macht derzeit ein Praktikum und hat ebenfalls Aussicht auf einen Job.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Diskriminierung ist kein Grund, hier staatlichen Schutz zu erhalten.[/perfectpullquote]
Da die Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, im vergangenen Jahr sehr freundlich verlaufen war, hatten sie ein gutes Gefühl, erzählt Igor. Die Enttäuschung war dann groß, als beide im April dieses Jahres ihren Ablehnungsbescheid erhielten. Sinngemäß hieß es darin, Diskriminierung sei kein Grund, hier staatlichen Schutz zu erhalten. Dabei haben die Männer überzeugende Argumente, die über eine bloße Diskriminierung hinausgehen: Pavel war mal verheiratet – als eine Art Tarnung für sein Schwulsein – und hat eine Tochter. Die Brüder seiner Ex-Frau haben gedroht, ihn zu töten, weil er Schande über die Familie gebracht hat; auch übers Internet bedrohten sie ihn. Im Frühjahr des vergangenen Jahres wurde Igors Ex-Freund getötet, mit 22 Messerstechen – er war über ein Fake-Date bei Grindr in die Falle gelockt worden.

Die Männer klagen jetzt mit einem Anwalt gegen den Ablehnungsbescheid. Ende Juni hatte Pavel einen Termin am Regensburger Verwaltungsgericht, wo er vier Stunden lang über sein Sexleben habe reden müssen – im Rahmen einer öffentlichen Verhandlung. Der Richter wollte alles ganz genau wissen, erzählt Igor: wie, was, mit wem? Dabei gibt es Urteile, die solchen intimen Fragen untersagen, wenn jemand als Fluchtursache seine sexuelle Orientierung angibt.

Systematische Missachtung asylrechtlicher Vorgaben?

Auch Mitarbeitern des BAMF wird immer wieder vorgeworfen, nach Details zu fragen, die das Amt nichts angingen und nichts zur Sache täten. Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) sieht beim Umgang mit Asylgesuchen von Homosexuellen ein „strukturelles Problem“. Laut dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck lassen die Fälle eine systematische „Missachtung asylrechtlicher Vorgaben“ erkennen. „Jeder Mensch hat ein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, im Privaten wie im Öffentlichen. Das hat der Europäische Gerichtshof im November 2013 eindeutig entschieden […] Trotz aller Herausforderungen darf man vom BAMF erwarten, dass es diese Vorgaben zur Kenntnis nimmt und umsetzt. Alles andere ist schamloser Rechtsbruch“, so Beck. In Karlsruhe beschäftigt sich derzeit ein Theaterstück mit der Thematik.

Keine „unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ zu erwarten

Im Fall von Igor und Pavel sagte der Richter, er glaube den Männern nicht, dass sie ein Paar sind. Seinen Quellen zufolge gebe es auch keine Probleme für Schwule in Russland. Im Urteil des Regensburger Verwaltungsgerichts heißt es, das „Klima für sexuell Andersorientierte“ in Russland sei „rau und diskriminierend“. Trotzdem sei laut Richtermeinung keine „unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ nach der Abschiebung zu erwarten. Sein Vorschlag: Nach Moskau oder Sankt Petersburg ziehen, wo die Diskriminierung angeblich nicht so schlimm sei. Aber genau von dort kommen die Männer ja her.

Flüchtlinge
Diesen Brief erhielt Pavel am 6.6.2017 von seinen Anwälten (Foto: Screenshot)

Wir haben das Regensburger Verwaltungsgericht um eine Stellungnahme gebeten. Darin wird das Verhalten des Richters gerechtfertigt: „Den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben entsprechend hatte der Kläger im Rahmen dieser Verhandlung die Gelegenheit, sein flüchtlingsrelevantes Vorbringen zur Überzeugung des zur Entscheidung berufenen Einzelrichters noch näher darzulegen und zu begründen. Soweit der Richter zum Vorbringen des Klägers Fragen stellte, wurden diese ausweislich der Sitzungsniederschrift weder vom Kläger selbst noch von seinem an der Sitzung teilnehmenden Rechtsanwalt beanstandet.“ Mit anderen Worten: selber schuld, wenn man die Fragen beantwortet.

Präzedenzfall für die Oberpfalz

Das Paar steht in Kontakt mit anderen schwulen Russen und weiß von positiven Bescheiden aus Berlin, Köln, sogar Sachsen-Anhalt: Dort wurde zugunsten der Geflüchteten entschieden. In Bayern ist das anders. Für die Oberpfalz jedenfalls ist Pavel ein Präzedenzfall für die ganze Oberpfalz. Er und sein Freund kennen zwei weitere homosexuelle Russen, die vor der Abschiebung stehen. Auch sie warten gespannt, wie Pavels Geschichte ausgeht.

Das schwul-lesbische Zentrum Fliederlich in Nürnberg betreut rund 6o Fälle von homosexuellen Asylsuchenden aus verschiedenen Staaten. Zwar erhalte man beim Migrationsamt keine Auskunft über die Zahl homosexueller Asylsuchender, die nach Russland abgeschoben werden, sagt Michael Glas von Fliederlich gegenüber der SZ. Er habe aber zuletzt „ganz eindeutig“ den Eindruck, dass deren Asylanträge pauschal abgelehnt würden. Hätten 2016 noch acht Menschen Asyl bekommen, gab es in diesem Jahr nur Ablehnungen gegeben, so Glas. Er habe das Gefühl, „dass Bayern das mal wieder besonders rigoros handhabt“.

Am 25. Juli wird Pavels Prozess fortgesetzt.


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