Pet Shop Boys: «Manchmal hören wir Schlager»

Ihr neues Album finden sie sogar selber richtig gut

Pet Shop Boys: «Gedanken wie ‹War dein Leben gut?› oder ‹Hat dir was gefehlt?› schleichen sich heute öfter ein.» (Bild: Alasdair McLellan)
Pet Shop Boys: «Gedanken wie ‹War dein Leben gut?› oder ‹Hat dir was gefehlt?› schleichen sich heute öfter ein.» (Bild: Alasdair McLellan)

Die Pet Shop Boys waren lange nicht mehr so gefragt. Ihre Songs laufen in angesagten Filmen, sie touren erfolgreich und haben Ende April ihr Album «nonetheless» veröffentlicht. Wir trafen Neil Tennant (69) und Chris Lowe (64) im Londoner Büro ihrer Plattenfirma und unterhielten uns über alte Autos, Küchentänze und Schlager.

Neil, Chris, gerade ist eine ziemlich tolle Zeit, um die Pet Shop Boys zu sein, oder? Neil: Es ist immer eine gute Zeit, um die Pet Shop Boys zu sein (lacht).

Euer erster Nummer-1-Hit «West End Girls» feiert in diesem Jahr sein 40-jähriges Jubiläum, eure Tournee ist erfolgreich und geht in diesem Jahr weiter, ihr seid mit «Rent» gerade im Film «Saltburn» vertreten und mit «Always On My Mind» in «All Of Us Strangers», und jetzt kommt auch noch euer erstklassiges 15. Studioalbum «nonetheless». Neil: Wenn du das so aufzählst, fühle ich mich ganz gerührt. Aber es ist schön, und es ist wahr: Wir haben echt einen guten Lauf. Wir haben sonst so gut wie nie Musik in Filmen, und dann in zwei so grossartigen, das fühlt sich wirklich cool an. Und das Album finden wir sogar selber richtig gut.

Finden es wichtig und richtig, dass die Altersdiskriminierung in der Musik nachgelassen hat: die Pet Shop Boys (Bild: Alasdair McLellan)
Finden es wichtig und richtig, dass die Altersdiskriminierung in der Musik nachgelassen hat: die Pet Shop Boys (Bild: Alasdair McLellan)

Wann sind die neuen Lieder entstanden? Neil: Die meisten kamen während der ersten Coronamonate zur Welt, in denen wir viel Zeit und Lust hatten, an neuen Songs zu arbeiten. Der Himmel war blau, ständig schien in diesem Frühling die Sonne, man hatte keine Sorgen, irgendetwas zu verpassen.

Chris: Das Leben war wunderbar langsam. Es bestand daraus, viel spazieren zu gehen, im örtlichen Bauernladen frische Sachen einzukaufen, Mittagessen zu kochen. Druck und Stress waren völlig verschwunden.

In «Why Am I Dancing» geht es darum, trotz des Alleinseins eine gute Zeit zu haben. Neil: Der Song klingt melancholisch, hat aber eine irgendwie fröhliche Aura. Mir ist das Alleinsein nicht schwergefallen. Ich habe allein in der Küche getanzt, zu klassischer Musik oder zu dieser Playlist vom «Kompakt»-Label aus Köln. Es war ein eigenartiges, aber kein unangenehmes Gefühl, so viel allein zu sein, selbst für mich zu kochen und einen freien Tagesablauf zu haben.

Chris: Wirklich ein Jammer, dass du nicht gefilmt hast, wie du in deiner Küche mit dir selbst gefeiert hast.

Neil: Was bei mir in der Küche passiert, bleibt bei mir in der Küche (lacht).

Spielt «New London Boy», das musikalisch stark an eure frühen Songs erinnert, in der Zeit, als du frisch nach London kamst? Neil: Den Titel hatte ich schon lange im Kopf, und jetzt passte er zu der Musik, die Chris geschrieben hatte. Mich inspirierte David Bowies Song «The London Boys» aus dem Jahr 1970. Ich kam 1976 nach London und wusste, ich wollte ein Popstar werden. Wir alle trugen Glamrock-Klamotten und färbten uns die Haare.

Das ist der persönlichste und nostalgischste Song. Er handelt auch von der Nervosität und der Angst, die ich empfand, als ich mir meiner Homosexualität bewusst wurde und begann, mir einen Weg in dieses Leben zu bahnen.

Ein knappes halbes Jahrhundert später ist es kein grosses Thema mehr, was für eine Sexualität jemand hat. Neil: Für den einzelnen schon, aber als Gesellschaft haben wir in dieser Hinsicht viel erreicht.

Chris: Wobei es stark davon abhängt, wo auf der Welt du lebst. In Russland, dem Iran oder Uganda ist es die Hölle.

Ihr habt eine Wohnung in Berlin. Ist «The Schlager Hit Parade» vom Leben an eurem Zweitwohnsitz geprägt? Neil, du singst unter anderem die schönen deutschen Worte «Glühwein, Wurst und Sauerkraut». Chris: Wir sind von Schlagermusik sehr fasziniert. Einfach, weil das etwas ist, das ihr habt, und wir nicht.

Neil: In der Nähe unseres Berliner Apartments gibt es eine Bar, wo sie gerne Schlager spielen. Wir gehen manchmal dorthin, hören dieser irgendwie lächerlichen Musik zu und geniessen sie.

Habt ihr Lieblingsschlagerinterpreten? Chris: Die Flippers. Ich habe mal ein TV-Konzert mit denen gesehen. Die Musik ist gut produziert. Viele Schlagersongs entstehen in den «Hansa Studios», wo wir vor fünf Jahren unser Album «Hotspot» aufgenommen haben. Der Ort ist berühmt für Bowie und Depeche Mode, aber ich wäre nicht überrascht, wenn die Flippers auch schon dort waren.

Neil: Auf einer tieferen Ebene erkunden wir in dem Song, warum dieses Phänomen namens Schlager entstehen konnte. Meine These ist, dass die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg nur nach vorne und nicht zurückschauen wollten. Diese Musik ist quasi der Soundtrack zum Wirtschaftswunder und dem damaligen deutschen Aufbruch.

Pet Shop Boys
Pet Shop Boys

Pet Shop Boys

Mit dem Produzenten James Ford (Arctic Monkeys, Depeche Mode, Blur) hat das seit über vier Jahrzehnten erfolgreiche, legendäre englische Popduo ihr 15. Studioalbum «nonetheless» aufgenommen, das viel Wärme, Freude, Melodietrunkenheit und auch ein bisschen Nostalgie verströmt. Ihre Tour führt sie auch nach Mannheim (28. Juni), Hannover (29. Juni), Berlin (6. Juli).

Erlaubt ihr euch auf «nonetheless» mehr Rückschau und Wehmut als sonst? Neil: Vielleicht ein wenig. Diese Songs kommen von zwei älteren Herren und reflektieren deren Sicht aufs Leben. Gedanken wie «War dein Leben gut?» oder «Hat dir was gefehlt?» schleichen sich heute öfter ein als vor zwanzig oder dreissig Jahren.

Gedanken wie ‹War dein Leben gut?› oder ‹Hat dir was gefehlt?› schleichen sich heute öfter ein

Interessiert ihr euch noch für neue Musik? Neil: Doch. Mein Auto ist Baujahr 2000, also alt genug, um einen CD-Player zu haben. Ich kaufe mir gern CDs und höre sie dann dort. Ich will zum Beispiel Bescheid wissen, wie die neuen Alben von Taylor Swift oder Dua Lipa klingen, ich mag auch Bands wie The National oder The 1975, gerade erst habe ich das Boxset von Joni Mitchell komplett im Auto durchgehört, grossartig. Ich höre aber auch Klassik, am liebsten Stravinsky oder Mahler.

Chris: In meinem Auto habe ich sogar noch einen Kassettenspieler. Das ist aus den frühen oder mittleren Neunzigern. Ich will es so lange fahren, wie ich lebe.

Putzt ihr jeden Samstag eure Autos oder warum sind die so gut gepflegt? Neil: Das liegt daran, dass wir ein bisschen ausserhalb auf dem Land leben, und fast nur dort unterwegs sind. Wir möchten uns die Autos nicht in der Stadt ruinieren.

Chris: Ich fahre nicht mehr nach London rein. Diese City-Maut ist zu teuer und die Parkgebühren sind der Horror.

Warum habt ihr euch für den Produzenten James Ford entschieden? Chris: Wir lieben seine Arbeit mit Simian Movel Disco und den Last Shadow Puppets und finden es toll, wie er Keyboards und Streicher einsetzt, überhaupt ist James ein brillanter Musiker, er spielt Bass, Gitarre, Schlagzeug, eigentlich alles.

Vor allem aber ist er ein lustiger Vogel. Wir haben super viel gequatscht, ständig Kaffee getrunken und zu Mittag gegessen. Ein Wunder, dass wir zum Arbeiten gekommen sind (lacht).

In der Rockmusik kommen viele der erfolgreichsten Musiker*innen aus eurer Generation. Pop war lange was für junge Leute, aber auch das ändert sich. Spielt das Alter in der Popmusik noch eine Rolle? Neil: Ich denke nein. Der Pop ist gut darin zu akzeptieren, wer du bist. Ich finde es wichtig und richtig, dass die Altersdiskriminierung in der Musik insgesamt stark nachgelassen hat.

Die Rolling Stones und Paul McCartney sind 80 und erfolgreich wie eh und je. Wir bewegen uns auf der Bühne glücklicherweise weniger als Mick Jagger, aber auch uns hält dieses Leben jung und munter.

Neil, du wirst im Juli 70. Gibt es ein grosses Fest? Oder wirst du allein tanzen? Neil (lacht): Ein nettes Abendessen wird drin sein, gern auch mit Freund*innen. Was die rauschende Geburtstagsparty angeht, habe ich mich entschieden zu warten, bis ich – hoffentlich – 75 werde.

Die Sommer-Ausgabe der MANNSCHAFT ist da. Aussen bunt und innen bunter – mal informierend (über die Anti-LGBTIQ-Gesetze in Afrika), mal perspektivisch (polyamourös mit Baby), einfühlsam (über einen iranischen Fotografen) oder Rat gebend (bei Leiden der Libido). (Und, und, und!).

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