Zu schade für den Orchestergraben: Der nackte Fagottist
Für Musiker Laurens Zimpel ist die Arbeit als Aktmodell eine Form der Selbsterkundung
Der 33-jährige Laurens Zimpel ist stellvertretender Solofagottist des Philharmonischen Orchesters Regensburg. Der gebürtige Brasilianer zog im Alter von drei Jahren mit seiner grossen Familie nach Deutschland, studierte an der Musikhochschule Augsburg und bekam vor sieben Jahren einen Vollzeitjob am Theater Regensburg.
In letzter Zeit posierte er für verschiedene Fotografen und teilt seine expliziten Bilder auf Instagram. Damit sorgt er für Diskussionen unter Kolleg*innen – und bei Familienmitgliedern.
Wie entstand die Idee, eine Karriere als Fotomodell zu starten? Gute Frage. (lacht) Der grosse Wendepunkt war Corona. Da es plötzlich keine Konzerte und Opernaufführungen mehr gab, hatte ich viel Freizeit. Zunächst widmete ich mich meiner anderen grossen Leidenschaft: der Reparatur von Oldtimern. Aber dann brachte mich die Freundin einer Freundin mit einem Fotografen in Kontakt, der fragte, ob ich Interesse hätte, es als Model zu versuchen. Also sagte ich ja und merkte schnell, dass mir diese Arbeit sehr viel Spass macht. Sie hat in mir etwas verändert und mich auf eine Weise vorangebracht, von der ich mir wünschte, dass auch die Welt der klassischen Musik so voranschreiten würde.
Was genau war neu? Es war schön, mal im Rampenlicht zu stehen, denn als Fagottist sitze ich normalerweise unter der Opernbühne im Orchestergraben – im Dunkeln, wie ein Maulwurf. (lacht)
Was noch wichtiger ist: Das Modeln hat mich dazu gebracht zu überdenken, wie ich mich selbst sehe. Ich bin ein eher introvertierter Mensch. Für mich war es neu, mich so zu «präsentieren». Als Musiker musste ich viele Vorspiele absolvieren, eine der grossen Fragen dabei ist: Wie zeigst du dich, wie viel von dir gibst du preis, wenn du die Noten spielst, wie viele Emotionen lässt du zu?
Nachdem ich den Orchesterjob in Regensburg bekommen hatte, fragte ich mich, was als nächstes kommen könnte, als kreative Herausforderung. Das Modeln ist für mich solch eine kreative neue Herausforderung.
Es gibt verschiedene klassische Musiker, die sich über ihren Model-Look «verkaufen», Dirigenten wie Lorenzo Viotti oder Klarinettisten wie Andreas Ottensamer (MANNSCHAFT berichtete). Ist das ein legitimer Weg, klassische Musik einem neuen Publikum zugänglich zu machen? Ja, es ist eine Möglichkeit, der klassischen Musik ein anderes Image zu verpassen. Aber für mich ging es zunächst nicht darum, das Modeln mit der Musik zu verbinden. Obwohl die Verbindung da ist.
In der Welt der Musik bin ich ein kleiner Fisch im grossen Ozean. In der Welt des Männermodels hingegen habe ich aufgrund der Musik ein Alleinstellungsmerkmal. Und ich wollte sehen, wohin mich das führt. In den letzten Jahren war ich damit beschäftigt, Fotografen weltweit zu kontaktieren. Ich teste, wie es sich anfühlt, vor einer Kamera zu stehen, mit und ohne Fagott. Es hat mir immer Spass gemacht, Dinge zu tun, die nicht «gewinnorientiert» sind. Als Musikstudent musste ich so viele Jobs annehmen, um meine Rechnungen bezahlen zu können. Das war oft extrem anstrengend. Da ich jetzt Vollzeit in einem Orchester angestellt bin, kann ich mich entspannen und Dinge «nur zum Spass» tun. Deshalb zögere ich auch, einer Modelagentur beizutreten, denn das würde die Sache in eine ganz andere Richtung leiten.
Wie gross ist der Druck, für ein Shooting körperlich perfekt zu sein? Es hat mir schon immer Spass gemacht, an meinem Körper zu arbeiten, denn als Orchestermusiker sitzt man viel herum. Also suchte ich nach Möglichkeiten, mich zu bewegen. (lacht) Das Modeln ist ein guter Grund, mehr Sport zu treiben, um mich auf ein Shooting vorzubereiten. Es motiviert mich, härter zu trainieren. Ja, manchmal bin ich vor einem Shooting gestresst und kann in der Nacht davor nicht schlafen. Aber ich lerne, damit umzugehen und daraus etwas Positives zu machen.
Was sagen denn deine Orchesterkolleg*innen zu den Nacktfotos? David Bowie sagte mal: «Künstler*innen sollten niemals etwas schaffen, das die Erwartungen anderer erfüllt, immer ihre Komfortzone verlassen und sich ein wenig die Füsse nass machen.» Ich nehme das gern als mein Motto. Das Modeln holt mich aus meiner Komfortzone als Musiker heraus, mit einem festen Vertrag und maximaler Jobsicherheit bis zur Pensionierung.
Ein Kollege zwinkert mir zu, seit er mich auf Instagram entdeckt hat
Ich freue mich zwar sehr über meine jungen neuen Kollegen, die frischen Wind ins Orchester bringen, doch der Grossteil ist älter – und sagen wir mal konservativ. Viele nutzen Instagram nicht, deshalb sehen sie mich sowieso nie nackt, und diejenigen, die Instagram nutzen, kennen meinen Kanal nicht wirklich. Dennoch haben mich natürlich einige gefunden und folgen mir. In ihren Augen bin ich der «bunte» Revolutionär. Eine Kollegin liked regelmässig meine Posts und sagt mir, wie beeindruckt sie von meinen körperlichen und künstlerischen Fortschritten ist. Ein männlicher Kollege zwinkert mir zu, seit er mich auf Instagram entdeckt hat.
Was ist mit Ihrem grossen Chef, dem Intendanten des Theaters Regensburg? (lacht) Sebastian Ritschel wurde schon sehr früh auf mich aufmerksam. Und hat mich sofort kontaktiert. Zuerst machte ich mir Sorgen, aber er sagte, dass alles, was ich als Privatperson tue, völlig in Ordnung sei. Er ist mit seinem künstlerischen Programm in Regensburg sehr innovativ. Und er mag es, wenn er auch bei seinen Mitarbeiter*innen innovative Dinge sieht.
Bekommst du mehr Feedback von Frauen oder Männern? Ich würde gern sagen, es ist halb-halb. Manchmal kontaktieren mich Leute aus der Welt der klassischen Musik, und das macht mich glücklich. Denn das Fagott gilt oft als «verstaubtes» Instrument. Ich möchte etwas mehr Glamour in die Fagottwelt bringen. Ich muss allerdings zugeben, dass meine Follower grösstenteils männlich sind. (lacht)
Hast du Angebote aus der Pornoindustrie erhalten? Ich kann nachvollziehen, warum viele männliche Models Pornos reizvoll finden. Aber ich persönlich habe beschlossen, diesen Weg nicht zu gehen. Ich möchte auch nicht mit einer Erektion fotografiert werden. Aber während ich darüber nachdachte, was mein nächster Schritt sein könnte, fielen mir schon Dinge wie OnlyFans oder Patrion ein, Plattformen, auf denen es Cashflow statt nur «Likes» gibt (MANNSCHAFT berichtete). Das zusätzliche Geld wäre schön, denn das Leben in Regensburg ist teuer.
Viele Models haben ein Problem mit dem Älterwerden, da sie schnell als «nicht mehr begehrenswert» eingestuft werden können. Wie gehst du damit um? Wenn sich herausstellt, dass das, was ich gerade mache, nur eine Phase ist, dann bin ich sehr stolz auf diese Phase und auf das, was ich in kurzer Zeit erreicht habe. Ich bin mir sicher, dass ich in 40 oder 50 Jahren mit einem Lächeln auf all das zurückblicken werde. Aber auch «Best Ager»-Models inspirieren mich. Ich habe kürzlich mit jemandem zusammengearbeitet, der spät im Leben mit dem Modeln begann. Er hat viele Buchungen, ist sehr charismatisch und mein persönliches Vorbild.
Was sagt denn deine Familie zu den Fotos? Meine Familie könnte man als «traditionell» bezeichnen, meine fünf älteren Brüder und Schwestern haben viele Kinder. Manchmal zeige ich ihnen Sachen, aber meistens rede ich nur darüber, was ich tue. Ich habe eine Schwester, die eine kritische Bemerkung gemacht hat. Aber als ich ihr erklärte, warum ich mich auf diese Reise der Selbsterforschung begeben wollte, verstand sie mich. Und steht voll und ganz hinter mir, wie meine Eltern und alle anderen auch.
Während die meisten meiner Geschwister nicht auf Instagram sind, sind es ihre Kinder schon. (lacht) Und sie haben offensichtlich ihren Onkel gefunden. Vor einem Jahr waren zwei meiner Teenager-Nichten mit mir im Auto unterwegs und haben mit mir über meine Bilder gesprochen. Für sie bin ich der coole Onkel, der nicht so altmodisch ist wie … andere. (lacht)
Aber mir ist aufgefallen, dass einige jüngere Menschen erschreckend konservative «Werte» haben, von denen ich dachte, wir hätten sie schon vor langer Zeit überwunden (MANNSCHAFT berichtete). Deshalb sehe ich meine Posts auch als Gelegenheit, sie dazu zu bringen, einige ihrer Denkweisen zu hinterfragen.
Gibt es Fagottmusik, die du empfehlen kannst? Ich liebe Sergio Azzolini, wie er Vivaldis Fagottkonzerte spielt – es gibt 39 davon, und ich glaube, er hat sie alle aufgenommen! Generell bewundere ich den polnischen Countertenor Jakub Orliński, der Barockmusik mit Breakdance mischt. Das ist so cool. Ich wünschte, ich könnte mit meiner Fagottmusik das machen, was er mit der Barockoper getan hat.
Soll in Europa Sexkauf verboten werden? Was das für Sexarbeiter*innen bedeutet und warum nicht nur Konservative das gut finden, darüber sprachen wir mit Sabrina Sanchez, der Direktorin der European Sex Worker Rights Alliance (MANNSCHAFT+).
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