«Queere Vorbilder aus dem Balkan fehlen»
Das Comeback der «Shwulen Grüsse»
Nach vier Jahren im Printmagazin geht Predrag Jurisics Fortsetzungsgeschichte «Shwule Grüsse vom Balkan» online auf MANNSCHAFT.com weiter.
Predrag, was gab dir den Anstoss zur Kolumne «Shwule Grüsse»? Zum einen meine eigene Biografie und die Schwierigkeiten beim Coming-out. Zum anderen erlebte ich Geschichten von anderen Balkan-Gays, die ich spannend bis kurios fand. Beides wollte ich in einer autofikionalen Kolumne festhalten.
Was war dir wichtig, in der Kolumne anzusprechen? Die archaische Balkansicht auf Männer und Männlichkeit sowie die nach wie vor herrschende Schwulenfeindlichkeit, die es bi- oder homosexuellen Männern von dort immer noch schwer macht, zu sich zu stehen. Auf den Chatplattformen begegne ich nach wie vor Männern, die ein Doppelleben führen – eines für die Familie und ihr Umfeld, eines für ihr geheimes Ich. Ausserdem wollte ich in der Kolumne auch zeigen, dass die Menschen vom Balkan abseits des archaischen Männerbilds mit ziemlich ähnlichen Problemen zu kämpfen haben wie Menschen aus der westlichen Welt.
In deiner Kolumne verwendest du oft den Begriff «Jugo», der bei Leser*innen womöglich negativ konnotiert ist. Warum? Zum einen, weil ich bei den Leser*innen bewusste und unbewusste Vorurteile aktivieren möchte, sodass sie über den Begriff und darüber, was sie damit verbinden, reflektieren. Zum anderen, weil «Jugo» an sich kein negativer Begriff ist: Im ehemaligen Jugoslawien hat sich die Bevölkerung selbst als Jugos bezeichnet, was eine Abkürzung für Jugoslaw*innen ist. Das Wort jug bedeutet auf Albanisch, Bosnisch, Kroatisch, Mazedonisch, Serbisch und Slowenisch Süden. Demzufolge heisst Jugoslawien auf Deutsch übersetzt Südslawien.
Wenn jemand also eine Person als «geiler Jugo» bezeichnet, dann sagt sie «geiler Süden» zu dieser Person. Wer sich das mal vor Augen führt, merkt, dass jede noch so gewollte Beleidigung ins Leere läuft – selbst dann, wenn das Eigenschaftswort vor dem Jugo negativ ist. Damit beanspruche ich als gebürtiger Jugo den Begriff wieder für mich, ohne eine rassistische Beleidigung zu empfinden, wenn jemand eine solche äussern wollte. Denn die gewollte Beleidigung oder Diskriminierung löst sich mit diesem Wissen in Nonsens auf. Ich entmachte somit eine allfällig rassistisch motivierte Absicht
Welches Feedback hast du in den letzten Jahren zu «Shwule Grüsse» erhalten? Sehr positives: Die einen Leser*innen konnten sich mit den Geschichten identifizieren oder gratulierten mir zur gelungenen Darstellung einer Realität, die sie ähnlich erlebt hatten. Andere Leser*innen wünschten sich die Kolumne deutlich länger, weil sie einen Narren an Aleks und seiner Familie gefressen haben. Immerhin sind es doch sehr liebenswerte Figuren, auch wenn es manchmal dramatisch wird.
Wie geht es mit den «Shwule Grüssen» weiter? Ja, online auf MANNSCHAFT.com. Dort gibt es auch alle Folgen nachzulesen. Auch schwebt mir die Idee vor, aus der Kolumne eine TV-taugliche Serie zu erschaffen. Mal sehen, wohin mich Aleks und seine Familie hinführen.
Schwule Männer aus dem Balkan: Eine in den Medien unterrepräsentierte Gruppe? Durchaus. Es fehlen Vorbilder, die bi- und homosexuellen Männern vom Balkan Mut machen, zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen. Und auch, um das archaische Männerbild vom Balkan etwas aufzufächern.
Mächtig ohnmächtig: Neue Männlichkeit braucht das Land. Patriarchale Strukturen begünstigen imperiales Verhalten, das schlimmstenfalls in einem Krieg mündet, schreibt Jurisic in seinem MANNSCHAFT+-Essay – siehe Ukraine.
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