«Queer Eye kann gesellschaftlich viel verändern»
Seit dieser Woche auf Netflix
Nun gibt es also einen deutschsprachigen Ableger der US-amerikanischen Realityshow «Queer Eye» (MANNSCHAFT berichtete). Wir sprachen mit Work-Life-Coach Leni Bolt, Modemeister Jan-Henrik Scheper-Stuke und Beauty-Guru David Jakobs über Unterschiede und Gemeinsamkeiten von «Queer Eye Germany» mit dem kultigen Originalformat.
Leni, David, Jan-Henrik, wart ihr selbst «Queer Eye»-Fans, bevor ihr Teil der deutschen Version wurdet? David: Ich war schon von Anfang an ein riesengrosser Fan des Formats. Ich weiss alles über die Show und habe sie – als der Bewerbungsprozess lief – sogar noch ein zweites Mal durchgesuchtet. Für mich ist das ein wirklich wertvolles, bereicherndes Format.
Jan-Henrik: Same.
Leni: Ich kann mich nur anschliessen. Ein paar von uns hatten letztes Jahr ja sogar die Chance, Bobby aus der US-Version kennen zu lernen. Der war witzigerweise auf Mallorca, wo ich lebe. Ihn treffen zu dürfen war total cool, denn er ist ein echt liebenswerter Mensch.
Wie kam das Treffen denn zustande? Leni: Bobby war im Urlaub und hat einen Spanien-Rundtrip gemacht. Er hat mir auf Instagram geschrieben, weil er gesehen hatte, dass ich auf Mallorca wohne. Und dann haben wir uns einfach getroffen und Erfahrungen ausgetauscht. Zwischen der Arbeit der Fab Five in den USA und unserer gibt es ja einige Parallelen. Sie drehen zum Beispiel auch immer eine Woche mit den Alltagsheld*innen, genau wie wir. Ich fand es einfach schön, mich mit jemandem auszutauschen, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat wie wir.
Hat er euch denn Tipps gegeben, wie das nun werden wird, wenn eure Folgen endlich zu sehen sind? Leni: Auf jeden Fall hat er uns einen Ratschlag gegeben, den ich unbedingt beherzigen werde: Schaut euch nicht die Hate-Kommentare an. Das ist nämlich tatsächlich das einzige, wovor ich ein bisschen Angst habe. Schliesslich gibt es im deutschsprachigen Raum ja leider immer noch sehr viel Diskriminierung, Homophobie und Transphobie. Das wird die Schattenseite sein. Wir wollen natürlich Aufklärungsarbeit leisten für die LGBTIQ-Community, werden aber dabei wahrscheinlich auch auf ein bisschen Gegenwind stossen.
Die Show versucht sich ja in der Tat an einer Gratwanderung zwischen Unterhaltung und Aktivismus. Wie würdet ihr beschreiben, was «Queer Eye» im Idealfall bewirken kann? David: Ich glaube, dass die Show gesellschaftlich super viel verändern kann. Uns wird eine Plattform gegeben und wir haben sichergestellt, dass wir dem Publikum auch wirklich jedes Mal etwas mitgeben. Nicht nur in Bezug auf unsere Expertise, sondern auch menschlich. Viele Menschen haben gar keine Berührungspunkte mit queeren Menschen. Dadurch alleine bewirken wir also etwas. Aber wir helfen eben auch Menschen, die der gesellschaftlichen Norm entsprechen und Alltagsprobleme haben, mit denen sich viele identifizieren können. Das ist ein riesengrosses Gesamtpaket, und dass die Sendung dann auch noch witzig ist, ist die Kirsche auf dem Sahnehäubchen.
Und rührend ist die Show natürlich auch. Gleich in der ersten Folge kann man feuchte Augen kaum verhindern… Jan-Henrik: Diese Folge mit Björn ist aber auch gleich eine, wo sich wahrscheinlich jeder in seine Situation hineinversetzen kann. Jeder kann sich vorstellen, was für eine harte Aufgabe es ist, alleinerziehend zu sein und das Geld verdienen zu müssen. Wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, wartet da der Sohnemann auf ihn, und Zeit für sich hat er eigentlich nie. Mit solchen Alltagsheld*innen kann man sich wirklich sehr gut identifizieren – und davon haben wir fünf. Selbst wenn man selbst nicht in einer solchen Situation steckt, kennt man jemanden, dem es so geht. Das ist, glaube ich, der grosse Schlüssel für dieses Format bei uns.
«Natürlich sind wir auch queer, aber eben mit einer grossen Portion Selbstverständlichkeit.»
Aber erreicht man damit wirklich ein Publikum, das null Berührungspunkte mit der Community hat und nicht ohnehin schon aus Allys besteht? Jan-Henrik: Ich bin davon überzeugt, dass dies ein Format ist, das über die Grenzen der LGBTIQ-Community schwappen wird. Das ist ein so schönes Format – und für jeden greifbar. Es geht ja in erster Linie gar nicht um fünf Queers, sondern um fünf quirlige Menschen, die in das Leben einer Person kommen, die Hilfe braucht. Natürlich sind wir auch queer, aber eben mit einer grossen Portion Selbstverständlichkeit. Und das ist das wichtige, damit die Leute da draussen verstehen, dass das, was wir tun und wie wir sind, völlig normal ist. Unser Fachwissen ist normal, wir sind normal und wir treffen uns mit normalen Menschen, deren Leben wir eine Woche lang vollkommen durcheinanderbringen. Am Ende sind sie happy, nicht nur dank unserer Expertise, sondern auch dank unserer positiven Art.
Leni: Da kann ich Jan eigentlich nur zustimmen. Für mich ist das Schöne an dem Format auch, dass wir zwar alle unsere Queerness ganz selbstverständlich mitbringen, sie aber nicht der Fokus der Sendung ist. Denn im Zentrum stehen unsere Held*innen, denen wir helfen wollen. Das ist eine Sendung für alle, und alle können vom einen oder anderen Tipp profitieren.
David: Die ganze Queer-Community wird die Sendung ja sowieso schauen. Und der Rest der Welt kriegt FOMO («Fear of missing out», die Angst, etwas zu verpassen, Anm. d. Red.), wenn er nicht einschaltet!
Wart ihr selbst denn von Anfang an Feuer und Flamme für die Idee, bei «Queer Eye Germany» dabei zu sein? Leni: Ich bekam schon vor über zwei Jahren eine E-Mail mit der Frage, ob ich nicht bei einem Projekt dabei sein wolle, bei dem es um Makeover und Queerness gehe. Da ahnte ich gleich, dass es sich um eine deutsche «Queer Eye»-Version handeln könnte. Ich war sofort hooked, denn ich helfe Menschen gerne. Warum also nicht auch in einer Fernsehshow?
David: Bei mir war das ähnlich. Wobei wir wirklich lange nicht erfuhren, um welches Projekt es bei der Anfrage genau ging.
Jan-Henrik: Ich hatte vor «Queer Eye» bei n-tv die «Premium Lounge» moderiert und davor auf dem Jugendsender Joiz die Sendung «Lassen Sie uns über Mode sprechen». Eine Produzentin dort sprach mich an und fragte, ob sie nicht meinen Namen für dieses neue Projekt in den Ring schmeissen dürfe. Am Anfang habe ich gezögert, weil ich nicht unbedingt mit meiner Sexualität in die Öffentlichkeit gehen wollte. Das war einfach nicht meins. Ich wollte nur meinen Job machen und fühlte mich eigentlich nicht als Aktivist. Aber dann dachte ich mir, dass ich auch später noch sagen könnte: Nö, mache ich nicht.
In der letzten Castingrunde kamen dann rund 20 potenzielle Kandidat*innen zusammen und wurden getestet. Hat sich da schnell herauskristallisiert, dass ihr fünf gut miteinander harmoniert? Leni: Stimmt, da gab es zwei Castingtage, an denen verschiedene Gruppenkonstellationen ausprobiert wurden. Jan-Henrik und ich haben uns beim Mittagessen kennen gelernt und hatten viel Spass miteinander. David und ich kannten uns schon aus Berlin, was auch schön war, dann auf diesem Weg wieder zusammenzufinden.
David: Aljosha, Ayan und ich waren bei diesem Casting der letzten 20 schon in einem Team. Da gab es also gleich schon sehr viel Bonding.
Jan-Henrik: David und ich kennen uns schon seit sieben Jahren. Aber sehr lustig war auf jeden Fall der Moment Ende 2020, als wir alle erfuhren, dass wir genommen wurden. Da hatten wir einen Videocall, bei dem wir alle freigeschaltet wurden. Das war ein bisschen wie damals bei Rudi Carrell, nach dem Motto: Und hier ist ihr Herzblatt! Dann mussten wir erst einmal eine Stunde lang Gespräche führen, weil die Produzent*innen sehen wollten, ob wir zusammen so gut funktionieren, wie sie sich das vorgestellt hatten.
Leni: Als wir uns später kurz vor Drehbeginn erstmals in unserem Loft in Köln zu einem Workshop trafen, fanden wir dann wirklich schnell zusammen, finde ich. Wir fühlten uns auf einen Schlag als Familie. Und die Dreharbeiten haben uns natürlich zusätzlich zusammengeschweisst.
Apropos Dreharbeiten: Die werden ja in den seltensten Fällen in queeren Bubbles wie Berlin oder Köln stattgefunden haben. Habt ihr – ähnlich etwa wie die US-Kollegen in Texas – beim Drehen auch mal negative Erfahrungen gemacht und Anfeindungen erlebt? Leni: Ich erinnere mich eher an eine Situation, die eigentlich ganz süss war. Das war bei der Folge mit Eugen, dessen Freundin mich in einer Drehpause fragte: «Was bist du denn jetzt eigentlich, ein Mann oder eine Frau?» Dann musste ich natürlich erst einmal erklären, was es bedeutet nichtbinär und queer zu sein. Aber ich kann in solchen Momenten schon ganz gut unterscheiden, ob jemand so eine Frage diskriminierend meint und böse Absichten hat, oder es aber einfach nicht besser weiss. Und genau dafür ist diese Sendung ja auch da, nämlich um mehr Sichtbarkeit für uns zu schaffen.
Tatsächlich werdet ihr euch jetzt dank «Queer Eye» bald in einer Vorbildfunktion wiederfinden. Seid ihr bereit für die Aufmerksamkeit, die euch da erwartet? Kann man sich auf diese Verantwortung vorbereiten? David: Ich habe auf jeden Fall ein bisschen auf meinen Social-Media-Kanälen aufgeräumt, wo ich vorher oft sehr viel von mir preisgegeben hatte. Das sehr Private habe ich ziemlich zurückgefahren, einfach aus Selbstschutz.
Jan-Henrik: Ich lass das einfach erst einmal alles auf mich zukommen. Wie sagt man bei uns in Oldenburg? Wat kommt, dat kommt. Vorbereitet habe ich mich also nicht gross. Viel mehr als ich sind ja allerdings auch David, Leni oder Aljoscha als Aktivist Vorbilder. Die drei sind viel mehr prädestiniert, was Aufklärung angeht. Ich muss mich ja selbst manchmal noch von David verbessern lassen, wenn ich Fehler mache, etwa was Pronomen angeht. Das ist ja auch völlig normal. Nur weil man auch mal einen Fehler macht, muss man ja trotzdem keine Berührungsängste haben. Genau diese Angst wollen wir ja auch den Leuten nehmen.
Wie unterscheidet sich denn nun eigentlich «Queer Eye Germany» von der Vorlage? Leni: Von der Mentalität her, würde ich sagen. Im direkten Vergleich sieht man schon, dass wir im deutschsprachigen Raum ja doch immer etwas zurückhaltender und schüchterner sind. Das merkt man sowohl bei uns fünf als auch bei den Teilnehmer*innen. Da hatten wir schon manchmal ein bisschen mehr Arbeit, die Emotionen herauszukitzeln und deren Geschichten überhaupt erst zu erfahren. Aber dass wir ein bisschen eigenbrötlerischer unterwegs sind, wissen wir Deutschen auch – und das ist ja auch ganz charmant.
Auch das ist neu: ZDF-Satiriker Jan Böhmermann produziert einen «queer-feministischen Hochglanzporno» (MANNSCHAFT berichtete).
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