Pornfluencer – Als Paar mit privaten Sexfilmen (viel) Geld verdienen?

Eine neue Doku zeigt ein Pornopaar als Influencer*innen und Grossverdiener*innen

Die Pornfluencer Sven und Andy (Foto: Instagram / Svandyboyz)
Die Pornfluencer Sven und Andy (Foto: Instagram / Svandyboyz)

Das Phänomen «Paarpornografie» ist nicht neu – der Reiz liegt darin, dass echte Paare zeigen, wie sie «authentischen» Sex auf Augenhöhe haben und Zuschauende an ihrer Intimität teilhaben lassen.

Sie promoten sich auf Social Media und sind Influencer*innen in eigener Sache, die Kund*innen zu ihren Bezahlseiten locken. Um dann 10’000 Euro monatlich als Einstiegsgehalt zu verdienen. Regisseur Joscha Bongard hat eine Doku darüber gedreht.

Der Dokumentarfilm heisst «Pornfluencer» und erzählt in 74 Minuten die Geschichte von Jamie Young und Nico Nice aka Youngcouple9598 aka Andreea und Nico. Die beiden sind aus Deutschland ausgewandert ins Steueridyll Zypern. Dort leben sie jetzt mit Anfang 20 in einer spartanisch eingerichtete Mietvilla in den Bergen und drehen täglich – gleich nach dem morgendlichen Workout im eigenen Fitnessstudio. (MANNSCHAFT berichtete über die neuesten Trends im LGBTIQ-Porno.)

Neben den zirka 270 Filmen von sich als Paar – mit verschiedenen «Gästen», die sie zu sich ins Bett holen – sind sie damit beschäftigt, auf Instagram, Tiktok und anderen Social-Media-Plattformen auf sich aufmerksam zu machen, damit Menschen weiterklicken zu Youtube und idealerweise zu Twitter. Wo sehr viel freizügigere Fotos und Videos möglich sind als in Mark Zuckerbergs Meta-Universum mit der strikten Anti-Nacktheit-Haltung.

Das Plakat zum Film «Pornfluencer» (Foto: Salzgeber)
Das Plakat zum Film «Pornfluencer» (Foto: Salzgeber)

Von Twitter geht’s dann zu ihren bezahlungspflichtigen Videos. Anfangs haben Jamie und Nico ihre Filme über verschiedene «Tube»-Kanäle angeboten, die alle zum globalen Unternehmen Mind Geek gehören. Wir erfahren in der Doku, dass Mind Geek 75 bis 90 Prozent des Gewinns für sich behält. Jamie und Nico bekamen in ihrem ersten aktiven Online-Monat 10’000 Euro ausgezahlt – Regisseur Joscha Bongard rechnet vor, dass das bedeutet, dass mindestens 70’000 Euro Profit aus diesen Filmen bei Mind Geek hängen geblieben sind.

Der Eine-Million-Euro-Jahresplan fürs Leben Um diese gigantischen Summen nicht zu verschenken, haben Jamie und Nico inzwischen eine eigene Webseite eingerichtet, damit der volle Gewinn bei ihnen bleibt. Denn eines ihrer vielen «Goals» – im Sinne eines Einjahresplans für ihr Leben – ist, eine Million Euro in zwölf Monaten zu verdienen. Was für beide ein ganz selbstverständlich erreichbares Ziel zu sein scheint.

Regisseur Joscha Bongard sagt: «Ich gehöre vermutlich zu der ersten Generation, die seit ihrer frühen Jugend mit Internet-Pornografie aufgewachsen ist. In meiner Rolle als Konsument war ich in den letzten Jahren davon fasziniert, wie die Paar-Pornografie sich aus dem Amateurporno heraus professionalisierte und gleichzeitig die Pornodarstellenden Social Media für sich entdeckten.

Mein Interesse weckte dabei nicht nur, dass die Darstellenden sich dort selbst promoteten, Einblicke in ein ‹normales› Privatleben gaben und sich zu verschiedensten Themen äusserten, sondern auch, dass sie dort andere Produkte bewarben. Ist dies eine neue Generation Pornostars? Eine neue Generation Influencer? Und ist die Paar-Pornografie, die konsensuelle Pornoproduktion, die ethische Revolution der Pornoindustrie?»

Nico und Jamie in «Pornfluencer» (Foto: Salzgeber)
Nico und Jamie in «Pornfluencer» (Foto: Salzgeber)

Um das zu klären, schreibt Bongard Jamie und Nico an und erklärt, er wolle einen «sex-positiven, einfühlsamen und ehrlichen Film» über ein «verified couple» drehen. Die beiden Darstellenden willigen ein und lassen Bongard und sein Team zu sich ins Haus auf Zypern.

Queerfeministische Pornoexpertin Das Resultat (eine Produktion der Filmakademie Baden-Württemberg GmbH) hat Salzgeber jetzt als Kinofilm in den Vertrieb genommen, auch wenn es keine LGBTIQ-Doku ist. Denn: Jamie und Nico sind ein durch und durch heterosexuelles Paar. Und die vermeintliche «Stigmatisierung» von Pornografie, über deren Konsum laut queerfeminsitischer Expertin Sylvia Sadzinski «nicht wirklich öffentlich gesprochen» werde, ist sicherlich innerhalb der Schwulenszene und der LGBTIQ-Szene insgesamt nicht in dem Mass vorhanden, wie hier behauptet.

Mehr noch: In Artikeln, Büchern und Filmen/Serien zum LGBTIQ-Leben ist Porno – und neuerdings das Phänomen OnlyFans als Möglichkeit der Selbstverwirklichung – ein Dauerthema, aktuell zu bestaunen im Film «Fire Island», wo auch die Schattenseiten von OnlyFans behandelt werden. (MANNSCHAFT berichtete über den schwulen OnlyFans-Betreiber Chris Heart aus Berlin.)

Der 30-jährige Chris Heart, wie er sich mit Tattoo und Piercing auf seinem OnlyFans-Account zeigt (Foto: www.chrisheartbln.com)
Der 30-jährige Chris Heart, wie er sich mit Tattoo und Piercing auf seinem OnlyFans-Account zeigt (Foto: www.chrisheartbln.com)

Trotzdem ist die Heterogeschichte von Jamie und Nico auch für nicht-heterosexuelle Zuschauer*innen faszinierend. Nicht wegen des täglichen «Affirmations»-Trainings der beiden («Ich ziehe Geld magisch an» usw.), sondern wegen der aufgezeigten Mechaniken, wie das Geschäftsmodell «Paarpornografie» funktioniert – das ja auch schwule Pornfluencer wie Sven und Andy aus Nürnberg nutzen, mit denen MANNSCHAFT unlängst während der Gay Cruise von Spartacus sprach.

Die beiden 19-Jährigen sind gerade wegen der Steuervorteile von Franken nach London gezogen. Die von Jamie und Nico geschilderten Promotion-Schritte befolgen sie ebenfalls.

«Gut fürs Karma» So gehe es, laut Doku, darum, erst einmal auf Instagram mit vergleichsweise harmlosen Posing-Fotos und entsprechenden Hashtags auf sich aufmerksam zu machen und eine Followerschaft aufzubauen. Dabei tauchen Begriffe wie #eternallove oder #beyoursel oder #cute auf.

Nach einer Weile werden die Follower*innen weitergelockt zu einem stärker sexualisierten Account, mit Verlinkung zu YouTube und Twitter. Und von da geht’s dann zur Bezahlschranke für alle, die mehr sehen wollen.

In der Doku «Pornfluencer» erzählen Jamie und Nico, dass sie momentan mit dem vielen Geld zwar recht karg eingerichtet in einem Haus auf Zypern leben, aber der «Luxus» werde später kommen. Wenn die «Freiheit», die ihnen das Geld aus dem Paarpornogeschäft ermöglicht, gefestigt ist. Dann wollen sie auch mindestens 10 Prozent des Gewinns für gute Zwecke spenden – weil das fürs Karma gut sei und Erfolg nach aussen demonstriere. Und Erfolg ziehe mehr Erfolg «magisch an», erzählen die beiden.

Nico schildert, dass er nach der Realschule im Internet nach Geschäftsideen gesucht habe. Dadurch sei er via Google auf «Make Money out of Porn» gestossen. Er ist auch auf verschiedene «Pick Up»-Tutorials gestossen, in denen Männer anderen Männern erklären, wie man am besten Frauen anspricht. Nico sprach so die damals 18-jährige Jamie bei H&M an und überredete sie, seinen Pornotraum zu verwirklichen.

Nico und Jamie zeigen in «Pornfluencer», wie sie Instagram-Fotos auswählen (Foto: Salzgeber)
Nico und Jamie zeigen in «Pornfluencer», wie sie Instagram-Fotos auswählen (Foto: Salzgeber)

Hätte Nico im Schwulenporno eine Chance? Dass die beiden als relativ unauffällig wirkende junge Menschen so viele Fans haben, dass sie mit Einnahmen bis zu einer Million Euro im Jahr rechnen – mit Filmen, die ausstattungstechnisch «very basic» sind – ist eine weitere verblüffende Erkenntnis beim Anschauen von «Pornfluencer». Für eine Pornokarriere im Gay-Porn-Bereich hätte Nico schwerlich eine Chance, oder? Egal wie oft in der LGBTIQ-Szene von Inklusion die Rede ist und mehr Diversität. (MANNSCHAFT berichtete über einen 88-jährigen Ex-Priester, der in den USA unverhofft eine späte schwule Pornokarriere gemacht hat.)

Die beiden reisen viel, u.a. nach Prag und Budapest. Dort gebe es Agenturen für Frauen, die man für solche Filmprojekte buchen «bestellen» kann – «wie bei Amazon», erzählt Jamie. Für Nico sei das ein Traum, sein Sperma möglich breit gefächert in der Welt zu verteilen, denn so seien Männer nun mal evolutionstechnisch programmiert (seine Worte). Jamie hingegen war anfangs extrem eifersüchtig, finde die Dreier aber inzwischen gut für die Beziehung.

Jamie habe Probleme mit ihrem Selbstbewusstsein, berichtet sie. Und Nico sowie sein Affirmations-Training hätten ihr geholfen, sich selbstsicherer zu fühlen. Genau wie viele Schwule meinen, durch das Mitwirken in Pornos ihr eigenes Selbstwertgefühl als begehrenswerte Teile der Gay Community zu steigern – über die Bewunderung vieler für ihre perfekten Körper.

Die im Schwulenporno erfolgreich tätige Regisseurin Mr. Pam hatte das einst im Buch «Porn: From Andy Warhol to X-Tube» eindrücklich geschildert und berichtet, wie kurzlebig Pornokarrieren sind, weil körperliche Perfektion und der Neuheitseffekt schwer lange haltbar seien. Viele hochgehypte Männer hätten ein psychisches Problem damit, plötzlich nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen und Follower*innen (sowie Pornoengagements) zu verlieren. Ganz zu schweigen von gehässigen Kommentaren im Internet zu Alterserscheinungen, die niemand gern über sich liest. Und mit denen man umzugehen lernen muss, wenn man sich so exponiert.

Beziehungsprobleme  Vom Altern gesprochen: Jamie träumt davon, später Kinder zu haben und das Pornodrehen hinter sich zu lassen. Sie will dann vielleicht nur noch andere Frauen schminken und im Bereich Film-Editing arbeiten, weil ihr das jetzt schon Spass mache.

Nico hingegen geht auf diesen Kinderwunsch und einen möglichen Ausstieg vom gemeinsamen Paarsex vor der Kamera nicht ein. Denn er wolle bis an sein Lebensende Pornos drehen, erzählt er in einer prägnanten Szene im bekifften Zustand. Als einzigen echten Kommentar dreht Joscha Bongard ihm dabei den Ton ab. So endet die Doku.

Obwohl es grossartig ist, dass Jamie und Nico im Film so viel Zeit bekommen, ihre Geschichte zu erzählen und obwohl der Einblick in ihren Alltag (inklusive Pornodreh) spannend ist, fehlt in der Doku jeder Vergleich zu anderen Pornopaaren. Es wird auch nicht behandelt, ob die Situation eines Heteropaares wie Jamie und Nico grundsätzlich anders ist die von Paaren im LGBTIQ-Bereich. (MANNSCHAFT+ sprach mit dem schwulen Pornostar Hans Berlin aka Florian Klein über die Schwierigkeit, eine Beziehung mit einem Pornodarsteller zu führen.)

Eine solche LGBTIQ-Doku zum Thema wäre lohnend, und vielleicht wenden sich Joscha Bongard und Salzgeber ja als nächstens an «SvandyLove» aus Nürnberg, um ihre Geschichte einzufangen? Oder an die «real life» Pornopaare, die sich bei Romantic-Porn-Firmen wie CockyBoys präsentieren und dann entsprechend auf eigenen Seiten ihre zuhause gedrehten Paarfilme anbieten? Oder an Reno Gold, der zwar schon viele Interview gegeben hat, aber zu dessen Erfolgsgeschichte es keine Doku gibt.

OnlyFans-Suprstar Reno Gold auf dem Cover des britischen «Attitude»-Magazins (Foto: Taylor Miller / Attitude)
OnlyFans-Suprstar Reno Gold auf dem Cover des britischen «Attitude»-Magazins (Foto: Taylor Miller / Attitude)

Über die gigantischen Einkommensmöglichkeiten auf einem Markt, der mit OnlyFans-Betreiber*innen derart überflutet ist, hätte man in «Pornfluencer» auch ein bisschen mehr informieren können. Statt lediglich eine (!) queerfeministische Expertin zu Wort kommen zu lassen, so spannend es auch ist, Sylvia Sadzinski zuzuhören.

Der Film «Pornfluencer» kommt am 14. Juli in Berlin ins Kino und wandert dann durch verschiedene Städte in Deutschland und Österreich. Die Termine finden sich hier.

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