«Pinkwashing»-Kritik an EU-Kommission: Zu nachlässig mit Ungarn!
Auch Rumänien und Bulgarien würden geschont, kritisiert Forbidden Colors
Die LGBTIQ-Organisation Forbidden Colors prangert neue Erklärungen der Europäischen Kommission als «Pink Washing» an und fordert überfällige Massnahmen zur Verteidigung der Menschenrechte von LGBTIQ in der Union.
Am Mittwoch hat die Europäische Kommission zwei Vorschläge angenommen, die als «Gleichstellungspaket» bezeichnet werden (MANNSCHAFT berichtete). Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich bei Twitter stolz.
Forbidden Colors ist jedoch der Ansicht, dass diese «geringfügigen Massnahmen» nur dazu dienten, die allgemeine Untätigkeit der Europäischen Kommission zur Verteidigung der Rechte von LGBTIQ-Personen in der Union zu verschleiern.
Den von der Europäischen Kommission in den letzten Jahren angekündigten grossen Initiativen seien keine Massnahmen gefolgt: Das von der Kommission im Juli angekündigte Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ist noch immer nicht beim Gerichtshof der Europäischen Union eingereicht worden. Der von der Europäischen Kommission für 2021 versprochene Vorschlag, Hassreden und Hasskriminalität als EU-Verbrechen anzuerkennen, sei noch nicht in Sicht, heisst in einer Pressemitteilung: «Massnahmen zur Unterstützung der Rechte von LGBTIQ-Personen anzukündigen, aber nicht zu handeln, hat einen Namen. Es heisst ‹Pink Washing›.»
Forbidden Colors fordert die Europäische Kommission auf, längst überfällige Massnahmen zu ergreifen, um die Rechte von LGBTIQ in der Union zu verteidigen. Etwa durch die effektive Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Ungarn. Indem endlich der Vorschlag angenommen werde, die Liste der EU-Straftaten um Hassrede und Hassverbrechen zu erweitern. Und indem sichergestellt werde dass das bestehende Urteil des Gerichtshofs der EU zu Ehe und Elternschaft von Rumänien und Bulgarien eingehalten wird.
Im Juni 2021 verabschiedete Ungarn ein Gesetz – angeblich zum Schutz von Kindern – das direkt darauf abzielte, die LGBTIQ-Gemeinschaften zum Schweigen zu bringen (MANNSCHAFT berichtete). Dieses «Anti-LGBTIQ-Propaganda»-Gesetz, das von einem ähnlichen Gesetz kopiert wurde, das 2013 in Russland verabschiedet und jüngst verschärft wurde (MANNSCHAFT berichtete), verbietet die Darstellung von LGBTIQ-Personen und die Diskussion über queere Inhalte an allen Orten, an denen sich Kinder aufhalten könnten – also fast überall.
Bücher mit LGBTIQ-Charakteren dürfen nicht mehr in Buchhandlungen verkauft werden, die weniger als 200 Meter von Schulen oder Kirchen entfernt sind. Wenn diese aber verkauft werden, müssen sie mit einem Haftungsausschluss versehen werden, der besagt, dass sie Situationen «ausserhalb der traditionellen Geschlechternormen» darstellen. Vor 23 Uhr dürfen in keinem Medium LGBTIQ-bezogene Inhalte gezeigt werden. An Schulen kann keine umfassende Sexual- und Beziehungserziehung mehr angeboten werden.
Die abschreckende Wirkung des Gesetzes sei dramatisch. Da das Gesetz vage und undefinierte Begriffe wie «Darstellung» und «Verbreitung» von LGBTIQ-Inhalten verwende, sei es in seinen potenziellen Anwendungen weitreichend. Die Selbstzensur der Medien liesse alle LGBTIQ-Inhalte aus der öffentlichen Diskussion verschwinden. Lehrer*innen erwähnten LGBTIQ-Themen nicht und fürchteten, ihren Job zu verlieren, wenn sie es wagten, hilfesuchende LGBTIQ-Schüler*innen zu unterstützen. Eltern könnten sogar mit strafrechtlichen Sanktionen rechnen, wenn sie ihren eigenen Kindern Zugang zu LGBTIQ-Inhalten gewähren, erläutert die Organisation in ihrer Mitteilung.
Obwohl dieses Gesetz eklatant gegen die Charta der Grundrechte der EU sowie EU-Richtlinien zu Dienstleistungen und Medien verstosse, dauerte es bereits ein Jahr, bis die Europäische Kommission im Juli 2022 ankündigte, dass sie erwäge, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten.
Doch fünf Monate nach der Ankündigung sei das Vertragsverletzungsverfahren immer noch nicht beim Gerichtshof der Europäischen Union eingereicht, so Forbidden Colours.
Derweil blockiert Ungarn wegen des Streits um das mögliche Einfrieren von EU-Milliarden füumfangreiche Finanzhilfen für die vom Krieg gebeutelte Ukraine. «Es ist bedauerlich, dass wir heute keine Entscheidung getroffen haben über die unverzichtbare finanzielle Hilfe für die Ukraine», sagte der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP) nach einem Treffen mit seinen EU-Kolleg*innen am Dienstag in Brüssel. «Das verantwortet Ungarn.»
Die EU-Kommission hatte vergangene Woche empfohlen, Corona-Hilfen und andere Fördermittel für Ungarn erst dann freizugeben, wenn die rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán Versprechen zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit komplett umsetzt. Insgesamt geht es um etwa 13,3 Milliarden Euro.
Vor diesem Hintergrund hat Ungarn die Entscheidung über die Ukraine-Hilfen, die einstimmig getroffen werden muss, blockiert (mit dpa)
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