Spritzen mit Silikon: «Wer unter Verformungen leidet, versteckt sich»
Trotz gefährlichen und möglicherweise tödlichen Nebenwirkungen spritzen sich einige Männer Silikon in Penis und Hoden
Im Streben nach dem ultimativen Gemächt spritzen sich einige Männer Kochsalzlösungen oder Silikon in Penis und in Hodensack. Eine unsachgemässe Handhabung kann jedoch irreversible Schäden zur Folge haben oder gar zum Tod führen.
Eine Brustvergrösserung für die Frau ist längst salonfähig geworden. Die Schönheitschirurgie hat die pralle Oberweite für die breite Masse kommerzialisiert und bietet den Eingriff teils schon ab einem niedrigen vierstelligen Betrag an. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz steht die Brustvergrösserung auf Platz zwei der beliebtesten ästhetischen Eingriffe.
Interessanterweise stufen Fachpersonen Männer mit dem Wunsch nach einem grösseren Penis aber anders ein. Die Autor*innen einer 2006 veröffentlichten Studie führen die Unzufriedenheit mit der eigenen Penisgrösse auf eine Dysmorphophobie zurück – auf eine Wahrnehmungsstörung des eigenen Körpers – und empfehlen den Betroffen statt eines operativen Eingriffs eine psychologische Beratung. Dies, weil die 42 Patienten, die sie im Rahmen ihrer Studie untersuchten, «oft unrealistische Erwartungen an das operative Ergebnis» hatten.
Der Penis – kein simples Konstrukt Ästhetische Eingriffe am Penis sind im Vergleich zu Brustvergrösserungen um einiges komplexer und unberechenbarer. Schliesslich soll das beste Stück nicht nur gross wirken, sondern auch weiterhin in erigiertem Zustand stabil und einsatzfähig bleiben. Ein operativer Eingriff kann beispielsweise nur die Länge im schlaffen Zustand, nicht aber im erigierten Zustand vergrössern, denn eine Verlängerung der Schwellkörper ist technisch nicht möglich.
Diverse Praxen für Schönheitschirurgie bieten eine Behandlung mit Eigenfett und Fillermaterial an, die vor allem den Umfang des Penis, aber auch die Länge um einige Zentimeter erhöhen können. Der Eingriff ist ambulant, die Ergebnisse sind jedoch nicht dauerhaft, da der Körper das Fillermaterial nach einigen Monaten wieder abbaut. Die Kosten bewegen sich im vierstelligen Bereich.
«Pornoverseuchte» Lust auf mehr Hohe Kosten für nur wenige, kurzfristige Zentimeter schrecken einige Männer ab. Stattdessen greifen sie zu einer Kochsalzlösung oder flüssigem Silikon und spritzen es in den Hodensack und in den Penis. Die Praxis ist in der Fetischszene beliebt, etwa in der BDSM-Szene oder bei Fans der Körpermodifikation, besser bekannt unter dem englischen Begriff «Body Modification». Es kommen aber auch Männer auf ihre Kosten, die einfach grössere Geschlechtsorgane haben wollen.
Einer von ihnen ist Martin, Anfang 30, aus dem Bundesland Hessen. «Ich bin wahrscheinlich so ein typisches Opfer der ‹pornoverseuchten› Generation», sagt er gegenüber MANNSCHAFT. «Immer mehr, immer grösser. Dieser Wunsch wollte mir einfach nicht aus dem Kopf.»
Mit der Penisvergrösserung hatte er sich bereits seit rund zehn Jahren beschäftigt, bevor er schliesslich zum sogenannten Silikoner wurde. In einem einschlägigen Forum – in dem er sich als Moderator und schliesslich als Administrator betätigte – informierte er sich über gängige Methoden, darunter etwa Zug- und Druckübungen sowie den Einsatz von Pumpen. Diese vermittelten ihm einen ersten Eindruck, wie gross sein Penis werden könnte. Über eine Datingplattform für Homosexuelle lernte Martin schliesslich jemanden kennen, der Silikoninjektionen durchführte. Die Praxis ist in der Schweiz und Deutschland verboten. Daher will Martin den Namen seines «Operateurs» sowie seine Quelle für das verwendete Silikon nicht erwähnen.
Gefährliche Nebenwirkungen Eine Injektion mit flüssigem Silikon birgt viele Risiken. Gerät das Material in die Blutbahn, können Lungenembolien entstehen, die zu einem sehr schmerzhaften Tod führen. Unsauberes Arbeiten begünstigt eine Infektion oder eine Entzündung, ebenfalls möglich sind allergische Reaktionen oder die Bildung von Nekrosen, also das Absterben von Gewebe. Nebenwirkungen können selbst dann auftreten, wenn das Silikon bereits über eine längere Zeit im Körper ist. Dazu zählen beispielsweise unschöne Silikonverteilungen sowie Verhärtungen und Verklumpungen, die mit viel Zeitaufwand wegmassiert werden müssen. Bei den Geschlechtsorganen drohen zudem Verstümmelungen sowie Impotenz. Die vielen Risiken und Nebenwirkungen haben schliesslich dazu geführt, dass das Spritzen von flüssigem Silikon verboten ist.
«Man darf sich nicht falschen Illusionen hingeben», sagt Martin. «Die bekannten Bilder von Monsterpenissen sind nur die halbe Wahrheit. Diejenigen, die etwa unter Verformungen leiden, zeigen sich natürlich nicht öffentlich.» Wer als Silikoner erfolgreich sein wolle, müsse «Jahrzehnte des Massierens, Pumpens und Injizierens» investieren.
Ein unter Silikonern und BDSM-Anhängern bekannter Fall ist der Tod des Bloggers Jack Chapman alias Tank Hafertepen im Oktober 2018, der selbst in den Mainstreammedien eine Erwähnung fand. Als offizielle Todesursache gilt Lungenversagen aufgrund von Silikonpartikeln. Gemeinsam mit seinem Partner Dylan Hafertepen hatte der 28-jährige Australier einen Blog betrieben, in dem er über ihr Beziehungsleben schrieb und sich von den Followern zu mehr Silikoninjektionen animieren liess.
Auch Kochsalzlösungen sind mit Risiken verbunden Gängige Mittel zur Hodensackvergrösserung sind ebenfalls Glucose- oder Kochsalzlösungen, die im Gegensatz zu Silikon vom Körper wieder abgebaut werden, meist bereits innerhalb weniger Stunden. Doch auch hier können an den Injektionsstellen Entzündungen und Nekrosen entstehen. «Die Flüssigkeit ist zwar unbedenklich, nicht aber das wiederholte Einstechen mit der Nadel», sagt Thomas, der aus dem Raum Nordrhein-Westfalen stammt und nicht mit richtigem Namen erwähnt werden will. Der heute 42-Jährige hatte während mehrerer Jahre aufgrund von Kochsalzlösungen immer wieder mit Infektionen und abgestorbenem Gewebe zu kämpfen. 2013 beschloss der ausgebildete Pflegefachmann, sich Silikon zu spritzen. Heute trägt er 160 Milliliter Silikon im Penis und 600 Milliliter im Hodensack – und ist zufrieden damit. «Ich habe mir ein Ziel gesetzt und das habe ich mit dreimal Spritzen erreicht.»
Der Umfang einer 1,5-Liter-Flasche Martin aus Hessen hat sich insgesamt 300 Milliliter Silikon in den Penis und 700 Milliliter in die Hoden gespritzt. Gemäss eigenen Angaben ist sein Penis in erigiertem Zustand mit dem Durchmesser einer 1,5-Liter-Flasche vergleichbar. Die Grösse hat ihren Preis: Das notwendige medizinische Silikon ist teuer, pro Injektion bewegen sich die Kosten im drei- bis vierstelligen Bereich. «Mein derzeitiges Grössenformat hat mich schon weit über 2000 Euro gekostet!», sagt er. Nebst den gesundheitlichen Risiken und dem Kostenfaktor hat der Grössenwahn auch weitere Schattenseiten. «Sex ist mit meiner jetzigen Grösse schon nicht mehr möglich. Und quasi lebenslang auf Sex zu verzichten, zumindest als Aktiver, ist schon ein grosser Schritt.» Zudem seien viele Silikoner auf Penisringe angewiesen, um dem Penis eine Form zu geben und optisch vom Hodensack abzugrenzen.
Mit grossem Aufwand und hohen Kosten lässt sich das injizierte Sillikon von einer medizinischen Fachperson entfernen, allerdings mit ungewissen Erfolgsaussichten. «Daher sollte man sich äusserst intensiv in die Thematik einlesen und sich genau überlegen, ob man diesen Weg gehen will.»
Ein silikoniertes Gemächt hat auch Auswirkungen auf das Privatleben. «Das berufliche, soziale und familiäre Umfeld muss die Veränderungen aushalten und mitmachen», sagt Martin. «Ich hatte Glück, meine Freunde, mein Chef und meine Familie haben sich nichts anmerken lassen, obwohl die Beule in der Hose mehr als auffällig ist.»
Im Sitzen falle sie zum Glück weniger ins Auge und im Fitnessstudio ziehe er weite Hosen an, um keinen Ärger mit anderen Trainierenden oder dem Besitzer zu riskieren, wie es beispielsweise bei Bekannten von ihm geschehen war.
Ablehnung und Faszination In der Öffentlichkeit präsentiert Martin seine Beule – in Silikonerkreisen «Bulge» genannt – in der Hose jedoch ziemlich deutlich und liberal. «Mich reizt es, in so einem Tabubereich optisch aufzufallen und das breite Spektrum an Reaktionen der Leute zu beobachten», sagt er. Von Ignorieren bis zu fasziniertem Draufstarren war in der Offentlichkeit schon alles dabei. «Aber wirklich darauf angesprochen hat mich noch keiner. Vielleicht, weil sich niemand traut.» Auch in schwulen Saunen seien die Reaktionen breit gefächert, würden jedoch bezüglich Ablehnung und Faszination deutlicher ins Extreme fallen.
Martin will auch weiterhin Silikon spritzen. Eine Grenze nach oben habe er sich nicht gesetzt. «Ich versuche aber, realistisch zu bleiben, denn mein Körper und mein befreundeter Operateur, der die Nadel setzt, werden Grenzen setzen.» Martin betreibt auch engagiert Kraftsport im Bereich des Strongman-Sports, würde sich jedoch die Muskeln nicht aufspritzen lassen. «Im Gegensatz zum Penis lässt sich die Muskulatur mit entsprechendem Training um einiges vergrössern.» Den Ansprüchen, die er an sich selbst stellt, muss sein Wunschpartner nicht gerecht werden. Dieser soll nicht silikoniert sein und muss auch nicht intensiv ins Fitnessstudio gehen. «Charakter ist mir viel wichtiger.»
Unterstütze LGBTIQ-Journalismus
Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!
Das könnte dich auch interessieren
Schweiz
LGBTIQ-Helpline: «Die Feiertage sind für viele nicht leicht»
Während der Feiertage bleibt die LGBTIQ-Helpline erreichbar. Man wolle zum Zuhören da sein, sagt der Verantwortliche Milo Käser.
Von Greg Zwygart
LGBTIQ-Organisationen
Fitness
Muskelsucht unter schwulen Männern: Wenn dich das Spiegelbild trügt
In den sozialen Medien präsentieren Männer ihre durchtrainierten Körper vor Millionen von Menschen. Um ihnen nachzueifern, greifen Follower sowohl zur Hantel als auch zu Steroiden. Mit gravierenden Konsequenzen für Körper und Psyche.
Von Greg Zwygart
Lifestyle
Sport
Soziale Medien
Schwul
Gesundheit
Interview
«Eine Unzufriedenheit mit dem Körper gehört zum Geschäftsmodell von Gyms»
Roland Müller ist Angebotsleiter für Muskel- und Fitnesssucht bei der Fachstelle Prävention Essstörungen Praxisnah (PEP) des Inselspitals Bern. Wir sprachen mit ihm über Dysmorphophobie.
Von Greg Zwygart
Lifestyle
Sport
Soziale Medien
Schwul
Gesundheit
Kolumne
Alter Ego: Die ach so gute Stimme der Vernunft
Unser Autor berichtet in seiner «Alter Ego»-Kolumne* von einem unendlichen Montag im Kundenservice-Karussell.
Von Mirko Beetschen
Kommentar