«Patricia Highsmith wollte nicht als Gay-Autorin verkauft werden»

Die Schriftstellerin war voller Widersprüche: mal ausgelassene Partygängerin, mal einsame Katzenlady

Ihr Leben lang wollte sich Patricia Highsmith nicht in eine Schublade stecken lassen. (Bild: Filmcoopi/Courtesy Family Archives)
Ihr Leben lang wollte sich Patricia Highsmith nicht in eine Schublade stecken lassen. (Bild: Filmcoopi/Courtesy Family Archives)

Mit ihren Ripley-Romanen erlangte Patricia Highsmith (1921–1995) Weltberühmtheit (letztes Jahr wäre sie 100 geworden – MANNSCHAFT berichtete). Den lesbischen Kultroman «Carol» schrieb sie hingegen unter einem Pseudonym. Der neue Dokumentarfilm «Loving Highsmith» beleuchtet nun ihr Privat- und Liebesleben. Wir sprachen mit Regisseurin Eva Vitija.

Eva, als Kind hast du im Tessin Urlaub gemacht und gehört, dass im Dorf eine berühmte Schriftstellerin mit ihren Katzen lebt. Wie wurde aus dieser Anekdote Jahre später ein Film? Damals hatte ich natürlich noch nicht die geringste Vorstellung davon, wer Patricia Highsmith tatsächlich war. Später habe ich dann angefangen, sie zu lesen, und nach meinem letzten Film ist sie mir quasi wieder über den Weg gelaufen. Da habe ich dann nachgeguckt, ob es eigentlich schon Kinofilme über sie gibt. Zu meinem Erstaunen gab es tatsächlich keinen. Wobei, so verwunderlich ist das eigentlich auch wieder nicht, denn bei Frauen ist das ja öfter der Fall, selbst wenn sie sehr bekannt sind. Da gibt es noch ein ganzes Universum an tollen Filmen, die gedreht werden wollen.

Was heisst denn: Highsmith ist dir wieder über den Weg gelaufen? Ich habe irgendwann realisiert, dass ihr gesamter Nachlass in der Schweiz lagert. Dieser riesige Schatz wurde komplett ins Literaturarchiv in Bern gegeben, was eine erstaunliche Ausnahme ist, denn normalerweise findet man dort nur landessprachliche Autor*innen. Ich bin dann dorthin und habe mich sofort auf die damals noch unveröffentlichten Notizbücher gestürzt. Die Tagebücher waren sogar noch gesperrt, die konnte ich erst kurz vor Drehbeginn überhaupt einsehen.

In «Loving Highsmith» konzentrierst du dich gar nicht so sehr auf die Schriftstellerin Patricia Highsmith, sondern auf ihr Privat- und Liebesleben. Warum dieser Ansatz? Mich hat dieser extreme Widerspruch fasziniert, den ich in ihren Notizbüchern zwischen der öffentlichen Person und der privaten Patricia Highsmith entdeckt habe. Die ungefilterten Alltagsgedanken und Erfahrungen, die sich dort fanden, gingen weit auseinander mit dem, was ich über sie und ihre Literatur wusste. Und gleichzeitig realisierte ich sehr schnell, dass ihr Werk von diesen privaten Themen geradezu getränkt ist, nur eben sehr kodifiziert und verklausuliert. Abgesehen davon wollte ich keinen Expertenfilm machen, denn den kann man auch in 100 Jahren noch drehen. Jetzt hatte ich noch die Möglichkeit, ihre Freundinnen zu interviewen, die noch kaum jemand befragt hatte.

Waren diese Frauen leicht davon zu überzeugen, bei deinem Film mitzumachen? Erst einmal war es oft gar nicht einfach herauszufinden, wer sie eigentlich waren. Einige waren in den Notiz- und Tagebüchern anonymisiert, andere hatten Allerweltsnamen à la Anne Smith. Und diese Generation existiert ja noch nicht komplett im Internet. Es gab eine Frau im Speziellen, eine verheiratete Frau in Grossbritannien, mit der Highsmith eine Beziehung hatte, deren Namen ich lange nicht herausfand. Auch die anderen Freundinnen wollten ihn mir nicht verraten, da gab es eine absolute Solidarität und eisernes Schweigen. Man outete niemanden, auch nicht im Nachhinein. Irgendwann ist der Name jemandem aus Versehen entwischt, so konnte ich dann relativ schnell ihre Adresse eruieren. Allerdings war sie ein paar Monate zuvor gerade gestorben.

Waren die Frauen, die du ausmachen konntest, auf Anhieb zur Mitarbeit bereit? Eigentlich musste ich alle noch ordentlich überreden, denn da gab es schon viel Skepsis. Die meisten dieser Frauen haben ja ihr Leben lang ihr Privatleben nicht öffentlich gemacht, meist nicht einmal gegenüber ihrer Familie. Es widerstrebte ihnen, ihre Geschichte mit Highsmith für einen Film an die Oberfläche zu zerren. Am meisten war das eigentlich bei Highsmiths früherer Lebensgefährtin Marijane Meaker der Fall, auch wenn das nun im Film gar nicht so wirkt. Hier aber aus anderen Gründen: Sie hatte bereits ein Buch über ihre Zeit mit Highsmith geschrieben und eigentlich kein Interesse, alles für den Film noch einmal zu wiederholen. Ich habe sie mehrmals besucht und wir haben ganz offen gesprochen, aber mitmachen wollte sie nicht und hatte auch nie wirklich zugesagt. Irgendwann standen wir einfach mit der Kamera bei ihr vor der Tür – und dann hat sie uns doch noch ein Interview gegeben.

Du hast auch mit Familienmitgliedern gesprochen, genauer gesagt mit der Schwiegertochter ihres Cousins, den Highsmith «Brother Dan» nannte, und deren Kindern. Die drei scheinen vieles über Highsmith gar nicht gewusst zu haben . . . Als ich das erste Mal bei ihnen in Texas auftauchte, hatten sie wirklich keine genaue Vorstellung davon, wie bekannt Highsmith in Europa ist. Das hat mich schon erstaunt. Sie wussten schon, dass es Hollywood-Verfilmungen gab. Aber dass sie als Autorin wirklich so eine Grösse hat, war ihnen nicht so ganz klar.

Woran liegt das? In den USA wurde und wird sie eigentlich fast nur als reine Krimiautorin verkauft. Dort hatte sie nie das gleiche Standing wie bei uns, obwohl ihre Bücher ja wirklich viel mehr als Krimis sind. Deswegen war es mir auch immer ganz wichtig, dass mein Film auch in den USA herauskommt.

«Highsmith wollte nicht in der Ecke der Homosexuellen-Literatur landen»

War Highsmiths Homosexualität auch ein Problem für ihre Familie? Ich glaube, es wurde einfach nie darüber gesprochen. Es war tabu. Vor allem natürlich in ihrer eigenen Generation, auch wenn es die meisten sicherlich wussten. Bei denen, mit denen ich sprechen konnte, hatte ich aber nicht den Eindruck, dass sie ein grosses Problem damit hatten. Highsmiths «Brother Dan» hatte übrigens auch einen schwulen Ziehsohn, der AIDS-Aktivist war und einen Schwulen-Cowboyclub in Dallas hatte. Seine Zieheltern wussten das alles nicht oder wollten es offensichtlich nicht wissen.

Literarisch gesehen blieb «Carol» alias «The Price of Salt» lange ihr einziges queeres Werk. Kurz nach ihrem Tod folgte dann noch der in der Schwulenszene spielende Roman «Small g: A Summer Idyll». Im Film deutest du an, dass sie durchaus immer mal wieder Pläne für mehr hatte. Einerseits gab es immer mal wieder Pläne, andererseits auch einen Widerwillen. Wie so oft bei Highsmith also: Ambivalenzen! Es gibt zum Beispiel ein Romanmanuskript, das im Archiv lagert. Das bricht nach 40 Seiten ab, deswegen ist es unveröffentlicht. Da ging es um eine ältere, verheiratete lesbische Frau, die ihrem Ehemann all ihre lesbischen Liebesbeziehungen seit der Jugend beichtet. Das erschien mir schon sehr autobiografisch angehaucht, mit vielen eigenen Erfahrungen.

Den lesbischen Kultroman «The Price of Salt» veröffentlichte Patricia Highsmith unter Pseudonym. (Bild: Bild: Ellen Rifkin Hill, Courtesy Swiss Social Archives)
Den lesbischen Kultroman «The Price of Salt» veröffentlichte Patricia Highsmith unter Pseudonym. (Bild: Bild: Ellen Rifkin Hill, Courtesy Swiss Social Archives)

Und woher kam dann dieser Widerwille? Sie wollte einfach auf keinen Fall in der Ecke der homosexuellen Literatur landen. Aber sie sträubte sich eben ganz allgemein gegen Schubladen und wollte entsprechend weder als Gay-Autorin noch als Krimiautorin verkauft werden.

Völlig hypothetische Frage, aber hätte Highsmith die «Carol»-Verfilmung von Todd Haynes vor ein paar Jahren gefallen? Ich glaube, den Film hätte sie gemocht. Nicht zuletzt weil Cate Blanchett genau ihrem Frauentyp entsprach. Kühl, blond, elegant – das hat ihr schon in ihrer Jugend gut gefallen.

Gemäss Eva Vitija verkörperte Cate Blanchett (rechts) in «Carol» Patricia Highsmiths Typ: kühl, blond, elegant. (Bild: Studio Canal)
Gemäss Eva Vitija verkörperte Cate Blanchett (rechts) in «Carol» Patricia Highsmiths Typ: kühl, blond, elegant. (Bild: Studio Canal)

Im Film zeigst du ein TV-Interview, in dem sie gefragt wird, ob sie glücklich sei. Ihre Antwort lautet: «Mainly», also: grösstenteils. War Highsmith nicht auch schrecklich einsam? Oder war ihr Alleinsein doch selbst gewählt? Nein, selbst gewählt war das nicht, glaube ich. Ich denke schon, dass sie sich nach einer festen, längeren Beziehung gesehnt hat. Gleichzeitig haben sie diese, wenn sie sie hatte, nie wirklich inspiriert. Schwierige Konstellationen oder Sehnsuchtsbeziehungen waren für sie als Schriftstellerin immer sehr viel anregender. Wenn sie harmonisch mit einer Frau zusammenlebte, wurde ihr schnell langweilig – und manchmal hat sie das dann auch beendet. Davon abgesehen habe ich den Eindruck, dass es bei ihr auch eine gewisse Zufriedenheit in Bezug auf ihr Schaffen gab. Gleichzeitig darf man natürlich nicht vergessen, dass sie schwere Alkoholikerin war und immer diese selbstzerstörerischen Anteile, Selbstzweifel und wohl ein grosses Schuldgefühl mit sich herumtrug.

Es ist kein Geheimnis, dass bei Highsmith immer wieder auch antisemitische und rassistische Tendenzen zu beobachten waren. Auch dieses Thema findet in «Loving Highsmith» Erwähnung. Es ist definitiv nicht der Fokus des Films, aber mir war es wichtig, dass das erwähnt wird. Zu dem Bild, das ich früher von High­smith hatte, gehörte diese Seite dazu: düster, misanthropisch und eben auch antisemitisch. Also der Gegensatz zu dem, worauf ich mich dann konzentriert habe, nämlich die romantische und liebesorientierte Highsmith. Und, wie immer bei ihr, ist auch diese Sache komplex. In ihrer Jugend zum Beispiel war einiges, was sie notierte, philosemitisch. Sie hatte eine Bewunderung für den Intellekt der Juden, den sie als überragend ansah, bewunderte auch jüdische Mitschülerinnen. Später hatte sie auch immer wieder jüdische Geliebte.

Trotzdem ist das später gekippt, und sie hat diese antisemitischen Tendenzen entwickelt, die Hand in Hand gingen mit Ärger und Hass auf viele andere Dinge und Gruppen. Auch eine gewisse Misogynie war ihr nie fremd, was ich schon erstaunlich finde. Einerseits hat sie ihr eigenes Leben auf sehr feministische Art und Weise gelebt, aber andererseits eben oft Frauen verachtet, die das klassische Rollenbild der Fünfzigerjahre verkörperten und sich nicht trauten, sich dieselben Freiheit zu nehmen wie sie.

«Loving Highsmith» ist seit dem 10. März in den Schweizer Kinos zu sehen. Kinostart in Deutschland und Österreich ist der 7. April.

Filmemacherin Eva Vitija (Bild: Martin Guggisberg)
Filmemacherin Eva Vitija (Bild: Martin Guggisberg)

Eva Vitija

Die Filmemacherin Eva Vitija, geboren in Basel, studierte Drehbuch an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin und wirkte an zahlreichen Kino- und Fernsehdrehbüchern mit. Ihr Regiedebüt gab sie mit dem Dokumentarfilm «Das Leben drehen – Wie mein Vater versuchte, das Glück festzuhalten», der unter anderem für den Schweizer Filmpreis nominiert war. Ihr neuer Film «Loving Highsmith» (mit Maren Kroymann als Sprecherin) hatte seine Weltpremiere am 101. Geburtstag der Schriftstellerin Patricia Highsmith bei den Solothurner Filmtagen.

Mehr Literatur: «Die Unzertrennlichen» ist der lange unter Verschluss gehaltene Roman einer leidenschaftlichen und tragisch endenden Freundschaft. Als Simone de Beauvoir das Manuskript Sartre zeigte, soll der es zu intim für eine Veröffentlichung befunden haben (MANNSCHAFT berichtete).

Unterstütze LGBTIQ-Journalismus

Unsere Inhalte sind für dich gemacht, aber wir sind auf deinen Support angewiesen. Mit einem Abo erhältst du Zugang zu allen Artikeln – und hilfst uns dabei, weiterhin unabhängige Berichterstattung zu liefern. Werde jetzt Teil der MANNSCHAFT!

Das könnte dich auch interessieren