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«Die Unzertrennlichen» von Simone de Beauvoir endlich auf Deutsch

Sartre fand «Die Unzertrennlichen» einst zu intim

Simone de Beauvoir
Simone de Beauvoir ) (Foto: dpa +++ dpa-Bildfunk)

«Die Unzertrennlichen» ist der lange unter Verschluss gehaltene Roman einer leidenschaftlichen und tragisch endenden Freundschaft. Als Simone de Beauvoir das Manuskript Sartre zeigte, soll der es zu intim für eine Veröffentlichung befunden haben. Von Sibylle Peine, dpa

Simone de Beauvoir (1908-1986) war eine Musterschülerin und vielleicht auch deswegen als junge Frau einsam. Während ihrer Zeit an einer konfessionellen Schule erhellte eine einzige Freundschaft diese Leere, die Beziehung zu Elisabeth Lacoin, genannt Zaza. Diese Freundschaft hat de Beauvoir schon 1954 in einem Roman festgehalten, der nie erschienen ist. Bis jetzt.

«Als de Beauvoir das Manuskript Sartre zeigte, befand der es zu intim für eine Veröffentlichung. Es blieb in der Schublade», schreibt der Rowohlt-Verlag, bei dem «Die Unzertrennlichen» am Dienstag erscheint. Erst 2020, 34 Jahre nach dem Tod der Schriftstellerin und Feministin, hat ihre Adoptivtochter Sylvie Le Bon de Beauvoir die Veröffentlichung freigegeben. Im Dezember war er auf Französisch erschienen (MANNSCHAFT berichtete).

In dem stark autobiografisch gefärbten Roman sind die Identitäten nur schwach kaschiert. Hinter Andrée Gallard verbirgt sich die Freundin Zaza, Sylvie Lepage ist das Alter Ego von Simone de Beauvoir, die hier als Ich-Erzählerin auftritt. Die Namen eines guten Freundes, der Schule und verschiedener Landsitze sind verändert, aber leicht zu identifizieren. Der Roman beginnt im Ersten Weltkrieg, als Sylvie im Alter von neun Jahren erstmals der neuen Schulkameradin begegnet und endet mit dem plötzlichen Tod der Freundin infolge einer Gehirnentzündung. Die Jahre dazwischen sind gekennzeichnet durch gegensätzlich verlaufende Emanzipationsgeschichten.


Zu Beginn bewundert Sylvie die etwas ältere Andrée wegen ihrer forschen, selbstbewussten Art. Sie hat etwas Rebellisches und Subversives an sich. «Dieses Mädchen hat Persönlichkeit», sagen die Lehrerinnen. Hinzukommt ein tragischer Verbrennungsunfall, der Andrée in den Augen von Sylvie erst recht interessant macht. Die beiden Mädchen nähern sich an. Ihre Dialoge sind allerdings aus heutiger Sicht extrem steif und unkindlich, was noch durch das damals in gehobenen Kreisen übliche Siezen verschärft wird. Ein typisches Gespräch verläuft dann so: «Sie waren sicher am ersten Schultag da?». «Ja», sagte ich. «Hatten Sie schöne Ferien?», fügte ich hinzu. «Sehr schöne, und Sie?». «Sehr schöne.»

Am Anfang ist Sylvie brav und angepasst, Andrée die Eigenwillige und Unabhängige. Mit der Zeit jedoch emanzipiert sich Sylvie – genau wie Simone de Beauvoir – immer mehr. Sie sprengt das Korsett und die Erwartungen ihres bürgerlichen Elternhauses, befreit sich von den Fesseln der Kirche, ergreift selbstbewusst ein Philosophiestudium. Andrée dagegen gelingt es nicht, sich aus den Zwängen ihres Glaubens und den familiären Verpflichtungen zu lösen. Ihre intellektuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse werden von ihren Eltern ignoriert.

Ihre Mutter stellt sich gegen eine Liebesbeziehung ihrer Tochter. Andrée wird von ihrer riesigen wohlhabenden Familie für gesellschaftliche Aufgaben eingespannt, die sie zutiefst erschöpfen und zermürben. Das geht so weit, dass sie sich eines Tages mit einer Axt am Bein verletzt, um endlich Ruhe vor den erstickenden Ansprüchen zu finden. Ihr frühzeitiger Tod erscheint denn auch fast als tragische Konsequenz eines Übermasses an «Müdigkeit und Beängstigung», wie Simone de Beauvoir in ihren «Memoiren einer Tochter aus gutem Hause» schreibt.


Die heftige Zuneigung zu Zaza, die diese allerdings nicht in der gleichen stürmischen Weise erwiderte, hielt bis zum Tod der Freundin im Alter von kaum 22 Jahren. Dieser wurde von de Beauvoir als geradezu schicksalhaft empfunden. In ihren «Memoiren» schreibt sie: «Zusammen haben wir beide gegen das zähflüssige Schicksal gekämpft, das uns zu verschlingen drohte, und lange Zeit habe ich gedacht, ich hätte am Ende meine Freiheit mit ihrem Tode bezahlt.»

Wenn man will, kann man in der schwärmerischen Begeisterung Sylvies für Andrée durchaus sexuelle Züge erkennen. Dann wäre «Die Unzertrennlichen» eine Art Coming-out. Sie machte ihre  Bisexualität nie öffentlich. Vielleicht der Grund, weshalb sie das Manuskript zurückhielt. Was der Roman aber in jedem Fall ist: eine Emanzipationsgeschichte – und zwar sowohl eine gelungene als auch eine gescheiterte.


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