Papa & Papi – «Unser Pflegekind hat unser komplettes Leben verändert»
Den Regenbogenvätern aus Bayern ist Authentizität wichtig
Papa Bjoern und Papi Christian haben seit gut zwei Jahren ein Pflegekind. Auf Instagram schaffen die Regenbogenväter (43, 38) Sichtbarkeit.
Christian, wie seid ihr darauf gekommen, dass du dich Papi nennst und Bjoern der Papa ist? Wir haben uns das gar nie richtig überlegt, es war von Beginn an klar. Ich vermute, es ist aufgrund unserer Persönlichkeiten. Bjoern hat einer tiefere Stimme und ist der Kräftigere von uns, deshalb wohl das A am Schluss. Das I ist hingegen eher weicher.
Bjoern: Ein I ist weicher als ein A? (lacht)
Christian: Ja, in der Aussprache schon. Keine Ahnung, irgendwie kam die Geschichte einfach aus dem Bauch heraus.
Gibt es eine Geschichte hinter dem Spitznamen Zwergi? Christian: Zwergi heisst eigentlich Lukas. Als ich mit ihm die Kita-Eingewöhnung gemacht habe, haben die Kleinen wie ungeschickte Zwergis ausgesehen. Wir haben ihn dann auf Instagram so genannt und kommen da nicht mehr heraus, es ist mittlerweile zu einer Marke geworden. Jetzt ist er drei Jahre alt und manchmal stolpern wir darüber. Mit zehn können wir ihn wahrscheinlich nicht mehr so nennen. (lacht)
Wann habt ihr euch entschieden, dass ihr ein Kind haben möchtet? Christian: Ursprünglich wollten wir ein Kind adoptieren. Als wir damals vor sechs Jahren unsere Partnerschaft eintragen liessen, hätte aber einer von uns das Kind adoptieren müssen und der andere später nachadoptierten, weil die Partnerschaft der Ehe nicht gleichgestellt war (MANNSCHAFT berichtete). In jenem Oktober, als die Ehe für alle kam (MANNSCHAFT berichtete)… In welchem Jahr war das?
Bjoern: Das war 2017, da waren wir schon im Prozess für die Adoption. Während den ersten Gesprächen wurde klar, dass wir eine rechtlich gleichgestellte Ehe wollten. Deshalb haben wir so schnell wie möglich nachgeheiratet. Ganz «unsexy» auf dem Standesamt.
Wie ging der Adoptionsprozess voran? Bjoern: Wir hatten viele Gespräche, mussten Formulare ausfüllen, verschiedene Nachweise vom Führungszeugnis bis hin zum Gehaltsnachweis einreichen. Man zieht sich einmal komplett vor fremden Personen aus.
Christian: Es war ein bisschen wie eine Paartherapie. In den Gesprächen muss man viele Dinge aussprechen, die man sonst nicht sagen würde. Zum Beispiel: Was schätzt du an mir? Oder was mag ich überhaupt nicht an dir? Wir haben diesen Prozess beendet und dann kam die Enttäuschung.
Was ist geschehen? Christian: Wir dachten, wir würden ein Zertifikat kriegen, auf dem steht, dass wir auf der Adoptionsliste sind. Aber es war unspektakulär. Im Gegenteil, uns wurde gesagt, dass wir uns keine grossen Hoffnungen machen sollen. Es könnte sein, dass es kein Kind gibt oder keines passt.
Bjoern: Während dem Adoptionsprozess haben wir dafür viel über Pflegekinder erfahren. Deshalb haben wir uns entschieden, das Thema noch einmal anzugucken.
Ihr habt euch also zuvor schon für Pflege interessiert? Was hat euch davon abgebracht? Christian: Wir wollten einfach nicht ein Kind aufnehmen und uns immer unsicher sein, ob es wieder zurück muss, weil sich die Situation geändert hat. Erst während des Adoptionsprozesses haben wir erfahren, dass es da unterschiedliche Stufen gibt.
Bjoern: Genau, es gibt die Bereitschaftspflege und die Dauerpflege. Kinder, die in Dauerpflegefamilien vermittelt werden müssen meist keine Rückführung mehr erleben. Wir sind dann auf ein anderes Jugendamt gegangen, das Dauerpflegeeltern gesucht hat. Darauf haben entschieden, dass wir diesen Prozess gerne durchlaufen würden.
Wie kam Lukas schlussendlich zu euch? Christian: Wir mussten alles zweimal machen, da wir zwar frisch adoptionsfähig geprüft waren, aber nicht für die Pflege. Kurz nachdem wir den zweiten Prozess durchlaufen haben, kam der Anruf, dass sie ein Kind für uns hätten.
Jedes Mal, wenn wir anderen Lesben begegnen…
Bjoern: Sie haben uns erklärt, dass wir das Kind kennenlernen dürften. Dabei sollten wir uns fragen, ob wir uns das vorstellen könnten.
Christian: Da sagt man besser, falls es nicht passt. Damit das Kind wirklich bei der Dauerpflege-Familie bleiben kann und nicht wieder wechseln muss, weil es doch nicht geht.
Bjoern: Danach beginnt eine Anbahnungsphase. Für etwa drei Wochen gingen wir immer wieder zur Bereitschaftspflege-Familie. Wir sassen nur noch auf dem Fussboden und spielten mit dem Kind. Am Anfang waren wir eine halbe Stunde da und dann immer länger. Dann ist Lukas wochenlang bei uns ein- und ausmarschiert. Am Anfang war die Bereitschaftspflegemama noch dabei, später ist sie einkaufen gegangen. Irgendwann habe ich ihn abgeholt, weil ich in Elternzeit ging, und sie hat ihn abends wieder abgeholt. So haben wir die Bindung mit Lukas aufgebaut.
Wie hat Lukas auf euch reagiert, als ihr ihn die ersten Male getroffen habt? Bjoern: Er hat eine Affinität zu Männern, seine Bereitschaftspflege-Familie war hingegen ein sehr frauenstarker Haushalt. Vielleicht hat es ihm ein bisschen leichter gemacht, dass wir zwei Männer sind. Dazu kommt unser Hund Anton, das alles war natürlich sehr aufregend für ihn.
Und dann kam der Tag, an dem er bei euch eingezogen ist. Christian: Genau, dann kam der Tag X, und er ist bei uns mit Sack und Pack auf der Matte gestanden. (lacht)
Wie war das Gefühl, als Lukas endlich bei euch war? Christian: Die erste Nacht werden wir nie vergessen, wir hatten beide kaum geschlafen und waren unglaublich aufgeregt. Dann kamen diese klassischen Fragen, die wohl jedes frischgebackene Elternpaar hat: Atmet das Kind noch? Schläft es gut? Hat es zu warm oder zu kalt? Lukas war der einzige, der ruhig geschlafen hat. (lacht)
Bjoern: Wir waren beide kaputt am nächsten Morgen, aber wir lernten schnell. Wir lebten uns in die neue Rolle hinein und sammelten Erfahrungen.
Denkt ihr, dass es da einen Unterschied gibt zwischen leiblichen Eltern und Pflegeeltern? Christian: Nein, eigentlich nicht. Ich denke, es ist ein Irrglaube, dass leibliche Eltern von Anfang an wissen, wie man beispielsweise das perfekte Fläschchen mixt. Früher hatte ich das auch gedacht. Wir haben glücklicherweise die Bereitschaftspflegemama, die wir immer anrufen dürfen.
Was hat sich für euch geändert, seit Lukas bei euch ist? Bjoern: Er hat unser komplettes Leben verändert. Früher konnten wir uns auch Zeit nehmen und uns für eine Stunde aufs Sofa legen oder einfach gemütlich irgendwohin gehen. Jetzt gibt es «wir mit Kind» und wir passen uns an. Das wurde uns erst später bewusst. Am Anfang waren wir beschäftigt mit dem Kind und allem drum herum. Jetzt kommt langsam die Zeit, in der wir auch mal bewusst Zeit für uns nehmen.
Was würdet ihr einem Paar aus der Community mitgeben, das gerne eine Regenbogenfamilie gründen möchte? Bjoern: In den sozialen Netzwerken gibt es viele tolle Vorbilder. Mit unserem Account Papaundpapi bei Instagram möchten wir Leute aufklären und ein solches Vorbild sein. Das Wichtigste ist, dass man sich von Anfang an überlegt, was man möchte. Wir müssen uns beim Jugendamt nicht verstellen, indem wir immer die passenden Antworten nennen und anpassen. Authentizität ist wichtig und man darf auch negative Erlebnisse sprechen. Entweder man zerbricht, oder man wächst an diesen Aufgaben.
Christian: Beim Jugendamt sehen sie gerne, wenn ein Paar auch mit Niederlagen umgehen kann und dunkle Seiten im Leben nicht vertuscht. Gerade in diesem Fall ist es ganz wichtig, Lebenserfahrung mit reinzubringen und zu zeigen, dass man mit solchen Sachen umgehen kann. Deshalb kann ich jedem nur raten authentisch zu bleiben und nicht zu versuchen in ein Schema reinzupassen, sondern sich treu zu bleiben.
Regenbogenfamilien in Österreich: «Den Mutigen gehört die Welt»
Wie hat euer Umfeld reagiert? Christian: Wir hatten nie eine negative Stimme gehört. Im Gegenteil, wir wurden von unseren Freunden, Bekannten und Nachbarn total unterstützt. Es gab sicherlich auch Menschen, die es nicht gut fanden, aber das hat uns zumindest keiner direkt gesagt.
Bjoern: Über Instagram schreiben uns andere Eltern manchmal und geben uns unaufgefordert Ratschläge. Das passiert bis heute. Aber in unserem persönlichen Umfeld haben wir das nie erlebt. Natürlich gab es auch viel Zuspruch über das Internet.
Und an dem Ort, an dem ihr lebt? Bjoern: Wir sind bereits vor einer Weile in diesen Ort gezogen – ein 3000-Seelendorf, da kennt man sich. Hier im Umkreis gibt es viele junge Familien, die uns herzlich begrüsst haben. Man baut sich so eine Community auf. Wenn ich etwa mit dem Kleinen durchs Dorf spaziere, mit ihm in die Bäckerei oder Metzgerei gehe kommen wir ins Gespräch und ich werde manchmal gefragt: Wo ist die Mama? Dann sage ich jeweils: Die Mama ist ein Papa.
Ich bin mit Lukas zum Kinderturnen gegangen, zum Musizieren-Singen-Tanzen, was ich furchtbar fand, aber ich hab’s gemacht. Es ist mir bis heute wichtig, präsent zu sein und zu zeigen, dass wir nicht zwei Einhörner sind, die durch den Ort tanzen, sondern wir sind einfach zwei ganz normale Männer, die Männer stehen und ein Kind haben.
Denkt ihr, dass eure proaktive Herangehensweise dabei hilfreich war? Christian: Ja absolut. Wir haben auch der Krippe Kinderbücher gekauft, in denen Regenbogenfamilien vorkommen. Zum Beispiel das Buch «Zwei Papas für Tango», da geht es um ein schwules Pinguinpärchen, das ein Ei adoptiert. Die Betreuer*innen im Kindergarten unterstützen uns vollkommen. Bei der Verabschiedung sagen sie ganz bewusst, dass heute Papi oder Papa zum Abholen kommt. Wir sind sehr dankbar, es hätte nicht besser laufen können.
Bjoern: Das möchten wir auch über Instagram weitergeben. Wir machen diesen ganzen Spökes nicht, weil uns langweilig ist. Es ist auch eine gesellschaftliche Message, die wir da streuen möchten. Wir wollen zeigen, dass eine Regenbogenfamilie einfach ein Familienmodell von ganz vielen ist. Lukas ist das völlig egal, er nimmt Papi bei der rechten Hand, mich bei der linken und sagt, dass wir eine Familie sind.
Bei Instagram zeigt ihr das Gesicht von Lukas nicht. Gibt es einen Grund dafür? Bjoern: Einerseits, weil er ein Pflegekind ist und wir ihn schützen müssen, da es keinen Kontakt zur leiblichen Familie gibt. Wir würden das aber auch tun, wenn wir ein leibliches Kind hätten. Kinder haben das Recht dazu, dass ihre Persönlichkeit geschützt wird, bis sie selbst entscheiden können.
Christian: Wir stossen vielleicht dem einen oder anderen Familienblogger vor den Kopf, aber ich möchte, dass uns Menschen wegen der Geschichte folgen und nicht weil wir dauernd eine Kamera ins Gesicht unseres Kindes halten. Ganz ehrlich, da habe ich lieber zwanzigtausend Follower*innen weniger, wenn sich die anderen für unsere Geschichten interessieren.
Gehört zur Mama-Rolle denn am Herd stehen, kochen, waschen und sich um das Kind zu kümmern?
Welches Vorurteil kriegt ihr am Häufigsten zu hören? Christian: Vorurteile hören wir extrem wenig. Eine Frage, die wir am meisten gestellt bekommen, ist: «Wer ist bei euch die Mama und wer ist bei euch der Papa?». Das bringt uns auf die Barrikaden. Ehrlich jetzt? Diese Frage könnte man ja auch einem heterosexuellen Paar stellen, bei dem der Mann zu Hause bleibt. Gehört zur Mama-Rolle denn am Herd stehen, kochen, waschen und sich um das Kind zu kümmern?
Bjoern: Wir sind einfach zwei Menschen, die bestimmte Dinge besser können, als der andere oder eben nicht. Ich glaube, in einer zehnjährigen Beziehung kann man das ganz gut herausfinden, ohne in Rollenklischees zu verfallen. Und natürlich witzeln wir trotzdem oder gerade deshalb selbst über solche Klischees.
Was ist das Schönste, das ihr mit Zwergi erlebt habt? Bjoern: Wir hatten viele wunderbare Erlebnisse mit Lukas. Eines bleibt mir besonders in Erinnerung: Ich habe eine 87-jährige Grosstante im Rheinland, die mich mit gross gezogen hat, weil meine Mama ganz viel arbeiten musste und alleinerziehend war. Für ihre Generation ist es nicht selbstverständlich, mit diesem Thema so gut umzugehen. Mir war aber total wichtig, dass sie Zwergi kennenlernt. Die erste Begegnung war dann sehr berührend. Die älteste Generation in unserer Familie ist mit der jüngsten zusammengekommen.
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