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Nemo: «Bei der Pride auftreten ist wie Nachhause­kommen»

Der Schweizer Popstar über Selbstliebe, Schlagermusik und Singen auf Englisch

Nemo
Nemo (Bild: Ella Mettler)

Im November outete sich Nemo als nicht-binär, im März steht ein Auftritt in der neuen Staffel von «Sing meinen Song – Das Schweizer Tauschkonzert» an. Im Interview spricht das Musiktalent über die Wichtigkeit vom privaten Umfeld und ob es in Berlin einfacher ist, im Rock aus dem Haus zu gehen als zuhause in Biel.

Nemo, letzten Sommer bist du bei der gemeinsamen Feier der Eurogames und der Bern Pride aufgetreten. War es dein erster Auftritt bei einer Pride?
Ja – dazu noch in meinem Heimatkanton! Es war mega, mega schön. Ich habe jetzt noch viele Erinnerungen an den Tag.


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Fühlt sich ein Auftritt bei einer Pride anders an, als bei einem gewöhnlichen Konzert oder Festival?
Es ist ein anderes Level des Wohlfühlens, wie ein Nachhausekommen, obwohl ich die meisten Leute gar nicht kenne. Wenn ich auf der Bühne stehe und ins Publikum blicke, geht es mir immer darum, eine Connection zu suchen.


Und ich erinnere mich, wie ich beim Auftritt in Bern überall hinschauen konnte und mich einfach verbunden fühlte. Ich bekam zu spüren, dass ich mich hier wohlfühlen kann und so sein darf, wie ich bin.

So sein, wie du bist: Darum ging es dir letzten November, als du dich medial als nicht-binär geoutet hast. War das Coming-out spontan oder lange geplant?
Ich wusste bereits in den letzten zwei Jahren, dass dieser Moment kommen und ich dafür bereit sein würde. Gleichzeitig hatte ich viel Respekt davor.

Nemo
Nemo (Bild: Ella Mettler)

Glücklicherweise verfüge ich über ein solides Auffangnetz: Freund*innen und Familie, die schon viel länger Bescheid wissen und da sind für mich. So etwas Persönliches mit der ganzen Schweiz und mit Menschen zu teilen, die vielleicht nicht viel Verständnis dafür aufbringen, war schon etwas beängstigend.


Was hat dir die Gewissheit gegeben, dass du für den Schritt bereit bist?
Die Gespräche mit meiner Familie, mit meinen Freund*innen und mit meiner Beziehung. Und ein immer grösseres Vertrauen in mich selbst und mehr Selbstliebe. Der Prozess der Selbstliebe ist ein wichtiger, vor allem in unserer Community und etwas, dass ich immer noch am Lernen bin.

Nemo
Nemo (Bild: Ella Mettler)

Kannst du eine Erkenntnis von deiner Reise zu mehr Selbstliebe teilen? Hast du Ratschläge für Menschen die auf dieser Reise sind?
An einem Punkt realisierte ich, dass ich glücklicher bin, wenn ich Zeit mit Menschen verbringen, die mich so sehen, wie ich mich sehe. Viele Dinge können wir nicht selbst entscheiden: Wo und in welche Familie wir geboren werden. Wenn du die Möglichkeit hast, Menschen zu finden, die dich so annehmen, wie du bist, dann ist das extrem hilfreich. Ich bin sehr dankbar, ein solches Umfeld zu haben.

Denjenigen Personen, die von Leuten mit weniger Verständnis umgeben sind, rate ich, im Internet oder in der Community Safe Spaces zu suchen. Es gibt Menschen auf dieser Welt, die dich verstehen und die muss man finden. Ich wünsche jeder Person, dass sie das schafft.

Bei deiner letzten Single «This Body» geht es darum, dass du dich in deinem Körper nicht wohlfühlst. Ich stelle mir das als ein sehr einsames Gefühl vor.
Definitiv. Ich schrieb den Song in einer Zeit, in der ich mit diesen Gefühlen allein war. Rückblickend war das wohl die schwierigste Zeit für mich. Auch hier hat es mir sehr geholfen, mich mit Leuten zu umgeben, die mich so sehen, wie ich bin. Dadurch wurde es einfacher, meinen Körper mehr zu akzeptieren, wie er ist.

Ich fühle mich oft viel femininer, als ich wahrgenommen werde

«Ich fühle mich oft viel femininer, als ich wahrgenommen werde. Nachdem ich das anderen mitgeteilt hatte und sie den femininen Teil in mir besser sehen konnten, fühlte ich mich in meinem Körper allgemein wohler. Hätte ich das mit niemanden geteilt, hätte ich mich wohl immer mehr allein gefühlt.

Nemo
Nemo (Bild: Ella Mettler)

Das mediale Coming-out liegt nun drei Monate zurück. Wie geht es dir heute?
Mir ist ein grosser Stein vom Herzen gefallen. In der Öffentlichkeit und in Interviews muss ich niemandem mehr etwas vorspielen und kann viel mehr mich selbst sein. Gleichzeitig geht mein Prozess weiter. Ich will die Konversation mit mir selbst am Leben behalten und auf meine Bedürfnisse achten. Wie fühle ich mich? Wie möchte ich mich anziehen?

Ich habe damit begonnen, mich mehr zu schminken, was sehr schön und Teil meiner Reise geworden ist. Was ebenfalls bereichernd ist: Diese Entwicklung muss ich nicht allein machen, sondern kann die Menschen in meinem Umfeld daran teilhaben lassen.

Die Songtexte zu «Lonely AF» oder «Dance With Me» sind sehr tiefgründig und widerspiegeln deine Einsamkeit. Die Musik dazu geht aber in Richtung Dance. Befürchtest du nicht, dass der Song dadurch an Ernsthaftigkeit verliert?
Eine gute Frage, worauf es keine richtige Antwort gibt. Schlussendlich ist die Emotion, die man beim Singen und beim Hören spürt, die richtige für mich. Sind langsame Songs automatisch traurig? Ich habe die Philosophie, dass man als Künstler*in ein Lied loslässt, sobald man es veröffentlicht hat. Es gehört nicht mehr dir, sondern der ganzen Welt. Und somit bestimmt jede Person für sich, welches Grundgefühl und welche Bedeutung sie hineininterpretiert. Das ist das Schöne dran.

Worum geht es in deiner neusten Single «Falling Again»?
Um eine Fernbeziehung. Oder vielmehr um den Space, den man sich zusammen mit der anderen Person schafft, sei dass in Form von Anrufen oder Videocalls. In meinem Fall war es so, dass es bei mir mitten in der Nacht und bei der anderen Person am Morgen war. Man tritt für eine kurze Zeit aus dem eigenen Alltag heraus in den gemeinsamen Space, um sich mit der anderen Person auszutauschen und sich ihr trotz der Distanz nahe zu fühlen.

 

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Welchen Platz hat deine Beziehung in deinem öffentlichen Leben?
Ich rede öffentlich nie über meine Beziehung in dem Sinne, dass ich kein grosses Ding daraus machen will. Die Beziehung ist Teil meines Lebens, der privat ist und überhaupt nichts mit dem, was ich sonst mache, zu tun hat. Meine Beziehung ist für mich ein sicherer und ein privater Ort.

Du hast mit schweizerdeutschem Rap angefangen, jetzt singst du auf Englisch. Was hat sich in deinem kreativen Prozess verändert?
Meine Grossmutter stammt aus den USA. So habe ich Englisch schon seit klein auf mitbekommen. Das Sprachgefühl ist jedoch komplett anders. Es gibt viele Dinge, die ich auf Englisch sagen kann und auf Schweizerdeutsch ziemlich flach klingen würde – man denke nur an den Satz «Ich liebe dich». Ich musste also in vielerlei Hinsicht wieder von vorne beginnen und mir überlegen, was ich sagen und in welche Richtung ich gehen will.


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In der englischen Sprache hat sich they/them als Pronomen für nicht-binäre Personen etabliert. Auf Deutsch gibt es verschiedene Ansätze, von denen sich aber noch keiner durchgesetzt hat. Frustriert dich das?
Frustrierend ist vielleicht der Gedanke, dass es in der Sprache, die doch so ein wichtiger Teil meines Lebens ist, noch keinen offiziellen Platz für eine*n gibt. Einerseits ist das schwierig, andererseits aber auch eine Chance. Ich finde es sehr inspirierend, wie sich die Sprache entwickeln kann.

 

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Du bist in der neuen Staffel von «Sing meinen Song – Das Schweizer Tauschkonzert» zu sehen, unter anderem mit Marc Sway, Marius Bear und Eliane. Welches Cover hat dir am meisten Spass gemacht?
Ich singe ja nicht wirklich Schlager, daher hat mir das Cover von Vincent Gross am meisten Spass gemacht. Ich muss zugeben, dass ich gewisse Vorurteile hatte über Schlager oder über Leute aus dem Schlager, die ich überdenken musste. Wir alle haben irgendwo Vorurteile oder Annahmen über bestimmte Gruppen von Menschen und es ist wichtig, sich selbst zu hinterfragen und sich selbst kritisch gegenüberzustehen. Ich bin gespannt, wie «mein» Schlagersong im Fernsehen herüberkommt.

Nemo
Nemo (Bild: Ella Mettler)

A propos Vorurteile. Du lebst in Berlin und Biel. Ist es in Berlin einfacher, mit Rock und lackierten Fingernägeln aus dem Haus zu gehen als in Berlin oder ist das ein Vorurteil?
Auf eine Art stimmt es schon, da es hier in Berlin mehr Leute gibt, die das ebenfalls tun. Ich glaube, es ist schlussendlich nie «einfacher», auch wenn Berlin vielleicht aufgeschlossener wirkt. Ich bin bereits in beiden Städten im Rock herumgelaufen und habe an beiden Orten sowohl positive als auch negative Interaktionen erlebt – zum Glück aber keine übergriffige oder gewaltvolle Situation. Bei einigen Freund*innen in Berlin war das leider schon der Fall.

Egal ob Berlin oder Biel: Schlussendlich ist es an beiden Orten immer noch eine Herausforderung, sich so zu geben, wie man sich fühlt und für viele Leute noch nicht möglich. Es ist doch komisch, dass man sich überhaupt Gedanken machen muss, wenn man im Rock oder geschminkt aus dem Haus geht. Ich wünsche mir – gerade für die Leute, denen heute der Mut fehlt –, dass man in Zukunft ohne zu überlegen nach draussen gehen kann und keine Kommentare hören muss.

Die fünfte Staffel von «Sing meinen Song – das Schweizer Tauschkonzert» startet am 6. März auf 3+.

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