«Richtig angekommen bin ich nie» – Und nun Detransition?
Wenn das äussere Erscheinungsbild und das innere Empfinden nicht mehr zusammenpassen
Die Autorin Nadia Brönimann (55) ist wohl die bekannteste trans Frau der Schweiz. Nun spielt sie mit dem Gedanken an eine Detransition.
In den 90er Jahren unterzog sich Nadia Brönimann einer geschlechtsangleichenden Operation und warb in den Medien, auch mit Büchern um Verständnis für das Thema Transition. Doch vollkommen glücklich mit ihrer Identität ist sie bis heute nicht. Bei Instagram zeigt sie sich neuerdings mit kurzen Haaren. Neben den Hashtags #trans und #behappy verwendet sie zusätzlich zu den zwei Worten «Feel free» auch #detrans.
Der Gedanke einer Detransition «brodelt schon lange in mir», erzählte Brönimann am Wochenende gegenüber der Sonntagszeitung (bezahlpflichtig). «Ich empfinde es immer mehr als Korsett, das gewohnte Bild von Nadia aufrechtzuerhalten.»
Das äussere Erscheinungsbild und das innere Empfinden stimmten nicht mehr überein.» Es fühle sich für sie nicht mehr richtig an, sich «nur als weiblich zu definieren».
Schon vor zwei Jahren hatte sie dem Blick erzählt, sie würde heute keine Geschlechtsangleichung mehr machen, sondern einen anderen Weg wählen. «Wahrscheinlich wäre ich nicht-binär», sagte sie damals. Heute gebe es viele Möglichkeiten an Identitätszuordnungen, «einen ganzen Trans-Kosmos.»
Sie weiss, dass sie mit dem Begriff Detransition eine grosse Diskussion auslöst und sich Kritik aussetzt, vor allem aus der trans Community. «In der trans Welt ist das ein ganz verbreitetes Problem, dass sehr viele trans Menschen nach aussen ein Bild aufrechterhalten nach dem Motto: ‚Bei mir ist alles super und toll und ich bin super glücklich‘, denn sie sind ja einen selbstgewählten Weg gegangen sind», erklärt sie gegenüber MANNSCHAFT.
Ihr selber gehe das nicht so. «Es ist auch für mich nicht toll, mich diesem Thema zu stellen», so Brönimann. «Das braucht Mut, zu sagen: Hey, das Resultat ist nicht das, was ich mir so erwünscht und erträumt habe.» So eine Eigenbetrachtung schmerzt, sagt sie.
Brönimann hört nach solchen Äusserungen immer wieder die Entgegnung: Sie sei ja in einer Zeit operiert worden, wo man keine Erfahrung hatte, heute sei alles viel besser. Aber nun habe sie erst vor wenigen Wochen ausführlich mit einer jungen trans Frau gesprochen, deren Transition acht Jahre zurückliege. «Die hat genauso Probleme, psychische Probleme, verträgt die Hormone nicht richtig, kämpft mit Nebenwirkungen.»
Eine bildhübsche junge trans Frau, sagt Bröniman. «Eine Frau bei der man jetzt denken würde: Bei der sind doch alle Voraussetzungen optimal, sie hat ein super Passing.»
Wenn man hinter die Fassade schaue, sagt Brönimann, dann gebe es viele trans Menschen, die unterschiedlich starke Schwierigkeiten hätten und von Langzeitfolgen und Komplikationen betroffen seien. «Aber es wird ums Verrecken nicht gezeigt und nicht darüber gesprochen, denn: Es darf ja nicht sein.»
Brönimann sieht dringenden Handlungsbedarf: «Wir müssen in der trans Community ehrlicher zueinander sein, auch offen miteinander kommunizieren.“ Gerade wenn es um junge Menschen gehe, die diesen Weg noch vor sich hätten.
«Es ist in meinen Augen verwerflich, wenn wir denen einfach sagen: Ja, mach das! Alles ist toll, du bist nachher glücklich, die Medikamente die wirken und haben keine Nebenwirkungen. Du hast nachher den besten Sex deines Lebens, und die Orgasmusfähigkeit ist genauso cool wie vorher. Es ist doch einfach Blödsinn.»
Nachdem Brönimann Mitte der 90er Jahre ihre Transition gemacht hat, sei ein zehn Jahre langer Kampf gefolgt, weil durch die Operationen viele Komplikationen auftraten. «Dann kam eine Phase, da habe ich einfach mit allen Mitteln daran gearbeitet, sagen zu können: Es ist jetzt so und ich möchte mich einfach meinem Leben widmen und hatte dann auch eine ruhigere Phase. Ich habe es geschafft, Lebenswurzeln zu schlagen.»
Aber im Verlauf der letzten vier, fünf Jahre spüre sie, dass sich etwas verändert habe. «Ich empfinde mehr und mehr ein Auseinanderklaffen vom seelischen Befinden zur körperlichen Wahrnehmung. Brönimann sagt: «So richtig angekommen bin ich selber nie.»
Sie sehe sich nicht als Opfer, betont sie. «Ich kann ganz klar sagen, ich lebe jeden Tag mit Freude, mit Power und Lust aufs Leben.»
In Lachen, wo sie wohnt, am Zürichsee, hat sie einen ganz gefestigten Alltag, es gebe weder Anfeindungen, noch blöde Blicke oder komische Kommentare, noch fühle sie sich diskriminiert. Man kennt und akzeptiert sie als trans Frau, bisher. «Ich war sehr feminin, sehr immer gut gekleidet, sehr sicher in meinem äusseren Erscheinungsbild und Auftreten. Das war überhaupt nichts auffällig, mein Passing war tip top.»
Aber jetzt ist sie «wahnsinnig gespannt», wie ihr Umfeld reagiert. In der Gay Community, sagt sie, könne man besser nachvollziehen, was sie sagt. Von dort bekomme sie viel Zuspruch von Homosexuellen, die ihre Meinung teilen, vor allem schwule Männer. Aber die Menschen in Lachen?
«Nach der Veröffentlichung des Interviews kamen minütlich Leute auf mich zu und wollten wissen: Muss man zu dir jetzt wieder Christian sagen? Willst du jetzt wieder Mann sein?»
Brönimann vermutet, dass sie jetzt vermehrt Kopfschütteln und Unverständnis erntet, weil sie die binäre gesellschaftliche Ordnung, in die sie als trans Frau wunderbar gepasst hat, in Frage stellt. «Vielleicht sitzen die Leute jetzt am Stammtisch in der Kneipe und lästern: Jetzt ist sie durchgeknallt oder was?»
Aus der trans Community erhält sie ohnehin immer wieder Nachrichten, in denen man ihr vorwirft: Du schadest uns! Etwa wenn sie junge Menschen vor einer zu frühen Geschlechtsangleichung warnt.
Ich muss es am Ende des Tages mit meinem Herzen ausmachen, was ich sage und tue.
Aber da gab es nun wieder eine trans Frau, die ihr schrieb, gleich am Montag nach dem Interview: «Du triffst einen Nerv in mir, wollen wir uns zum Austausch treffen?» Auch die andere spüre immer stärker, «dass etwas nicht mehr so ist, wie es war oder wie ich mir es vormachte.»
Für Brönimann steht fest: «Ich muss es am Ende des Tages mit meinem Herzen ausmachen, was ich sage und tue. Ich mache das nach bestem Wissen und Gewissen. Und ich möchte mit meiner Stimme zum Positiven beitragen.»
Valentina Petrillo ist die erste trans Athletin bei den Paralympischen Spielen in Paris. Sie sagt, ihre Teilnahme sei «ein wichtiges Symbol für Inklusion.» In den Sozialen Medien wird sie bereits angefeindet (MANNSCHAFT berichtete).
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