Nackte Tatsachen zum CSD Stuttgart
Stuttgart hat ein Problem mit Nacktheit. Am Mittwoch hat sich ein 27-jähriger Mann vor einem Restaurant entblößt, vor den Gästen und ihren Kindern. Am Mailänder Platz zog er sich aus und zeigte seinen Penis. Der Mann wurde vorläufig festgenommen. Ganz so weit wird man beim CSD in der baden-württembergischen Landeshauptstadt wohl nicht gehen. Und doch soll in diesem Jahr eine Jury darüber befinden, ob die Teilnehmer der Polit-Parade zu freizügig unterwegs sind.
Der Verein CSD Stuttgart kündigte unlängst auf seiner Webseite an, man werde „Auffälligkeiten“, die von politischen Botschaften ablenken, dokumentieren und an die CSD-Führung übermitteln. Für solche Fälle solle es ein Gespräch geben und man werde über Konsequenzen für das Folgejahr entscheiden. „Denkbar wäre ein verpflichtendes Einreichen von Plänen für die Ausgestaltung der betreffenden Gruppe und eine Freigabe durch das CSD-Orgateam im Vorfeld der Demonstration“, heißt es. Sogar ein befristeter Ausschluss von der Parade sei denkbar.
Minuspunkte für zu viel nackte Haut
Das prominenteste Jury-Mitglied, die ARD-Lottofee Chris Fleischhauer, hatte vorab in den Stuttgarter Nachrichten angekündigt, dass zu viel nackte Haut mit Minuspunkten bestraft würde. „Es handelt sich um eine Polit-Parade, also um eine Demonstration, die als solche bei der Stadt angemeldet ist“. In der LGBTI-Community wurden diese Ankündigungen heftig diskutiert: Während die einen Fleischhauer Recht geben und meinen, dass zu viel Nacktheit die politischen Ziele konterkarriere, sprechen die anderen von Zensur und allzuviel Reglement bei einer Parade, die doch im Kern für Freiheit und Vielfalt stehe. Fleischhauer wurde in wütenden Kommentaren für seine Ankündigungen als Spießer beschimpft und der internalisierten Homophobie bezichtigt. Er habe einige Hassmails bekommen, sagte er gegenüber der Mannschaft, hauptsächlich habe er aber positives Feedback erhalten.
Stichwort Vielfalt: Bei all der Aufregung gerät fast in Vergessenheit, dass in Stuttgart in diesem Jahr erstmals eine Vertreterin der Kirche als Schirmherrin gewonnen wurde und dass die Türkische Gemeinde mit einem eigenen Wagen vertreten ist. In seinem Modellprojekt „Kultursensible sexuelle Orientierung – Andrej ist anders und Selma liebt Sandra“ wirbt der Verein auf Plakaten und mit Postkarten um Akzeptanz. Darüber bietet er Beratungsgespräche an und kooperiert u.a. mit dem schwul-lesbischen Zentrum Weissenburg in Stuttgart. Bereits im letzten Jahr war eine Fußgruppe des Modellprojekts mitgelaufen, wenn auch gegen Widerstände aus den eigenen Reihen. Nun also ein eigener Truck.
Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu macht bei seinen Bemühungen um Akzeptanz queerer Lebensmodelle unterschiedliche Erfahrungen. „Es gibt viele Leute, die nicht diskutieren wollen. Sie sagen, das sei kein Problem der Türken“, sagte er gegenüber den Stuttgarter Nachrichten. Andere seien dankbar und erleichtert, dass ihnen der Verein eine Anlaufstelle bietet. An Anfeindungen sei Sofuoglu gewöhnt: Er werde fast täglich als „Schwuchtel“ beschimpft, weil er sich für die Rechte von Minderheiten einsetzt.
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