Nach der EM ist vor Olympia – Der Kampf um Toleranz geht weiter
Wenn ewiggestrige Funktionär*innen den Sportler*innen ihre Regeln aufzwingen
Im Sport geht es um fairen Wettstreit. Entscheidend sollte dabei nur sein, dass die körperlichen Leistungen vergleichbar sind. Wer wie lebt und liebt, ist dabei eigentlich nicht ausschlaggebend. Warum aber der Kampf um Toleranz wichtig ist, dazu der Kommentar* von Ahima Beerlage.
Es gibt kaum eine Institution, die einen grösseren Abstand zum gesellschaftlichen Fortschritt hat als die UEFA und der Männerfussball im Allgemeinen. Das hat nicht zuletzt die Europameisterschaft 2021 in dieser Sportart bewiesen, denn es gab neben einem Sieger, der italienischen Mannschaft, jede Menge Verlierer – und damit sind nicht die unterlegenen Teams gemeint.
Nazis-Hooligans und Rassismus in den Stadien, rassistische Beschimpfungen gegen schwarze englische Spieler nach dem verlorenen Finale – all das wird selten genug geahndet. Im Gegenteil. Sportler*nnen, die sich gegen solche Zustände wehren, müssen immer noch mit Sanktionen rechnen. 2016 kniete die US-Fussballerin Megan Rapinoe während der Nationalhymne vor einem Spiel, um gegen Polizeigewalt und Rassismus zu protestieren. Der US-Fussballverband führte daraufhin eine Regel ein, die das verbieten sollte. Nach massiven Protesten kippten sie 2020 dieses Verbot. Inzwischen zeigen immer mehr Profiteams Flagge nicht nur gegen Rassismus, sondern auch gegen Homophobie.
Im Frauenfussball gelingt es sogar zunehmend, lesbische Spielerinnen zu akzeptieren. In den USA sind Spielerinnen wie Megan Rapinoe, die mit der ebenso bekannten Basketballerin Sue Bird verlobt ist, Ashlyn Harris und Ali Krieger, die verheiratet sind und gerade ein Mädchen adoptiert haben, vielgeliebte Stars, die öffentlich Regebogen-Farbe bekennen. Der Verein Orlando Pride hat nach dem Anschlag auf den LGBTIQ Club «Pulse», bei dem 49 Menschen starben (MANNSCHAFT berichtete), sogar 49 Sitze in Regenbogenfarben im Stadion installiert und Gedenkveranstaltungen für die Opfer durchgeführt. Auch deutsche Spielerinnen wie Anna Blässe und Lara Dickenmann, miteinander verheiratet, oder Nadine Angerer, die schon früh freimütig erklärte, Frauen und Männer zu lieben, sind geoutet.
Bei den Männern hat Thomas Hitzlsperger erst nach seinem Karriereende über seine Homosexualität reden können (MANNSCHAFT berichtete). Eine vielbeachtete Initiative versucht, schwulen Spielern Mut zu machen, sich zu outen. Auf internationaler Ebene sind Nationalteams im Männer-Fussball aber noch immer gehalten, als Vertreter ihres Landes keine politischen Bekenntnisse abzugeben und erst recht nicht sich als homosexuell zu outen. Doch immer mehr Teams sind damit nicht mehr einverstanden. Diskussionen über die Akzeptanz von homosexuellen Spielern kommen auf. In diesem Jahr sollten ja die Partien der Europameisterschaft in verschiedenen Ländern ausgetragen werden, in denen zum Teil Gesetze gegen Homosexualität existieren.
Aktueller Anlass war dabei, dass Ungarn federführend unter Ministerpräsident Viktor Orbán ein höchst umstrittenes Gesetz erlassen hat, dass die Informationsrechte zum Thema Homosexualität stark einschränkt und unter Strafe stellt. Das nahmen einige Mannschaften zum Anlass, die Kapitänsbinde in Regenborgenfarben zu gestalten. Manuel Neuer, Kapitän der deutschen Mannschaft, lief also mit einer klaren Botschaft aufs Spielfeld, als er die farbige Binde am Arm trug. Die UEFA sah sich daraufhin «gezwungen“, Ermittlungen gegen Neuer einzuleiten. Der Vorwurf: Er habe unberechtigterweise eine politische Botschaft in den Sport gebracht. Wenig erstaunlich dagegen war es, dass die «Deutschland, Deutschland, homosexuell»– Brüllerei der «Carpathian Brigade», die ultrarechten Hooligans aus Ungarn, beim Spiel Deutschland gegen Ungarn ungeahndet blieb. Noch peinlicher wurde es, als die UEFA ein Beleuchtungsverbot gegen das Münchener Stadion aussprach, weil die Betreiber die Hülle des Baus in Regenbogenfarben erstrahlen lassen wollten.
Doch die alten Männer in ihrer Trutzburg des Patriarchats, der UEFA, hatten nicht mit der europaweiten Solidarität der Fans und Mannschaften gerechnet. Andere Stadien hüllten sich in bunte Solidarität. Die Euro 2021 mag vorbei sein, aber immer mehr Mannschaften (und auch Frauenteams) wehren sich dagegen, durch die Verbands-Dinosaurier mundtot gemacht zu werden. Sie knien und schweigen gegen Rassismus, tragen Regebogen-Armbinden und -Trikots, wenden sich gegen die Engstirnigkeit von rechten und homophoben Hooligans. Nach der Euro ist vor Olympia. Jetzt kämpft die Hockey Spielführerin Nike Lorenz darum, mit Regenbogen-Armbinde auflaufen zu dürfen. Noch wehrt sich das Olympische Komitee und Lorenz fürchtet, auf das Zeichen verzichten zu müssen, um ihrem Team nicht zu schaden.
Fazit bleibt doch, wenn es im Sport weniger Homophobie geben würde, müssten nicht immer wieder Spieler*innen darum kämpfen, ein Zeichen setzen zu dürfen. Im Sport geht es um fairen Wettstreit. Entscheidend sollte dabei nur sein, dass die körperlichen Leistungen dabei vergleichbar sind. Wer wie lebt, ist dabei nicht entscheidend – es sei denn, ewiggestrige Funktionär*innen zwingen „ihren“ Sportler*innen ihre Regeln auf und unterstützen eher autoritäre Herrscher als engagierte Sportler*innen, die ihre Bekanntheit als Sportler*innen für gesellschaftliche Toleranz einsetzen wollen.
*Jeden Samstag, aber auch aus aktuellen Anlässen veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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