«Muss das mit LGBTIQ sein?» – Seyran Ateş will modernen Islam
2017 gründete sie in Berlin die liberale Ibn Rushd-Goethe Moschee
Weil Seyran Ateş für Frauenrechte und einen modernen, liberalen Islam kämpft, wollen viele sie tot sehen: extreme Islamisten, aber auch deutsche Rechtsextremisten. Nun hat die norwegische Filmemacherin Nefise Özkal Lorentzen einen Film über die bisexuelle Imanin aus Berlin gedreht.
An diesem Donnerstag findet die internationale Premiere von «Seyran Ateş: Sex, Revolution and Islam» auf dem grossen dänischen CPH:DOX Film Festival statt, wegen der Corona-Pandemie nur virtuell. Die türkisch-deutsche Anwältin und Autorin ist eine der ersten weiblichen Imaminnen in Europa und fordert: eine sexuelle Revolution im Islam.
Gegen Ateş wurden zwei Fatwas verhängt, zudem erhält sie immer wieder Morddrohungen, dazu kommen zahllose ziemlich widerliche Beleidigungen in den sozialen Medien. Seit 2006 lebt sie unter ständigem Polizeischutz und bekommt – damit steigt die Doku ein – unzählige widerliche Hassmails, wird als «Hure» beschimpft, einige wollen sie «ficken». Das alles wird von Ateş dokumentiert und angezeigt. «Das läuft allermeistens ins Leere, weil diese Leute u.a. Fake-Accounts nutzen, und die Polizei auch beschränkt ist in ihren Möglichkeiten, schon personell.»
Ateş kam einst als Kind mit ihrer Familie aus der Türkei nach Berlin. Dass für Mädchen andere Regeln galten als für Jungs, hat sie schon früh geärgert. Kurz bevor sie 18 wurde, lief sie von zu Hause weg und begann ihren Kampf zu kämpfen. Die Unterdrückung der Frau im Islam, das war ein Zwiespalt. Ein anderer war, dass sie sich als bisexuell identifiziert.
«Meine früheste konkrete Erinnerung war in der 7. Klasse, mit 10 oder 11 Jahre und dann mit 12 sehr konkret, als ich mich in ein Mädchen verliebt habe», so Ates im Gespräch mit MANNSCHAFT. «Aber ich habe mich nicht getraut, das so auszuleben, also war ich erstmal mit Jungs zusammen. Mit 25 war es dann aber relativ klar: Ich bin bi.»
2017 gründete sie in Berlin-Moabit die liberale Ibn Rushd-Goethe Moschee, die explizit auch offen steht für LGBTIQ. Das ist Teil ihres Kampfes: Für sie sind Frauenrechte und Islam ebensowenig ein Widerspruch wie das Akzeptieren von LGBTIQ innerhalb des Islam. Trotzdem gab es Phasen, in denen sie dachte: Ich will mit diesem ganzen Islam nichts zu tun haben. «Aber das bezog sich auf die traditionellen Vertreter, auf den sehr aggressiven politischen Islam. Was in meiner Familie in Sachen Islam passierte, war sehr entspannt.» 1998 hat sie das erste Mal einen Vortrag zum Thema Kopftuch gehalten auf dem feministischen Juristinnentag. Dort sagte sie: «Es ist mir egal, was im Koran steht: Ich argumentiere hier als Frauenrechtlerin.»
In der Sure 4.34 heisst es etwa, dass der Mann als Versorger über der Frau steht, dass er sie ermahnen darf, wenn sie widerspenstig ist, und sie schlagen darf. «Das konnte ich alles nicht akzeptieren», sagt Ates.
Zwar haben die Männer im Islam das Sagen, doch es sind fast immer die Frauen, die die Kinder erziehen. So setzt sich das Patriarchat immer weiter fort. «Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, dass das Patriarchat 2021 immer noch existiert, weil Frauen es mit unterstützen und auch verteidigen.“ Ob Ehrenmorde, Genitalverstümmelung, oder Zwangsverheiratung – das üben nicht nur Männer an Frauen aus, sagt die Anwältin. «Ich habe viele Frauen vertreten, die sich gegen ihre Mütter zu Wehr setzen mussten, als sie sich scheiden lassen wollten, nachdem sie Gewalt von ihrem Mann erlebt haben.»
Unter der sexuellen Revolution, die sie fordert, versteht sie übrigens nicht, dass nun jeder mit jedem schlafen solle. «Ich fordere einen Umbruch in der Gesellschaft, einen toleranteren Umgang miteinander, besonders in punkto Sexualität: Es darf keine Eingriffsermächtigungen geben seitens einer religiösen Gemeinschaft.»
Dass auch andere diese Veränderung wollen, das erlebt sie auch in ihrer Moschee, die im Juni ihren 4. Geburtstag feiert. Dafür erhalte sie viel Zuspruch, auch von Moslems, wenngleich sich viele nicht trauen zu kommen, aus Rücksicht auf ihre Familien. «Du weisst ja, es wird viel geredet», so die Erklärung.
Andere kommen nicht, weil sie zwar liberal eingestellt sind, aber mit LGBTIQ zusammen beten – das geht ihnen dann doch zu weit. «Ich war in Gesprächen mit einer Frau über eine Moschee-Gründung in Wien. Da hiess es dann aber irgendwann: Liberal ja, aber muss das mit LGBTIQ sein?»
Es gebe auch Leute, die die Moschee als «LGBTIQ Moschee» abstempeln und die das abwertend verstehen. «Die kommen dann eben nicht», sagt die Imamin. «Lieber so, als wenn Leute kommen, die LGBTIQ innerlich ablehnen. So haben wir die Luxussituation, dass nur die zu uns kommen, die wirkich offen und liberal sind.»
Zum Beispiel ein junger Mann aus Afghanistan, der vor vier Jahren nach Deutschland gekommen ist und jetzt gerade sein Abitur macht. «Der hat das aus der Ferne vier Jahre lang beobachtet, findet uns super, war aber skeptisch, so wie viele. Der ist selber heterosexuell. Dass wir offen sind für LGBTIQ, findet er toll und kommt jetzt regelmässig in die Moschee.»
Ihr Neffe Tugay ist schwul und arbeitet als LGBTIQ-Koordinator, der Anlaufstelle Islam und Diversity (AID), in der Moschee mit. Dort predigt er auch und leitet Gebete. «Ich gründe gerade ein Bildungswerk, auch da soll er wichtige Rolle spielen», sagt Ates. So wird er als Vertreter der «next generation» aufgebaut, wie seine Tante es nennt.
In der Doku gibt es eine sehr berührende Szene, in der er über sein langes Hadern mit seiner Homosexualität spricht und über seinen verstorbenen Vater. Hätte der ihn als schwulen Sohn akzeptiert? Er hofft es sehr. Richtig glauben kann er es nicht.
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