Macht Julia Klöckner mit Fakenews Stimmung gegen trans Rechte?
Die CDU-Politikerin sorgt mit einem Tweet zu Pubertätsblockern für Aufregung
Der Queer-Beauftrage der deutschen Bundesregierung, Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen), wirft seiner Bundestagskollegin Julia Klöckner (CDU) «schäbige Stimmungsmache auf Kosten von trans Kindern vor».
Es geht um die Internet-Seite «Regenbogenportal» des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Es ist ein Informationsportal der deutschen Bundesregierung zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und geschlechtlicher Vielfalt, heisst es in der Selbstbeschreibung bzw. dem «Selbstverständnis», wie es auf der Seite heisst.
Das Portal sei für die LGBTIQ-Community und «alle Interessierten», die mehr über «unser vielfältiges Themenspektrum erfahren möchten».
Eine Unterrubrik auf der Seite ist dem Thema «Leichte Sprache» gewidmet und versucht in 30 Texten Informationen rund um LGBTIQ entsprechend zugänglich zu präsentieren. Einer dieser Texte widmet sich der Frage, wer wann und warum Pubertätsblocker und/oder Hormone nehmen sollte. Dabei wird Personen, die «noch sehr jung» sind, erklärt, dass Pubertätsblocker als Medikament dafür sorgen, «dass du nicht in die Pubertät kommst».
«Mehr Zeit zum Nachdenken» Was das bedeute? «Dein Körper entwickelt sich erst mal nicht weiter. Weder in Richtung Frau. Noch in Richtung Mann. So hast du mehr Zeit zum Nachdenken. Und du kannst in Ruhe überlegen: Welcher Körper passt zu mir?»
Klöckner tweetete dazu, dass das «doch irre» sei und fast wie ein «Fake» wirke: Die «Bundesregierung empfiehlt sehr jungen, unsicheren Menschen Pubertätsblocker», empört sich Klöckner.
Lehmann kontert in seiner Antwort, dass die Texte auf dem Regenbogenportal keine Empfehlung der Bundesregierung für Pubertätsblocker seien. «Diese werden von Ärtz*innen in machen Fällen verschrieben», so Lehmann erklärend zu Klöckner.
Er empfiehlt Klöckner weiter an Nyke Slawik, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und gemeinsam mit ihrer bayerischen Parteifreundin Tessa Ganserer erste Transfrau im Bundestag. Auch Slawik spricht auf Twitter davon, dass der Text auf dem Regenbogen-Portal «kein Skandal» sei, wie Klöckner suggeriere, Klöckners Tweet nennt Slawik jedoch ebenfalls «schäbige Stimmungsmache». Denn: Pubertätsblocker würden «nur nach gesicherter Diagnose verschrieben, nach vielen Arztbesuchen».
Weiter tweetet Slawik: Hormontherapien gäbe es «erst nach Abwarten auf Pubertätsblockern», also erst dann, «wenn (die) trans Identität stabil» sei.
In den weiteren Antworten auf Twitter kann man von anderen Kommentator*innen lesen, dass Pubertätsblocker «im Zweifelsfall überlebenswichtige Zeit schaffen» würden.
Twitter-Diskussion Natürlich ist dieses Thema ein heftig umstrittenes, bei dem sofort sehr extrem von den unterschiedlichen Parteien – politischen ebenso wie solchen aus dem LGBTIQ-Spektrum – gegeneinander geschossen wird (MANNSCHAFT berichtete). So schreibt beispielsweise ein*e Twitter-User*in als Replik auf Klöckner: «Sie betreibt das Spiel der US-Republikaner. Würde mich nicht wundern, wenn sie demnächst mit einer ‹Don’t say gay›-Forderung um die Ecke kommt.»
Lehmann stellt abschliessend noch fest, dass der Text auf der Seite des Regenbogen-Portals nicht neu sei, sondern dort «schön länger» stehe – «nämlich etwa seit der Zeit, als Sie Ministerin waren».
Klöckner, die sich auf ihrer eigenen Homepage als Politikerin mit den Schlagworten «Haltung. Herz. Heimat» präsentiert, war unter Bundeskanzlerin Angela Merkel Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Klöckners CDU-Kollege Marc Henrichmann schreibt auf Twitter, er finde es «schlimm und kindeswohlgefährdend», wenn eine Bundesregierung «insbesondere Kinder in solch einer Form adressiert und sich lebenslang auswirkende Medikament wie Pubertätsblocker bagatellisiert». Henrichmann kombiniert das mit einer Schelte gegen die Ampel-Regierung.
«Internal Server Error» Der nicht unumstrittene trans Aktivist Till Randolf Amelung (Herausgeber des Buchs «Irrwege: Analysen aktueller queerer Politik») antwortet auf Henrichmann auf Twitter: «Zustimmung!» Jedoch ergänzt Amelung, Lehmann folgend: «Ein Text in ‹schwere Sprache› mit im Grunde gleichen Inhalten ist nicht erst in der Regierungszeit der Ampel veröffentlicht worden, sondern bereits während der letzten Jahre der GroKo.»
Amelung ergänzt: «Interessanterweise scheinen die Transinhalte jetzt offline zu sein.» In der Tat erhält man auf die Suchanfrage zu «Einfacher Sprache» auf der Seite den Hinweis «Internal Server Error» (Stand: 13. Oktober, 11 Uhr).
Auch andere weisen darauf hin, dass der von Klöckner kritisierte Beitrag von der Regenbogenportal-Homepage verschwunden sei. Die CDU-Politikern twitterte daraufhin: «Gut, dass wir’s angesprochen haben – was zu wilden Hass- und Hetzkommentaren geführt hat. Dass die Seite aber nun seit gestern bearbeitet wird, ist Beweis, dass die Art der Ansprache und Präsentation, der Umgang mit dem Thema doch nicht so angemessen ist.»
Das werden viele anders sehen. Sven Lehmann hat diese weitere Entwicklung der Diskussion bislang noch nicht kommentiert. Wann die Bearbeitung der Regenbogenportal-Seite abgeschlossen sein wird und ein möglicherweise umformulierter neuer Text online verfügbar sein wird, ist derzeit nicht bekannt.
Die Bild-Zeitung zitiert derweil Jakob Maske vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Er sagt: «Pubertätsblocker einfach pauschal zu empfehlen, halte ich für falsch. Das sind sehr starke Mittel, in der Regel Hormone, die sich nicht nur auf die Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale auswirken, sondern das gesamte Wachstum beeinträchtigen können.»
Man greife in den regulären Wachstumsrhythmus ein, was ein harter Einschnitt sei, so Maske.
Die stellvertretende AfD-Bundessprecherin Mariana Harder-Kühnel teilte mit: «Das Ziel des grün-geführten Familienministeriums ist klar: Kinder sollen die Ausbildung ihrer Geschlechtsmerkmale hemmen, um ihr biologisches Geschlecht verändern zu können. Gerade leicht beeinflussbaren Kindern solche Ideen in den Kopf zu setzen, ist hochgradig verantwortungslos und gefährlich für deren weitere physische und psychische Verfassung bis ins Erwachsenenalter hinein.»
Und weiter: «Die Ampel verführt Kinder zur gesundheitsschädigenden Manipulation am eigenen Körper und motiviert sie regelrecht zur Rebellion gegen ihre möglicherweise protestierenden Eltern.»
Die Website «Regenbogenportal» ging im Mai 2019 als «Wissensnetz des Bundesfamilienministeriums» online. Damals war die jetzige Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Danach amtierten Christine Lambrecht (SPD) und Anne Spiegel (Grüne). Seit 25. April ist Lisa Paus (Grüne) Familienministerin.
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