«Feiern hat für viele Queers enorm wichtige Ausgleichsfunktion»
Der Partyveranstalter Kilian Flade fordert einen einfacheren und umfassenderen Zugang zu Unterstützungen
Seit einem Jahr sind die Clubs in Deutschland geschlossen: Unter dem Lockdown leidet die Szene, die allein in Berlin um 100 bis 150 Adressen zählt (MANNSCHAFT berichtete). Doch was fehlt uns wirklich? Ist es nur das ausgelassene, hedonistische Feiern oder sind es doch tiefere Bedürfnisse, die momentan vielerorts auf der Strecke bleiben?
Vor zehn Jahren zog Kilian Flade von Würzburg nach Berlin, wo er sich als Barbetreiber und Veranstalter der Partyreihe «Gimme Moritz» – zusammen mit den beiden Dragqueens Anna Klatsche und Victoria Bacon – einen Namen im queeren Underground der Metropole machte. Für MANNSCHAFT wirft der 30-Jährige einen Blick auf den Ist- beziehungsweise Stillstand der Clubs.
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Kilian, kannst du dich noch an eure letzte reguläre Veranstaltung erinnern? Unsere letzte Party vor dem Lockdown fand im Januar 2020 statt. Die für März geplante mussten wir bereits absagen. Wir hatten eine Menge Spass, die Stimmung war super und die Berliner Drag-Legende Jurassica Parka hat aufgelegt. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, was auf uns zukommt. Mir scheint dieser Abend mittlerweile sehr weit entfernt. Hunderte von Leuten, die unbeschwert, verschwitzt und eng beieinander tanzten, fast schon eine Parallelwelt.
Wie versucht ihr mit «Gimme Moritz», die Zeit bis zur erneuten Cluböffnung zu überbrücken? Als Partykollektiv hat die aktuelle Situation uns – wie die ganze Community – vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Wir hatten für 2020 einige Aktionen geplant, doch grätschten uns dann immer wieder neue Lockdownregelungen dazwischen. Aktuell heisst es, die Daumen zu drücken, dass wir uns in der Sommersaison 2021 vorsichtig mit einem Format zurückmelden können. Sicher ist das aber natürlich nicht. Trotzdem versuchen wir, nicht die Hoffnung zu verlieren, bald alle wieder zusammen feiern können. Zum Glück haben wir drei noch andere Tätigkeiten, mit denen wir uns bis dahin beschäftigen können.
Funktionieren Alternativangebote wie Sommerbiergärten oder digitale Events aus deiner Sicht? Ich finde Alternativangebote eine tolle Idee, solange sie sicher stattfinden können. Wir von der «Gimme Moritz» haben uns mit digitalen Angeboten jedoch zurückgehalten. Die Magie unserer Partyabende kann man schwer virtuell reproduzieren. Dennoch bin ich ein grosser Fan von Aktionen des SchwuZ oder Initiativen wie «United We Stream».
Welche Sorgen oder Ängste treiben dich hinsichtlich der Zukunft des Club- und Veranstaltungslebens um? Die aktuelle Situation besorgt mich sehr! Noch bis vor eineinhalb Jahren habe ich selbst eine Bar betrieben und weiss, wie sehr uns die aktuellen Einschränkungen zu schaffen gemacht hätten. Kneipen und Clubs starten nicht zum Spass Crowdfundingkampagnen, sondern weil ganz einfach das Geld nicht reicht, um zu überleben.
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Siehst du irgendwo Perspektiven in der momentanen Situation oder ihren Auswirkungen? Gewisse Chancen sehe ich durchaus in der Krise. Streams und digitale Veranstaltungen können in der Zukunft eine zusätzliche Sparte für Clubs und Kulturbetriebe darstellen. Aber das Nachtleben ist eng mit persönlichem Kontakt und dem Zauber des physischen Ortes verknüpft. Das wird immer so bleiben und ist durch digitale Formate nicht vollständig zu ersetzen.
Tut die Politik genug, damit die Branche den finanziellen Einbruch abfedern kann? Wenn man sich einmal überlegt, wie sehr uns Musik, Filme, Kunst und Kultur dabei helfen, die aktuelle Situation auszuhalten, gleichzeitig aber beobachtet, wie wenig Geld von den Corona-Rettungsfonds für Künstler*innen, Kulturstätten und -schaffende zur Verfügung gestellt wird, dann ist das ein riesiger Widerspruch in sich. Wir benötigen einfacheren und umfassenderen Zugang zu Unterstützungen!
Gibt es denn sinnvolle Wege, wie man als Privatperson DJs, Künstler*innen, Veranstalter*innen und Clubs unterstützen kann? Um es ganz einfach zu formulieren: Alle brauchen Geld. Man kann mit Spenden einen wichtigen Beitrag leisten. Sofern man es sich selbst finanziell erlauben kann. Wir von der «Gimme Moritz» haben im Rahmen des Crowdfundings unseres Resident-Clubs, des Humboldthains, eine Stadttour angeboten, für die sich einige unserer treuen Fans eingebucht haben. Sobald es die Situation zulässt, stöckeln wir dann mit unseren Gästen durch den Bezirk Wedding und plaudern ein wenig aus dem Nähkästchen. Darauf freue ich mich ehrlich gesagt schon sehr!
Inwiefern ist Feiern relevant für die psychische Gesundheit? Das Feiern hat für viele Queers eine enorm wichtige Ausgleichsfunktion. Die Clubs und Bars sind Räume, in denen man sich freier und mit weniger Angst vor Diskriminierung bewegen, ausleben und austauschen kann als in anderen Kontexten. Seit fast einem Jahr sind solcherlei Orte nun aber unzugänglich für die Community. Zusätzlich erleben wir in der Pandemie eine Konzentration auf den eigenen Haushalt und auf die heteronormative Kernfamilie. Dieses Konzept widerspricht aber dem vieler LGBTIQ, die Zeit mit ihrer «auserwählten Ersatzfamilie» brauchen. Gerade in Bezug auf diese wichtige soziale Funktion sind digitale Formate leider kein vollwertiger Ersatz.
Leidet die LGBTIQ-Community denn mehr unter der Clubschliessung als andere Gruppen? Ich befürchte, dass die Community stärker von der Pandemie getroffen ist, ja. Der Lockdown kann eine zusätzliche psychische Belastung für Queers darstellen, die ja ohnehin stärker von psychischen Erkrankungen betroffen sind.
«Ich kann Spaziergänge nicht mehr sehen.»
Der Instagram-Account «GaysOverCovid» prangert das Verhalten schwuler Männer an, die zum unbeschwerten Feiern beispielsweise nach Mexiko reisen. Wie bewertest du solcherlei Erscheinungen? Für mich ist das ein schwieriges Thema, bei dem viele Punkte zusammenkommen. Zum einen der nachvollziehbare Drang, wieder feiern zu wollen. Dann aber auch die Tatsache, dass es vor allem weisse, reiche Männer sind, die es sich leisten können, trotz Verboten und vollen Krankenhäusern ihrem Vergnügen nachzugehen. Und zu guter Letzt ist da der fade Beigeschmack, dass es sich bei solchen Accounts um unnötiges öffentliches Shaming und Schadenfreude handelt. Der Journalist James Greig hat das in einem Artikel schön aufgedröselt. Es sind fast ausschliesslich andere homosexuelle Männer, die das beschriebene Verhalten als «schwules Laster» verurteilen. Dabei brechen Heteros vermutlich nicht minder selten die Regeln. Sie werden nur nicht auf die gleiche Art und Weise pathologisiert.
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Was fehlt dir selbst am meisten während der Pandemie? So gern ich meine Freund*innen und auch die Parks der Stadt habe, ich kann ehrlich gesagt keine Spaziergänge mehr sehen. Mir fehlen die spontanen Begegnungen beim Ausgehen, Küsschen links, Küsschen rechts, mal eine Zigarettenlänge zwischen Klo und Bar plappern. Auch vermisse ich unsere Gäste, die Künstler*innen auf unserer Bühne und den einzigartigen Vibe, der sich nach so ein paar Stunden im Club entwickelt. Oder die Momente nach den Partys, wenn die letzten Gäste gegangen sind und Anna, Victoria und ich backstage anfangen, den Abend zu resümieren und dabei unseren Kram zusammenzupacken. Das wieder zu erleben, das wird ein Fest!
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