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«Lesbischen Müttern jahrzehntelang Sorgerecht entzogen – beschämend!»

Das Bundesland Rheinland-Pfalz hat die Studie «…in ständiger Angst…» gefördert

Sorgerecht
Symbolbild: Irina MurzaUnsplash

Rheinland-Pfalz hat bundesweit erstmals eine Studie gefördert, die sich mit der Situation lesbischer Mütter nach einer Scheidung von ihrem Ehemann befasst hat. Die Studie macht grosses Unrecht sichtbar, das bisher nicht bekannt war. So lebten lesbische Mütter in Angst um den Verlust des Sorgerechts ihrer Kinder, wenn sie sich von ihrem Ehemann scheiden liessen, um in einer Liebesbeziehung mit einer Frau zu leben.

Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Frauen, die sich scheiden liessen, um in einer Liebesbeziehung mit einer Frau zu leben, jahrzehntelang das Sorgerecht entzogen wurde. Die Studie deckt strukturelle Diskriminierungen lesbischer Mütter bis zum Jahr 2000 auf. Das ist bedrückend und beschämend zugleich», sagte Ministerin Anne Spiegel am Donnerstag.

«Ich möchte als Frauen- und Familienministerin mein Bedauern ausdrücken und mich dafür bei den betroffenen Frauen, bei ihren Kindern und Familien entschuldigen», erklärte die Ministerin anlässlich der Veröffentlichung der historischen Studie «…in ständiger Angst…», mit der das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und die Bundestiftung Magnus Hirschfeld beauftragt worden waren.

Die Ergebnisse belegen, dass lesbische Mütter in Angst, Abhängigkeit und Sorge um den Verlust des Sorgerechts ihrer Kinder und den Unterhalt lebten, wenn sie sich von ihrem Ehemann scheiden liessen, um in einer Liebesbeziehung mit einer Frau zu leben. Ihre Diskriminierung führt die Studie, die die Situation in Westdeutschland unter besonderer Berücksichtigung von Rheinland-Pfalz von 1946 bis 2000 in den Blick nimmt, insbesondere auf folgende Gründe zurück:


    • Die gesellschaftlichen Erwartungen in den 50er, 60er und 70er Jahren an Frauen
      waren, sich als Ehefrau und Mutter ausschließlich der Familie zu widmen.
    • Das Schuldprinzip im Scheidungsrecht, das bis 1977 galt, und infolgedessen
      schuldig geschiedene Ehepartner oder Ehepartnerinnen den Unterhalt verloren.
    • Den Einfluss der juristischen Kommentierungen des BGB auf die
      Rechtsprechung, nachdem der gleichgeschlechtliche Verkehr als „schwere
      Eheverfehlung“ und damit als Grund für eine schuldige Scheidung angesehen
      wurde – auch wenn dies in dieser Weise nicht explizit im Gesetz selbst formuliert
      war. Dem schuldig geschiedenen Elternteil wurde in der Regel das Sorgerecht
      nicht zugesprochen.
    • Die moralischen Wertevorstellungen von Familienkonstellation und Kindeswohl,
      bei der eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft als moralisch bedenklich galt.
      Eine Gefährdung des Kindeswohls wurde auch damit begründet, dass eine
      Diskriminierung der Kinder zu befürchten sei, wenn sie bei ihrer lesbischen
      Mutter leben.

«Ein zentraler Verdienst der Studie ist der Beleg der systematischen Diskriminierung lesbischer Mütter in der Rechtsprechung und die Sichtbarmachung des unfassbaren Leids, das hierdurch verursacht wurde“, resümiert die Familienministerin. «Die Forschungsarbeiten machen aber auch das Schweigen darüber deutlich, das sich aus der Vergangenheit vielfach bis heute fortsetzt, weil nichts verschriftlicht wurde. Viele Zeitzeuginnen wollen noch immer nicht darüber sprechen, weil das Erlebte so schmerzhaft ist. Ich bin froh, dass lesbische Mütter mit dieser Studie erstmals aus der Unsichtbarkeit geholt werden und ihnen eine späte Rehabilitation und Anerkennung zukommt, die ihnen die Gesellschaft bis heute schuldig geblieben ist.»

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Die aktuelle Studie wurde angestossen durch den Forschungsbericht zur Verfolgung homosexueller Menschen in der Zeit von 1946 bis 1973, der 2017 von der Landesregierung veröffentlicht wurde. Hier hatten sich bereits erste Anzeichen von Diskriminierungen lesbischer Mütter infolge einer Scheidung gezeigt, die die Familienministerin dazu veranlasst hatten, die Studie des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin und der Bundestiftung Magnus Hirschfeld mit 70.000 Euro zu fördern.

Der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin, Andreas Wirsching, stellt den Vorreiter-Charakter der Studie heraus: «Seit einigen Jahren arbeiten das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld zielgerichtet zusammen, um die Erforschung der Lebenssituationen homosexueller Menschen in Deutschland im 20. Jahrhundert voranzubringen.»


Die nun vorliegende Studie schliesse daran an und betrete gleichzeitig Neuland: Erstmals würden
nun ausschliesslich die Lebenssituationen lesbischer Frauen in den Fokus genommen und nach spezifischen juristischen, aber eben nicht strafrechtlichen Diskriminierungen in der Bundesrepublik gefragt. „Neu ist auch der Untersuchungszeitraum, der die gesamte Geschichte der alten Bundesrepublik umfasst und bis in die unmittelbare Vorgeschichte unserer Gegenwart reicht.»

Der geschäftsführende Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, Jörg Litwinschuh-Barthel, wirft einen Blick in die Zukunft: «Wir haben das Ziel, dass mit der Studie von Dr. Kirsten Plötz jetzt eine breite gesellschaftliche Debatte über die Anerkennung des Leids der betroffenen Frauen und ihren Kindern initiiert wird. Ich hoffe, dass Bund und weitere Länder dem Beispiel von Rheinland-Pfalz folgen und sich ebenfalls mit diesem Unrecht auseinandersetzen. Wir brauchen ein umfassenderes Bild dieses bislang weithin unbeachteten Feldes der Diskriminierung von lesbischen und bisexuellen Frauen und ihren Kindern.» Die empirische Forschung von Plötz liefere hierzu nun eine wichtige Grundlage.

Dass lesbische Paare – trotz der Öffnung der Ehe im Jahr 2017 (MANNSCHAFT berichtete) – rechtlich bis heute nicht gleichgestellt sind, bemängelt abschliessend Ministerin Spiegel: «Zwar werden sie im neuen Adoptionsrecht von der Beratungspflicht ausgenommen, wenn ein Kind in die Ehe oder feste Lebenspartnerschaft geboren wird. Aber die Frau der Geburtsmutter muss nach wie vor das gemeinsame Kind als Stiefkind adoptieren, weil das Abstammungsrecht noch immer nicht reformiert ist.» (Dagegen klagt nun ein Paar aus Niedersachsen – MANNSCHAFT berichtete.)

Spiegel weiter: «Die Studie ist mir Bestätigung und Ansporn zugleich, mich weiterhin mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass die rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Akzeptanz lesbischer Paare endlich erreicht wird.»

Die historische Studie über rechtliche Folgen einer Scheidung für Mütter mit lesbischen Beziehungen und ihren Kindern in Westdeutschland unter besonderer Berücksichtigung von Rheinland-Pfalz (1946 bis 2000) sowie eine Kurzfassung sind auf www.regenbogen.rlp.de nachzulesen.


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