Lesbensex gilt nicht? Bitte jetzt mal gut aufpassen!
Viele frauenliebende Frauen kriegen das noch immer zu hören
Lesbensex zählt für viele Menschen offenbar nicht und wird als Petting abgewertet. Nicht nur Anna Rosenwasser, die dazu den Samstagskommentar* schreibt, macht das wütend.
«Ich schwör, diese scheiss Männer!», schimpft Kerstin, «ich hab echt immer nur Probleme mit denen!» Wütend greift sie zur Rotweinflasche, schenkt dann aber zuerst bei Lara, dann bei Lena nach. Es ist ein kühler Donnerstagabend, den die drei Frauen miteinander am Küchentisch verbringen; man wärmte sich erst mit Tee, dann mit Rotwein und nun wohl auch mit glühender Wut. Lena bleibt eher kühl. «Wenn du immer nur Probleme hast mit Männern, warum versuchst du’s denn nicht einfach mal mit Frauen?»
Doku: Die Geschichte des Lesbischen Aktionszentrums (LAZ) 1972-82
Alle drei lachen kurz auf: Kerstin, die Schimpfende, die hetero ist; Lena, schon immer bisexuell; und Lara, bisher nur stille Beobachterin, die offen lesbisch lebt. «Jaja, ich hab ja auch schon mit Frauen geknutscht und so», winkt Kerstin nun ab, «ich bin da eh tolerant, ihr kennt mich ja.» Sie wirft einen bedeutungsvollen Blick in die Runde. «Aber Sex mit einer Frau, ne du. Ich meine, das wäre ja dann wie Petting. Was soll ich damit?», fragt Kerstin, aber sie erwartet keine Antwort. Sie meint es als Pointe.
Als Lara Stunden später nach Hause geht, ist sie noch immer wütend. Sie war still gewesen in der ersten Hälfte dieses Gesprächs. Dann, bei «das wäre ja wie Petting», wollte sie etwas sagen – aber sie wusste nicht, was. Sie ist 36. Sie ist schon lange eine Lesbe. Sie ist gerne eine Lesbe. Und trotzdem konnte sie keine Worte finden dafür, was sie an der Aussage so störte. Wie ein Teenager, der seine eigenen Gefühlsausbrüche nicht auf den Punkt bringen kann.
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Das Thema lässt Lara nicht los. Tage später setzt sie sich an den Laptop und schreibt eine Mail – an mich. Ich kenne Lara nicht. Aber ich kenne die Geschichte. Weil sie immer wieder passiert, an ganz vielen Küchentischen und Rotweingesprächen und in den Leben von ganz vielen Frauen, die Sex mit Frauen haben. Lesbensex? Ist doch nur Petting. Das zählt ja nicht.
Stellen wir es uns mal schwul vor: Drei Jungs – einer hetero, einer bi und einer homo – sitzen am Küchentisch. Der Hetero jammert über Frauen, der Bisexuelle schlägt ihm Sex mit Männern vor und der Hetero entgegnet: Nein, das wär ja dann gar kein Sex, das wäre ja eher Petting! – Dieses Gespräch wird so nicht passieren. Weil niemand behauptet, Schwulensex sei kein echter Sex. Klar, man behauptet, es sei falscher Sex. Eklig und verboten. Es kursieren falsche Vorstellungen, und zu wenig gesunde Info ist verfügbar. Schwulensex ist nicht akzeptierter Sex. Aber man glaubt wenigstens an seine Existenz.
Bei Lesbensex ist das anders. In den Köpfen der Menschen existiert Lesbensex nur, wenn er in Pornos vorkommt. Von Männern gemacht, für Männern gemacht; eine Schande, dass so eine Porno-Kategorie das Wort «Lesbe» überhaupt beinhalten darf. Sappho dreht sich im Grab! Von Lesbenpornos etwas über Sex unter Frauen zu lernen, ist etwa so sinnvoll, als würde man «The Fast and the Furious» gucken, um Autofahren zu lernen.
Das Tragikomische an Lesbensex ist: Die Leute glauben, dass sie nicht wissen, wie Sex unter Frauen aussieht. Dabei können sie sich bloss nicht vorstellen, wie Sex ohne Schwänze aussieht. (An dieser Stelle nochmals die Erinnerung, dass nicht nur Männer Schwänze haben. Die gesellschaftliche Vorstellung von Sex schliesst also nicht nur Lesben aus, sondern auch viele trans Menschen.)
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Es wäre jetzt ein Einfaches, einfach der männerdominierten Porno-Industrie die Schuld zu geben. Oder so zu tun, als wäre das alles ja nicht so schlimm; schliesslich müssen ja nur die Fickenden wissen, wie das Ficken geht, oder? – Aber so ist es nicht. Hier geht es nicht einfach um Verkehr. Hier geht’s um die ganze verdammte Geschichte der Verkehrsregelung.
Ich hab mal ein paar Jahre Geschichte studiert, und etwas vom Sinnvollsten, was ich dort gelernt habe, ist die Geschichte der westlichen Sexualität. In unseren Breitengraden wurde nämlich schon im letzten Jahrhundert so getan, als gäbe es nur männliche Sexualität, weibliche hingegen nicht. Man ging schlicht davon aus, dass Frauen kein eigenständiges Begehren empfinden. So kam es übrigens auch zu einem bizarren Unterschied zwischen Lesben- und Schwulenfeindlichkeit: Schwule konnten gar nicht genug aufpassen, um nicht aufzufliegen. Lesben hingegen waren unsichtbar; wenn zwei Frauen ihr Leben lang zusammenleben, konnte das nichts Sexuelles sein, weil ja kein Penis involviert ist. Schwule werden sexualisiert; Lesben wird keine eigenständige Sexualität zugestanden.
Beides, Stigma und Unsichtbarkeit, sind schädliche Formen der Diskriminierung. Ich werde oft gefragt, was von beidem schlimmer ist. Und weigere mich jedes Mal, zwei verschiedene Formen von «schlimm» miteinander zu vergleichen. Beides ist schlimm.
So gesehen, ist unsere Gesellschaft gar nicht so viel offener geworden, wie sie es sich gerne einredet: Noch immer wird oft davon ausgegangen, dass weibliches Begehren von irgendeinem Schwanz abhängig ist. Wenn der fehlt, dann fehlt etwas, denkt man. Dann kann man sich nicht vorstellen, wie der Sex denn sonst so abgeht. Was machen die denn die ganze Zeit?! Die Frage ist ein bisschen lustig. Weil die Antwort viel, viel einfacher ist, als manche meinen.
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Nun, wie haben Lesben denn letztendlich Sex? Genau so, wie Heteros auch Sex haben könnten. Wenn sie sich endlich mal etwas Mühe geben würden.
Merken wir uns das fürs nächste Mal, wenn an einem Küchentisch jemand behauptet, Lesben hätten nur Petting.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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