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Lasst bitte die Regenbogenfahne in Ruhe!

Es braucht eine Sichtbarkeit der Menschen, nicht der Streifen

Regenbogenfahne
Die erweiterte Regenbogenfahne (Foto: Daniel Quasar/Facebook)

Seit 2017 kursiert eine Regenbogenfahne, die um einen braunen und einen schwarzen Streifen erweitert ist. Die sogenannte Philly-Flag wurde später ihrerseits ergänzt durch ein Dreieck, das der trans Fahne entnommen ist. Das ist leider ein Inklusions-Irrweg, schreibt Kriss Rudolph in seinem Samstagskommentar*.

Bevor ich anfing, diesen Kommentar zu schreiben, habe ich ein paar Freund*innen und Kolleg*innen aus der PoC-Gemeinde gefragt, was sie von dem braunen und schwarzen Streifen in der Regenbogenfahne halten und ob sie sich dadurch akzeptierter fühlen. Nicht alle wollten sich äussern. Einer meinte, es sei ihm schlicht egal. Bei den beiden, die sich etwas ausführlicher einliessen, gab es ein Pro und Contra.

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Einer erklärte mir: «Ich denke, die neue Flagge macht mehr Sinn und mehr Platz für die Menschen. Sie zwingt auch dazu, über einen Teil der Gemeinschaft nachzudenken, der vorher etwas unterrepräsentiert war. Ich fühle mich definitiv mehr gesehen und einbezogen.»

Der andere ist der Schauspieler Pierre Sanoussi Bliiss, der seine Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland in diesem Gastbeitrag für MANNSCHAFT darlegte. Zur erweiterten Regenbogenfahne schrieb er nun: «Mir ist das völlig wurscht. Ich habe nie verstanden, dass der Mensch ein Stück Stoff braucht, um sich irgendwo zugehörig zu fühlen. Von dem Nationengedöns bei Olympia bis zum Rammlerverein (Kaninchen). Aber wenn es der Community mit der Erweiterung besser geht, bitteschön. Welche Stelle der Fahne steht eigentlich für meinen weissen Ehemann?»


Ich freue mich aufrichtig, wenn es Schwarze gibt, denen die beiden Streifen das Gefühl geben, zumindest gesehen oder – noch besser – akzeptiert zu sein. Denn ich weiss, dass die Abwesenheit dieses Gefühls wehtut. Ich glaube trotzdem, dass es mit einer Veränderung der Fahne nicht getan ist und dass dies, aus mehreren Gründen, der falsche Weg ist. (3 von 4 MANNSCHAFT-Lesern gab in unserer Umfrage Anfang 2019 an, dass eine erweiterte Flagge nicht nötig sei.)

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Die ursprüngliche Regenbogenfahne wurde Ende der 70er Jahre vom US-amerikanischen LGBTIQ-Aktivist Gilbert Baker geschaffen und wurde bei der «Gay Freedom Day»-Parade am 25. Juni 1978 in San Francisco zum ersten Mal geschwenkt. Die Flagge bestand aus acht Farben, denen Baker je eine bestimmte Bedeutung zuwies: Pink stand für Sexualität, Rot für das Leben, Orange für die Heilung. Gelb stand für das Sonnenlicht, Grün für die Natur, Türkis für die Kunst. Indigoblau repräsentierte Harmonie und Violett den Geist.

Keine Farbe – und das ist das gängigste und offensichtlichste Argument gegen eine Erweiterung der Regenbogenfahne um braun und schwarz – stand für irgendeine Hautfarbe. Harmonie, Geist oder Sexualität sind Zustandsbeschreibungen, Empfindungen oder Lebensäusserungen, mit denen sich jeder Mensch gleich welcher Hautfarbe identifizieren kann und soll.


2017 wurde die Fahne erstmals in Philadelphia, wo die afroamerikanische Bevölkerung fast die Hälfte der städtischen Bevölkerung ausmacht, erweitert und taucht auch in diesem Jahr vielerorts auf, als Reaktion auf die Rassismus-Debatte und die Black-Lives-Matter-Bewegung nach dem schrecklichen Tod von George Floyd als Folge von Polizeigewalt. Auch der Berliner CSD, der an diesem Samstag digital stattfindet, nutzt diese Version.

Es steht ausser Frage, dass Schwarze in diesem Land und auch in der LGBTIQ-Community als gleichwertige Mitglieder betrachtet werden sollen und dass noch viel zu tun ist, um das zu erreichen. Aber es braucht eine Sichtbarkeit der Menschen, nicht der Streifen.

Zwar bemüht sich die LGBTIQ- Community darum, inklusiver zu werden. Jonathan, der in Berlin als Sozialarbeiter in der HIV-Prävention tätig ist, hat uns kürzlich erzählt, dass er mehrfach als Kampagnengesicht auf Plakaten zu sehen war. Die gute Idee wurde dann jedoch konterkariert dadurch, dass in der Nachbearbeitung der Fotos seine Haut heller und seine Lippen schmaler gemacht werden.

Ein anderes Beispiel: Aus Solidarität mit der Black-Lives-Matter-Bewegung kündigten zunächst Grindr und dann auch die beiden Gay-Dating-Apps Jack’d und Scruff an, ihre «Ethnien-Filter» zu deaktivieren. Auch PlanetRomeo wollte auf diese Weise ein Zeichen setzen und erklärte, für mich durchaus nachvollziehbar: Jede sexuelle Vorliebe nach Alter, Körperform oder Ethnie könne auch als Diskriminierung angesehen werden – doch sexuelle Vorlieben zu verleugnen, sei eine Illusion. Aber dann hat man den Filter einfach in Suche umbenannt. Das ist ein hübsches Beispiel für Volksverdummung.

Deutschland tut nicht genug gegen Rassismus
Natürlich muss sich etwas verändern, wir müssen aktiv etwas gegen Rassismus unternehmen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hat im Juni ihren Jahresbericht vorgelegt, der zeigt,  dass sich die Beratungsanfragen zu rassistischer Diskriminierung seit 2015 mehr als verdoppelt haben. Der kommissarische ADS-Leiter Bernhard Franke konstatierte: Deutschland tut nicht genug gegen Rassismus. Darum fordert er die Schaffung eines Polizeibeauftragten in allen Bundesländern, um rassistischer Diskriminierung durch staatliche Stellen entgegenwirken zu können.

Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und Saraya Gomis, die Vize-Chefin des Rassismuspräventionsvereins Each One Teach One (EOTO), fordern, im Kampf gegen Diskriminierung die Strukturen in den Blick zu nehmen – sonst könne man auch noch hundert Jahre die gleichen Diskussionen führen. EOTO fordert darum ein Antidiskriminierungsgesetz in allen Bundesländern und auf Bundesebene, wie es Berlin im Juni verabschiedet hat (MANNSCHAFT berichtete).

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Aber die Regenbogenflagge zu erweitern, ist der falsche Weg. Gut gemeint ist – wie so oft – nicht gut gemacht. Nicht zuletzt, weil sich damit aktiv nichts verändert und die Gefahr besteht, dass jene, die die erweiterte Flagge schwenken oder deren Einsatz propagieren, weitere Schritte unterlassen, und sich auf dem Erfolg der zwei zusätzlichen Streifen ausruhen.

Fügen wir der Regenbogenflagge als nächstes noch einen grauen Streifen hinzu – für die älteren Queers?

Wo ist überhaupt denn die Grenze? Auch ältere und alte Queers wollen – und sollen! – sich gesehen und berücksichtigt fühlen – das hat Stefan Mielchen in seinem MANNSCHAFT-Kommentar letzte Woche sehr schön dargelegt. Aber fügen wir der Regenbogenflagge deshalb noch einen grauen Streifen hinzu? Nun ist Grau ja auch längst besetzt von der asexuellen und agender Community, wie in unserer Fahnenkunde zu sehen ist.

Und was ist mit den Menschen mit körperlichen Einschränkungen; wer denkt an jene, deren Körper nicht den vermeintlichen Idealmassen entsprechen? Sagen wir ihnen: Bedauerlich, dass Ihr keine eigenen Fahnen habt, deren Farben sich integrieren liessen, so wie es mit der trans Flagge ja bereits geschehen ist?

Nein. Es tut mir aufrichtig leid für alle, die sich nicht gesehen und ausgegrenzt fühlen in ihrer eigenen Community, der LGBTIQ-Gemeinde. Ich verstehe – und unterstütze – ihren Wunsch nach Inklusion. Aber die Regenbogenflagge zu ergänzen, ist ein Irrweg.

Nein, ein farbiger Streifen macht noch keine Inklusion. Zur Deutschlandfahne gehört neben rot und gold auch ein fetter schwarzer Balken. Aber ich wette, es findet sich unter den Schwarzen in diesem Land niemand, der sich dadurch akzeptiert oder gesehen fühlt.

*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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