Kirchenasyl – Letzte Hoffnung hinter Kirchenmauern

Wer geflüchtet ist und lesbisch, hat es in Bayern oft nicht leicht

Mit 16 Jahren landete Diana Namusoke auf der Strasse (Foto: Kriss Rudolph)
Mit 16 Jahren landete Diana Namusoke auf der Strasse (Foto: Kriss Rudolph)

Das Kirchenasyl geht zurück auf die Antike. Auch heute bieten Gemeinden Geflüchteten Schutz. Queers wie Diana aus Uganda werden zumindest eine Zeitlang davor bewahrt, in ihre Heimat zurückkehren zu müssen. Doch das Kirchenasyl hat viele Feinde.

Diana Namusoke wusste früh, dass sie lesbisch ist. Mit 13 hatte sie ihre erste Freundin. In ihrer Heimat Uganda drohen Homosexuellen lange Gefängnisstrafen, in der Gesellschaft ist gleichgeschlechtliche Liebe stark tabuisiert. Die Kirche stärkt die Vorbehalte, und die Medien schrecken nicht davor zurück, Schwule und Lesben zwangszuouten, indem sie ihre Fotos und Adressen abdrucken.

Ein paar Jahre lang konnte Diana ihre sexuelle Orientierung vor ihrer Familie verbergen. Doch als die Eltern es herausfanden, warfen sie die junge Frau raus – mit 16. Ihre Familie verlangte, dass sie heiratet aber das wollte Diana nicht. Sie wurde geschlagen und gefoltert. «Sie wollten mich umbringen», sagt sie.

Im Jahr 2014 gelang ihr zusammen mit einer Bekannten die Flucht nach Deutschland. Beim ersten Kontakt mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gab sie an, lesbisch zu sein. Bei der nächsten Anhörung aber traute sie sich nicht mehr, darüber zu sprechen. Denn mittlerweile lebte sie in einem Heim, zusammen mit Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen. «Die Atmosphäre war homophob; ich hatte Angst.»

Geflüchtete aus Uganda kommen nach Bayern Zudem fehlten ihr Ansprechpartnerinnen. Die fand sie schliesslich bei der Münchner Lesbenberatungsstelle LeTRa. Dort kümmert man sich (Stand April) um bis zu 180 lesbische, bisexuelle oder queere Frauen (MANNSCHAFT berichtete). Sie kommen aus Nigeria, Tansania oder Russland, meist aber aus Uganda: Nach der Verteilungsquote, die von einer Bund-Länder-Kommission ermittelt wird, landen ugandische Geflüchtete in Bayern.

Unterstützt durch LeTRA und mit anwaltlicher Hilfe reichte Diana im April 2018 einen Asylfolgeantrag ein. Doch obwohl sie als lesbische Frau einer sogenannten vulnerablen Gruppe angehört, lehnte das BAMF ihren Asylantrag ein halbes Jahr später ab. Man glaubte ihr nicht, dass sie lesbisch ist. Sowas kommt beim BAMF nicht selten vor.

Diana war nun akut abschiebegefährdet. LeTRa versuchte, für sie einen Platz im Kirchenasyl in Bayern zu finden. Leider vergeblich. Denn Diana war keine Geflüchtete nach dem Dublin-Verfahren, wo nach sechs Monaten die Frist zur Überstellung in das für das Asylverfahren zuständigen Land abläuft. In Bayern findet man aber in der Regel nur Kirchenasyle für Dublin-Fälle, Ausnahme sind protestantische Kirchen, sagt Sara Schmitter von LeTRa. «In der katholischen Kirche ist alles total hierarchisch strukturiert: Da gibt es dann eine Person, die zentral entscheidet. Und die nimmt nur Dublin-Fälle, wegen der kürzeren Fristen, weil hier das Ende absehbar ist.»

Es kommt aber auch vor, dass Schmitter bei der Äbtissin eines Klosters vorspricht und derart homophobe Kommentare zu hören bekommt, dass sie selber entscheidet: Hier kommt ein Asyl nicht in Frage. Ohnehin sagt die LeTRa-Mitarbeiterin: «Geflüchtet und lesbisch – das ist in der bayrischen Pampa nicht lustig.»

«Entscheidendes Kriterium: Eine mögliche Abschiebung bedeutet eine Gefahr für das Leben einer Person.»

Oft hilft die Berliner Heilig-Kreuz-Kirche Für Diana fand man schliesslich im Herbst 2018 Asyl in der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg. Dort ist Ute Gniewoss seit 2016 Pfarrerin. Vorher war sie 24 Jahre in einer Kirchengemeinde im Brandenburg, wo sie immer wieder Geflüchteten Asyl bot. Auch in Berlin hat sie schon einige Menschen vor dem staatlichen Zugriff geschützt, immer in Abstimmung mit dem Kirchgemeinderat. «Die Heilig-Kreuz-Kirche hat da eine Tradition, eine gewachsene Bereitschaft, was mich froh macht, weil es nicht selbstverständlich ist.»

Auch das erste moderne Kirchenasyl – der Schutz vor Abschiebung in Gefahrensituationen – wurde hier im Jahr 1983 gewährt. Zwar könnte der Staat von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen, um die Abschiebung zu vollziehen, doch grundsätzlich toleriert er das Kirchenasyl, jedenfalls in Deutschland. Aber dazu später mehr.

Pfarrerin Ute Gniewoss hilft Geflüchteten seit über 30 Jahren (Foto: Kriss Rudolph)
Pfarrerin Ute Gniewoss hilft Geflüchteten seit über 30 Jahren (Foto: Kriss Rudolph)

Der Bedarf ist viel grösser als das, was Gemeinden leisten können, sagt Gniewoss. «Wir würden auch nicht alle nehmen. Das entscheidende Kriterium ist, dass eine mögliche Abschiebung eine Gefahr für das Leben dieser Person ist oder ihr zumindest schweren Schaden zufügen würde.» Die Behörden werden stets von der Kirche informiert, dafür wird ein Dossier mit Gutachten erstellt. In Dianas Fall wurde es an die Ausländerbehörde in Augsburg geschickt, die schrieben zurück, dass das BAMF zuständig sei, erzählt Gniewoss. «Dann schickten wir alles dorthin, aber das BAMF teilte uns wiederum mit, nicht sie seien zuständig, sondern die Ausländerbehörde – und das wars.»

Ungebrochen hoher Bedarf an Kirchenasyl Auch in Westfalen wird Geflüchteten immer wieder Kirchenasyl gewährt. Helge Hohmann, Beauftragter für Zuwanderungsarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen, erinnert sich u. a. an einen schwulen Geflüchteten aus dem Libanon. «Wir haben immer parallel etwa 20 Kirchenasyle laufen, übers Jahr sind es 30 bis 40», sagt Hohmann. Der Bedarf sei ungebrochen hoch. Den Innenminister*innen ist das Kirchenasyl ein Dorn im Auge. Gemäss einem Beschluss der Innenministerkonferenz von Juni 2018 sollten Personen im Kirchenasyl in bestimmten Fallkonstellationen als «flüchtig» im Sinne der Dublin-Verordnung behandelt werden – etwa wenn das BAMF feststellt, dass kein Härtefall vorliege, aber die betroffene Person das Kirchenasyl nicht verlässt. Der Beschluss wurde im Juni 2020 vom Bundesverwaltungsgericht gekippt. Die AfD will es Kirchenasyl ganz abschaffen, scheiterte damit aber 2018 in Sachsen-Anhalt. Der innenpolitische Fraktionssprecher Hagen Kohl nannte das Kirchenasyl «unzeitgemäss», sprach von einer Demütigung des Rechtsstaates.

Kirche vor Gericht Immer wieder gehen Behörden gegen Kirchen oder gegen Geflüchtete vor. Die Stadt Göttingen kürzte die Leistungen einer geflüchteten Nigerianerin mit dem Argument, die in Italien bereits als Flüchtling anerkannte alleinerziehende Mutter sei nur nach Deutschland eingereist, um hier finanzielle Leistungen zu erschleichen; ausserdem habe sie durch den Gang ins Kirchenasyl ihre Abschiebung sabotiert. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen sprach ihr Anfang Mai ungekürzte Asylleistungen zu. Etwa zeitgleich musste sich ein Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach bei Würzburg, der einem Flüchtling Kirchenasyl gewährt hatte, vom Gericht verantworten. Er wurde im April freigesprochen.

Auch die Benediktinerabtei Münsterschwarzach bietet Asyl (Foto: dpa)
Auch die Benediktinerabtei Münsterschwarzach bietet Asyl (Foto: dpa)

In Österreich und der Schweiz gibt es nur selten Fälle von Kirchenasyl. Wie uns Pfarrerin Verena Mühlethaler von der reformierten Kirche Zürich erklärt, habe das auch damit zu tun, dass keine Vereinbarung darüber zwischen Kirche und Staat bestehe wie in Deutschland. Zwar habe es ein paar erfolgreiche Kirchenasyle in den letzten Jahren gegeben. Doch das Staatssekretariat für Migration (SEM) habe schon mehrmals Menschen, die in einem Kirchenasyl waren, als «untergetaucht» bezeichnet – was die Dublin-Überstellungsfrist von einem halben Jahr auf eineinhalb Jahre verlängert. «Wir prozessieren dagegen in zwei Fällen, die nun beim Bundesverwaltungsgericht liegen. Denn unserer Ansicht ist das nicht zulässig, da wir ja auch in einem Kirchenasyl den Behörden die Adresse von Anfang an bekannt geben.»

Ausschaffung trotz Kirchenasyl Zudem sei es auch schon vorgekommen, dass die Polizei Geflüchtete trotz Kirchenasyls abgeholt und ausgeschafft habe. Die Pfarrerin erinnert sich an einen schwulen Iraker, den man vor einem halben Jahr aufgenommen habe. Die Schweiz wollte ihn wegen des Dublin-Abkommens nach Tschechien zurückschicken. Dorthin wollte er aber auf keinen Fall, denn dort sei er wohl auch länger im Gefängnis gewesen, da er in dem Land eben kein Asylantrag habe stellen wollen. «Nach einer Woche aber schon bekamen wir einen Brief, dass der Mann sich bereit machen müsse zur Abholung und Überstellung nach Tschechien», so Mühlethaler. «Darauf beschloss er, sein Glück in Deutschland zu suchen, und ist nun dort.»

Auch in Österreich gibt es Kirchenasyl mehr nur dem Begriff nach, sagt uns Pfarrer Alois Dürlinger aus dem Salzburger Land. In Sankt Veit im Pongau nahm der Pfarrgemeinderat im November 2014, ein gutes halbes Jahr vor der grossen Fluchtbewegung, die ersten zwölf Männer im Messnerhaus auf; etwa ein halbes Jahr wurde zusätzlich der Pfarrhof geöffnet. Die Zahl der Flüchtlinge stieg daraufhin auf 25 und später sogar auf 50. «Wir waren das grösste diözesane Quartier», erinnert sich Dürlinger, der in der Folge vom Erzbischof zum Assistenten und Sprecher in Asyl- und Flüchtlingsangelegenheiten ernannt wurde.

Damals half Dürlinger, der oft «Flüchtlingspfarrer» genannt wird, auch einem schwulen Mann aus Afrika. Es gab damals nur Mehrbettzimmer, erinnert sich der Pfarrer. «Es war ein höchst prekäre Situation», die anderen Männer kamen vor allem aus arabischen Ländern. Im Vertrauen wandte sich der Mann an den Pfarrer, der sorgte dann dafür, dass er in eine Einzelunterbringung kam. «Es war das Mindeste, dass man ihm beistand», sagt er.

Kein Kontakt mehr in die Heimat Zurück nach Deutschland. Diana hatte mit dem Kirchenasyl grosses Glück: Fast zweieinhalb Jahre hatte sie in der Berliner Gemeinde Asyl. Hier bekam sie Deutschunterricht, lernte Fahrradfahren und probierte deutsche Rezepte aus. «Ich kann jetzt Kürbissuppe und Hühnersuppe kochen», erzählt sie mit einem Lächeln. Auch ihren 50. Geburtstag hat sie im vergangenen Juni hier gefeiert. Zu ihrer Familie hat sie keinen Kontakt mehr, auch Freund*innen hat sie in Uganda keine mehr. «Deutschland ist mein Zuhause», sagt sie.

Zwei Jahre können lang sein, vor allem wenn man Angst hat, vor die Tür zu gehen, Angst, die Polizei könnte sie aufgreifen, eine Geflüchtete ohne Papiere. Darum wurde Diana immer von Leuten aus der Kirche begleitet; alle Aktivitäten fanden an sicheren Orten statt. Und sie hat in ihrer Zeit in Berlin an Selbstvertrauen gewonnen, sagt die Pfarrerin stolz. Und Diana findet: «Die Kirche hat einen wundervollen Job getan.»

Anfang März kam endlich die gute Nachricht: Das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg entschied, dass ihr abgelehnter Asylfolgeantrag vom BAMF überprüft werden müsse. Nun stand fest: Diana kann das Kirchenasyl bald verlassen und nach München ziehen und mit ihrer Freundin ein neues Leben aufbauen. Ihr Ziel: weiter Deutsch lernen und sich einen Job im Altenheim suchen.

Vorerst kein Happy End Ihre Geschichte schien ein gutes Ende erreicht zu haben. Doch dann wurde sie nach ihrer Rückkehr nach Bayern – trotz Abschiebeschutz – ins Aufnahmezentrum gebracht, ausgerechnet am 26. April, dem Tag der lesbischen Sichtbarkeit. Wegen eines Coronafalls kam sie dort in Quarantäne und konnte keinen Schritt mehr vor die Tür setzen. «Eine Tortur», sagt Sara Schmitter von LeTRa. «Es hätte nicht schlechter laufen können für Diana.»

Warum sie ins Ankerzentrum gebracht wurde, wollten wir von der Regierung von Oberbayern wissen. Der Pressesprecher Wolfgang Rupp teilte uns dazu mit, es liege zum Fall von Diana «eine wirksame Verteilentscheidung auf den Regierungsbezirk Schwaben» vor. Darum habe die Regierung von Oberbayern die Betroffene «zuständigkeitshalber dorthin verwiesen». Eine Antwort, verfasst in grauem Behördendeutsch, das kaum vermuten lässt, dass sich dahinter ein menschliches Schicksal verbirgt.

LeTRA-Mitarbeiterin Sara erklärt den Fall so: «Es gibt Menschen, die Geflüchtete abstrafen wollen, die im Kirchenasyl waren, weil sie sich so lange dem Rechtsstaat entzogen haben. Nicht das erste Mal, dass wir in Bayern sowas erleben.»

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