«Mario»: Homosexualität als Risikofaktor

Der Schweizer Film erzählt eine fiktive Liebesgeschichte über zwei aufstrebende Fussballer

Am 22. Februar startet der neue Schweizer Film «Mario» über eine schwule Romanze bei den Berner Young Boys. Mannschaft Magazin sprach mit dem Regisseur Marcel Gisler sowie mit YB-Funktionär Ernst Graf.

Das Thema Homosexualität im Profifussball bleibt aktuell. Zwei Monate nach dem Coming-out des Schiedsrichters Pascal Erlachner kommt am 22. Februar nun «Mario» in die Kinos, eine fiktive Liebesgeschichte über die zwei aufstrebenden Fussballer Mario (Max Hubacher) und Leon (Aaron Altaras), die in der U21 um einen Platz in der ersten Mannschaft buhlen und sich dabei unverhofft näher kommen.

Es ist ein heisses Thema mit viel Potenzial für Kontroverse, so sorgte der Kinofilm «Mario» denn auch bei der Premiere bei den Solothurner Filmtagen im Januar für Gesprächsstoff.

Als Regisseur Marcel Gisler im Jahr 2013 die Idee bei deutschen Produktionsfirmen vorstellte, blitzte er ab. Mehrere Filme zum Thema seien bereits in Entwicklung. Gisler verlagerte seine Geschichte in die Schweiz und fand mit dem Berner Fussballclub YB schnell einen Verein, der für den Film nicht nur das Stade de Suisse zur Verfügung stellte, sondern auch seinen Namen, sein Logo und seine Trikots für die Geschichte hergab. Finanziert und umgesetzt wurde der Kinofilm «Mario» schliesslich dank der Unterstützung einer Vielzahl von Partnern und Sponsoren.

Risikofaktor: Homosexualität Wie in allen Bereichen, in denen es um viel Geld geht, wird Homosexualität als Risikofaktor verstanden. Das gilt in der Filmindustrie, besonders aber im Profifussball. In einer Branche, in der Topspieler für mehrere Millionen Euro den Club wechseln, wird der Mensch zum Produkt. Der Leistungsausweis eines Spielers, sein Erfahrungswert und seine körperliche und psychische Verfassung bestimmen seinen Marktwert, aber auch potenzielle Risikofaktoren. Diese sind vielseitig. «Wie oft ist er verletzt? Hat er eine feste Freundin? Ist ein Alkoholproblem oder eine Spielsucht vorhanden?», sagt Gisler.

«Als Risikofaktor gilt eben auch Homosexualität. Mannschaften im Profifussball sind mehrsprachige Gebilde mit Spielern aus allen möglichen Kulturen. Spieler aus dem Balkan oder Afrika haben vielleicht eher Mühe mit einem offen schwulen Spieler. Ein Grund also, den schwulen Spieler nicht zu kaufen. So einfach ist es.»

Sich zu outen, wäre dumm

Wer sich im aktiven Profifussball outet, setzt also viel Geld aufs Spiel – seinen eigenen Marktwert. Corny Littmann, ehemaliger Vereinspräsident des FC St. Pauli und selbst offen schwul, brachte es in einem Interview 2012 auf den Punkt: «Es wäre dumm, das zu tun. Jeder, der es tun würde, wäre dumm.»

Für Ernst Graf, Mitgied im YB-Verwaltungsrat und ehemaliger Nachwuchschef, sind Geld, Image und Karriere eng miteinander verknüpft. In den Augen eines Jungprofis umso mehr. «Wer es in die erste Mannschaft schafft, kann viel Geld verdienen», sagt er im Gespräch mit der Mannschaft. Graf betont, dass Profifussballer fast ihr ganzes Leben in den Fussball investieren und oft keine andere Ausbildung absolviert haben. Alles Gründe, die gegen ein Coming-out sprechen, das eine hart erarbeitete Fussballerkarriere gefährden könnte.

Ungeoutete Profifussballer in Scheinpartnerschaften Für «Mario» hat Marcel Gisler viel recherchiert. «Ich musste, denn ich verstehe nicht viel vom Fussball», sagt er schmunzelnd. Von Funktionären erfuhr er, dass in Deutschland 2014 vier ungeoutete Profifussballer aktiv bei verschiedenen Clubs spielten und psychologisch betreut wurden. «Für zwei von ihnen wurden Scheinpartnerschaften mit einer Frau organisiert, ein anderer ist offiziell Single, also nicht mit einer Frau zusammen. Namen wurden natürlich keine genannt.»

Eine Branche, die so stark in der Öffentlichkeit steht, kann es sich nicht leisten, homophob zu sein

Es war auch im Zuge seiner Recherchen, dass Gisler und die Drehbuchautoren Thomas Hess und Frédéric Moriette mehrere Änderungen am Skript vornahmen. Die Homophobie war in den frühen Fassungen zu offensiv dargestellt, zu plakativ, um für die heutige Zeit realistisch zu sein. «Eine Branche, die so stark in der Öffentlichkeit steht, kann es sich nicht leisten, homophob zu sein», sagt er. Die heute im aktiven Profifussball herrschende Berührungsangst mit Homosexualität sei eher versteckt. Man setze sich für Diversität und gegen Diskriminierung ein; wenn die Medien einen Kommentar wünschten, zeige man sich offen und tolerant. «Das sind oft nur Lippenbekenntnisse, in der Tat sieht es dann anders aus.»

Wenn ein Trainer etwa sagt, «wir haben kein Problem mit Schwulen, denn bei uns gibt es gar keine», ist das für Gisler ein Zeichen von unterschwelliger Homophobie. «Falls dieser tatsächlich einen schwulen Spieler in der Mannschaft hat, kennt er dessen Gefühlslage nicht, da dieser sich durch so ein Statement bestimmt noch mehr vor einem Coming-out fürchtet.»

Umso mehr war Gisler über die Offenheit bei YB überrascht. Der Berner Club lud den Regisseur ein, die U21 während zehn Tagen zu begleiten, und gewährte ihm uneingeschränkten Zugang zum Alltagsleben der jungen Fussballer. Starke YB-Befürworter waren der ehemalige CEO Alain Kappeler und Fredy Bickel, der ehemalige Sportchef.

«Besonders Fredy Bickel war von der Thematik begeistert. Das tue der U21 gut, wenn sie sich mal mit etwas anderem befassen könne als mit Fussball», erinnert sich Gisler. «Er schlug sogar vor, die echte U21 im Film mitwirken zu lassen, allerdings wären die intensiven Drehtage mit dem Training nicht vereinbar gewesen.»

Mit der U21 führte Gisler eine Umfrage über Homosexualität und Fussball durch und stellte fest, dass trotz aller Offenheit zum Thema doch ein gewisses Unwohlsein vorhanden war: «Zwischen den Zeilen habe ich gespürt, dass es doch nicht ganz so unproblematisch wäre, wenn einer in der Mannschaft schwul wäre. Ein Klassiker ist zum Beispiel die Unsicherheit, ob man noch zusammen duschen kann.»

Gegen Rassismus: ja, gegen Homophobie: vielleicht

Es wäre allerdings falsch, dies der U21 zu verübeln. «Man darf nicht vergessen: Das sind junge Männer, die mit Homosexualität vielleicht nie in Berührung gekommen sind», sagt Gisler. «Seit sie klein sind, waren sie immer mit anderen Jungs zusammen. Man hat nichts anderes im Kopf als Fussball. Es ist ein Milieu, in dem man Schwulen kaum bis gar nicht begegnet und auch nicht über das Thema spricht.» Er vermutet, dass jüngere Männer eher Berührungsängste haben.

Empfehlung: Alibi-Freundin! In einer Schlüsselszene des Films werden Mario und Leon von ihren Agenten und vom Berner Sportchef mit möglichen Konsequenzen ihrer Liebschaft konfrontiert. Es wird ihnen nahegelegt, ihre Beziehung wenn nicht aufzugeben, dann geheim zu halten, und sich Freundinnen zuzulegen, um kursierende Gerüchte zu entkräften – ein Moment im Film, in dem die Schweizer Mannschaft nicht so gut wegkommt.


«Bei dieser Szene habe ich nicht an YB gedacht. Ich fand sie unglaublich bedrückend, es tat mir leid für die beiden Hauptfiguren», sagt der Berner Funktionär. Stünde er als Nachwuchschef einem jungen Spieler gegenüber, würde er ihm ohne zu zögern raten, «seinem Herzen zu folgen». «Bei einem Spieler, der für die erste Mannschaft in Frage kommt, gilt es noch weitere Aspekte zu berücksichtigen, weil man sich auf einer ganz anderen Ebene bewegt mit vielen äusseren Einflüssen», so Graf. Daher sei das im Film gezeigte Szenario durchaus realistisch.

Technisch anspruchsvoller Dreh Nach «Rosie» und «electroboy» ist «Mario» Gislers dritter Film, in dem Homosexualität ein Thema ist. Als schwuler Mann könne er sich vielleicht besser in solche Themen einfühlen, vermutet er. «Ich habe eine Zeit lang versucht, aus dieser Schaublade herauszukommen, hatte mit meinen Drehbüchern aber weniger Erfolg.» Was aber nicht bedeute, dass er sich in Zukunft nicht auch anderen Themen zuwenden möchte.

Mit «Mario» nahmen die Dreharbeiten für Gisler ungewohnte Dimensionen an. Häufig wechselnde Drehorte, viele Darsteller und Statisten sowie akribisch durchdachte Choreografien auf dem Spielfeld erforderten ein Team von rund 35 Personen. Kopfzerbrechen bereitete Gisler eine der Schlussszenen, die Mario vor über 30’000 jubelnden Zuschauern im Millerntor-Stadion von St. Pauli zeigt.

Das Publikum wurde während einem realen Spiel vom FC St. Pauli gefilmt und mit den Aufnahmen der fussballspielenden Darsteller vereint – eine computertechnische Meisterleistung, die den Einsatz eines über fünf Meter hohen Greenscreens erforderte, der über eine halbe Stadionlänge aufgestellt werden musste.  «Es ist wahrscheinlich die teuerste Szene, die ich je gedreht habe», sagt Gisler. «Aber das Resultat ist beeindruckend, ich habe die Szene Bild für Bild kontrolliert.»

Auch die Liebesszenen zwischen Max Hubacher und Aaron Altaras gingen reibungslos über die Bühne. Für die beiden Schauspieler sei das eine professionelle Herausforderung wie andere auch gewesen. Und fügt lachend hinzu: «Für seine vorherigen Filme hatte Max einen psychopatischen Mörder und einen Kriegsverbrecher gespielt. Da fand er die Rolle von Mario geradezu entspannend.»

 

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