«Niemand wäre auf die Idee gekommen, ich könnte hetero sein!»
Gerade hätten sie in Zürich spielen sollen - nun sind Boy George und Culture Club für zwei Konzerte in Deutschland
Als Frontmann von Culture Club inszenierte sich George Alan O’Dowd alias Boy George in den 80er Jahren mit Make-up und bunten Hüten auffallend queer. Nach der Trennung vor 22 Jahren haben die Jungs mit «Life» jetzt wieder eine gemeinsame Platte aufgenommen und touren durch Europa. Am Dienstag waren sie in Köln, am Mittwoch spielen sie in Berlin. Ihr Konzert am Freitag, 30. November 2018 in Zürich war wegen Terminschwierigkeiten abgesagt worden.
Mister O’Dowd, wie ist das, wieder mit den alten Bandkollegen von Culture Club zu touren? Wir sind in der Vergangenheit ja auch unterwegs gewesen, haben nur keine neue Platte gemacht. Ansonsten reist man zusammen durch die Gegend und hockt viel mit den anderen zusammen, jeder hat seine Gewohnheiten und Eigenheiten – das kann schon auch herausfordernd sein. Man fragt sich ab und zu: Was sind das eigentlich für Leute? (lacht) Ich bin sicher, sie sagen das auch über mich.
Wie reagieren die Fans auf Ihre neuen Songs? Die neuen Sachen sind stark und sie passen gut mit den alten zusammen ins Programm. Ich fühle mich echt wohl mit ihnen. Klar, es passiert, dass Leute bei den neuen Songs an die Bar gehen und sich ein neues Bier holen – die wollen lieber Sachen hören, die sie kennen. Aber natürlich haben wir auch die totalen Hardcorefans im Publikum. Scott Matthew, ein schwuler Sänger aus Australien, hat dieses Jahr ein Cover Ihres Hits «Do You Really Want To Hurt Me?» aufgenommen. Mögen Sie es? Ich bin immer neugierig auf andere Versionen meiner Songs, aber davon habe ich nie gehört. Leider kenne ich die Version nicht.
Als es mit Culture Club losging, trugen Sie Make-up und Zöpfe, waren ziemlich offensichtlich queer, für viele eine Art Vorbild. Bekommen Sie von Schwulen oder trans Personen Rückmeldungen, dass ihnen das bei ihrem Coming-out geholfen hat? Ja, jeden Tag! Lustig: Neulich sagte ein deutscher Journalist in einem Interview zu mir, ich hätte mich ja in den 80ern nicht geoutet und nie gesagt, dass ich schwul bin. Also, erstens: Ich habe mich mit 15 vor meiner Familie geoutet, das war Mitte der 70er. Damals war ich nicht in der Position, mich vor der Welt zu outen. Und jeder, der ein Coming-out hinter sich hat, weiss, dass das eins der schwierigsten Dinge in der Welt ist. Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass die Welt bereit war mich zu akzeptieren. Andererseits: Wenn wäre am Anfang von Culture Club niemand auf die Idee gekommen, mich für hetero zu halten! (lacht)
Haben Ihr Manager oder die Plattenfirma Ihnen geraten, sich zurückzuhalten oder zu verstellen? Es war damals total offensichtlich, dass ich schwul bin. Ich habe auch nie gesagt, dass ich hetero bin; ich habe einfach mit meinem Erscheinen alles gesagt, das war ein sehr kraftvolles Statement. Es war verführerisch, provokativ, es hat auch Spaß gemacht, dieser Charakter zu sein. Die Leute haben ziemlich stark auf mich reagiert, wenn ich zu Radiointerviews oder TV-Shows gegangen bin. Selbst heute noch, wenn ich von der Garderobe zur Bühne gehe, gucken mich die Leute hinter der Bühne komisch an, und ich denke: Was habt Ihr denn erwartet, wie ich aussehe? Was dachtet Ihr, was ich anziehe?
«Immer haben die Leute Angst davor, individuell zu sein.»
War es Ihnen damals egal, was die Leute sagen? Mit 19 hat man das Gefühl, man hat einfach das absolute Recht zu sein, wer man ist. Man denkt da nicht groß drüber nach, wie andere es wohl finden würden. Du willst einfach ausdrücken, wer oder was du bist. Wieso schert sich überhaupt jemand darum, wer ich bin oder wie ich aussehe? Ich habe das nie verstanden, was geht es dich an, wer ich bin? Immer haben die Leute Angst, individuell zu sein. Schau nur mal ins Internet! Bei Instagram sehen alle gleich aus, alle nutzen denselben Filter – wie schlimm!
Wie war es, in den Sechzigerjahren aufzuwachsen? Wenn man jung ist, ist alles dramatisch. Als ich klein war, haben Leute meine Mutter gefragt: «Wie heisst denn deine Tochter?» Das hat mich verrückt gemacht. Mit elf oder zwölf fingen die Kids in der Schule an, mich aufzuziehen, mich zu hänseln, nannten mich Mädchen und so. Sie machten mir bewusst, dass ich nicht wie sie war. Ich hing lieber mit Mädchen rum, sammelte Schmuck und mochte nicht wie die Jungs Soldatenspiele spielen. Ich würde gar nicht unbedingt sagen, dass es eine schwere Zeit war – das ist Kindheit ja immer, egal ob du schwul bist oder nicht hübsch genug oder nicht wohlhabend genug.
Sie haben in den Neunzigerjahren eine zweite Karriere als DJ begonnen und sind jetzt 57. Ich habe auch als DJ gearbeitet, aber mir wird das mittlerweile alles zu spät. Geht Ihnen das nicht so? (Kichert.) Man muss es lieben!
Ich liebe es ja! Aber ich bin abends müde und will ins Bett. Ich werde nicht so schnell müde (lacht).
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