Kirchenrebellin: «Liebe darf nie Sünde sein»
Jacqueline Straub will die katholische Kirche umkrempeln
Homosexualität ist Sünde. Das sagt zumindest die römisch-katholische Kirche. Doch warum eigentlich? Und wie geht die Kirche mit der Ehe für alle um? Die Theologin und Kirchenrebellin Jacqueline Straub klärt auf.
Interview: Remo Schraner
Im März liess die vatikanischen Glaubenskongregation erneut verkünden, dass gleichgeschlechtliche Paare nicht gesegnet werden dürfen (MANNSCHAFT berichtete). Ein Schlag ins Gesicht für unzählige Menschen weltweit.
In der Schweiz heizt diese Aussage die Diskussion weiter an, denn am 26. September wird über die Ehe für alle abgestimmt. Auch wenn es hierbei um die staatlich geregelte Ehe und nicht um die kirchliche Trauung geht, bleibt die Ehedefinition für viele eine Glaubensfrage.
Die Theologin, Journalistin und Buchautorin Jacqueline Straub (30) setzt sich seit zehn Jahren für Reformen in der katholischen Kirche ein: Queere Menschen müssen akzeptiert werden und Frauen zu Priesterinnen geweiht werden dürfen. 2018 zählte der britische Sender «BBC» Straub zu den 100 inspirierendsten und einflussreichsten Frauen der Welt.
Jacqueline, wie würde Jesus bei der Ehe für alle abstimmen? Er würde klar «Ja» stimmen. Denn Jesus ist dafür bekannt, dass er die Liebe in den Fokus gestellt hat – wie könnte er also gegen die Liebe zwischen zwei Menschen sein? Zudem hat er sich nie gegen gleichgeschlechtliche Liebe geäussert.
Bibelstellen verurteilen Sexualität zwischen zwei Männern.
Warum tut sich dann die katholische Kirche so schwer damit? Sexualität war und ist für sie noch immer stark mit der Fortpflanzung verbunden, was in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung so nicht möglich ist. Zudem gibt es in der Bibel etwa sieben Stellen, die vordergründig die Sexualität zwischen zwei Männern verurteilen. Darin geht es aber auch um Vergewaltigungen und nicht nur um Liebe.
Vergewaltigung? Ja. Im Neuen Testament verurteilt Apostel Paulus den Sex zwischen Männern. Man muss es aber im griechisch-römischen Kontext betrachten: Damals war es üblich, dass Männer Lustknaben hatten. Heisst, 40-jährige Männer vergewaltigten 12-jährige Buben. Dass dies in der Bibel als Sünde verurteilt wird, ist verständlich.
Auch im Alten Testament gibt es homophobe Stellen wie: «Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; das wäre ein Gräuel.» Hier ist explizit von erwachsenen Männern und nicht von Lustknaben die Rede. Auch hier muss man es in den Kontext setzen: Damals ging man davon aus, dass jeder Mann nur eine gewisse Anzahl von «Samen» hat. Heisst, wenn er mit einem Mann Sex hatte – oder sich selbst befriedigte – «verschwendete» er diesen Samen und konnte dadurch weniger Kinder zeugen. Dies wiederum wäre fatal gewesen, da ein Ehepaar damals bis zu 15 Kinder haben musste, um als Landwirt*innen überleben zu können.
Man hatte Angst, dass die Gesellschaft ins Wanken kommt, wenn der Mann zu oft ejakulierte? Richtig. Darum ist die Selbstbefriedigung des Mannes in der katholischen Kirche bis heute verpönt.
Was meint die Kirche zur Selbstbefriedigung der Frauen? Selbstbefriedigung ist allen Geschlechtern untersagt. Zudem hat die Frau aus biblischer Sicht nur dann Lust, wenn sie mit einem Mann in Kontakt kommt, um Kinder zu zeugen.
«Die katholische Kirche definiert Sünde so, wie es für sie passt»
Du entkräftest also die vermeintlich homophoben Bibelstellen. Der Vatikan aber sieht das wohl anders und liess im März erneut verkünden, dass die katholische Kirche keine gleichgeschlechtlichen Paare segne, da es Sünde sei. Wenn man die Bibel ohne zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext liest und das darin Beschriebene eins zu eins übernehmen würde, dann dürften Christ*innen auch keine Meeresfrüchte essen und auch das Stutzen des Bartes wäre verboten.
Aber wie kann es sein, dass katholische Priester unter anderem Kriegswaffen segnen dürfen, gleichgeschlechtliche Paare aber nicht? Wo liegt die «Sündengrenze»? Die katholische Kirche definiert Sünde so, wie es für sie passt. Ich sage aber: Liebe zwischen zwei Menschen darf nie Sünde sein. Denn Gott selbst ist ja Liebe. Zudem hat sich der Vatikan mit diesem Schreiben keinen Gefallen getan, denn auf einmal hissten katholische Kirchgemeinden die Pride-Flaggen, liessen riesige LGBTIQ+-Banner über den Kircheneingang spannen und Priester begannen, homosexuelle Paare öffentlich zu segnen (MANNSCHAFT berichtete).
Katholische Gemeinden widersetzten sich dem Vatikan? Ja. Im Geheimen wurden bereits unzählige homosexuelle Paare gesegnet. Nach dem Schreiben des Vatikans machte man es aus Protest öffentlich.
Wie hat der Vatikan darauf reagiert? Reaktionäre Bischöfe befürchten nun eine Kirchenspaltung und versuchen, solche Segnungen zu unterbinden. Das beeindruckt die deutschsprachige Basis aber wenig. Denn es ist das Handeln der rechtskonservativen Katholik*innen, das die Menschen aus der Kirche treibt, und nicht das Segnen von Liebenden.
Zurück zur Ehe für alle: Wie definiert die Bibel den Ehebegriff? Damals handelte es sich nicht um eine Liebesehe, wie wir sie heute kennen. Der Vater verheiratete seine 12 bis 13 Jahre alte Tochter mit einem 10 oder mehr Jahre älteren Mann aus dem Familienclan. Ihr Mann übernahm dann wiederum die sorgende, väterliche Rolle – mit dem Unterschied, dass das Mädchen mit ihm Sex haben musste. Nach heutigem Verständnis erlebte die damalige Frau jahrzehntelange Vergewaltigungen. Das ist die biblische Definition der Ehe.
Mit deinen Vorträgen bist du oft auch in Deutschland unterwegs. Wie reagierte die katholischen Kirche auf die Einführung der Ehe für alle im Jahr 2017? Die deutsche Bischofskonferenz fand das nicht so cool. Sie sehen die Ehe als Liebes- und Lebensverbindung zwischen einer Frau und einem Mann. Die katholischen Reformverbände jubelten jedoch! Auch einzelne Bischöfe und Priester sagten klar, dass es eine Sünde wäre, gleichgeschlechtliche Paare nicht zu segnen.
Das Schweizer Stimmvolk wird noch in diesem Jahr über die Ehe für alle abstimmen. Die kirchliche Trauung wäre aber weiterhin untersagt. Inwiefern unterscheidest du die kirchliche und die zivile Trauung? Die zivilrechtliche Trauung ist für mich aus rechtlicher Sicht wichtig, da sie viele Dinge vereinfacht und regelt, gerade wenn ich und mein Mann irgendwann Kinder haben werden. Die kirchliche Heirat hingegen bedeutete für mich, den Segen Gottes zu erhalten. Dieses Sakrament stärkte das Band zwischen Gott, meinem Mann und mir. Als gläubige Person ist dies für mich sehr wichtig. Auch queeren Paaren muss dies erlaubt werden.
Zurzeit ist ja nur schon die Segnung verboten – wann wird wohl auch die kirchliche Trauung queerer Menschen möglich sein? Das kann ich nicht sagen. Ich kenne aber Priester, die schon heute gleichgeschlechtliche Paaren trauen. Denn das Sakrament der Ehe spendet sich das Ehepaar gegenseitig.
Ich sehe es so: Die Segnung durch die Kirche käme der eingetragenen Partnerschaft gleich. Ist dieser Schritt erreicht, rückt die Trauung in greifbare Nähe.
Wieso kämpfst du überhaupt für Reformern in einer Kirche, in der Diskriminierung gewissermassen zur Identität gehört? Der Grundkern der katholischen Kirche ist für Gleichberechtigung. Dafür kämpfe ich. Zudem will ich es diesen machtbesessenen Cis-Männern im Vatikan nicht leicht machen, indem ich einfach evangelisch-reformierte Pfarrerin werde. So würde sich in der Führung der katholischen Kirche nichts ändern.
«Ich verstehe jede Person, die austritt – denn es gibt genügend Gründe»
Warum sollen queere Menschen weiterhin Mitglied einer Kirche sein, die sie per se als Sünder*innen hinstellt? Ich verstehe jede Person, die austritt – denn es gibt genügend Gründe. Aber wie gesagt: Die katholische Kirche ist mehr als nur der konservative Vatikan. Es gibt so viele Gemeinden, Priester und Seelsorgende, die genau in unserem Sinne denken und handeln. Wenn alle queeren Personen austreten, dann muss sich die Kirche nicht mehr mit ihnen auseinandersetzen. Und das wäre sehr schade.
Du bist also voller Hoffnung auf Veränderung? Unbedingt. Ich liebe die katholische Kirche zu sehr, als dass ich sie aufgeben könnte.
Jacqueline Straub
Die Theologin wuchs in Deutschland auf, wohnt seit sieben Jahren in der Schweiz, ist verheiratet und im Oktober erscheint ihr viertes Buch «Wir gehen dann mal vor» im Verlag Herder. Seit Jahren kämpft Jacqueline Straub dafür, katholische Priesterin werden zu können.
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