«Ich war glücklich, queer zu sein»

Deborah Czeresko gewann die erste Staffel des von Netflix produzierten Glasbläserwettkampfs «Blown Away»

Mit ihren ausgefallenen Kreationen gewann Deborah Czeresko die erste Netflix-Staffel «Blown Away». (Bild: Melina Tavares)
Mit ihren ausgefallenen Kreationen gewann Deborah Czeresko die erste Netflix-Staffel «Blown Away». (Bild: Melina Tavares)

Bei «Blown Away»im Jahr 2019 fiel Deborah Czeresko nicht nur durch ihre imposanten Arbeiten, sondern auch durch ihre klaren Statements und spezielle Art auf. Die 59-jährige US-Amerikanerin über ihr Werk und dessen queere Aspekte.

Geboren in New Jersey, in einem traditionellen Mittelklassevorort inklusive Baukastenhäuschen und gestutzter Rasenflächen, war Deborah Czeresko schnell gelangweilt von der sie umgebenden Perspektivlosigkeit. Folglich steckte sie all ihre Kraft in den Leistungssport, um irgendwann ihrer Heimat entkommen und anderswo Fuss fassen zu können. Was die Zukunft dabei für sie bereithalten würde, ahnte Czeresko allerdings nicht. Heute zählt sie zur weiblichen Speerspitze der Glasbläserkunst. Ihre Arbeiten kann man in zahlreichen amerikanischen Museen oder auf ihrem Instagram-Account @dczeey bestaunen.

Deborah, wann hast du die Glasbläserei entdeckt? Es war Mitte der Achtzigerjahre und ich hatte gerade das College abgeschlossen. Dort studierte ich Psychologie und trieb viel Sport. Beides waren aber keine realistischen Karriereoptionen für mich. Nach meinem Abschluss zog ich dann nach New York, wo etwas Schicksalhaftes geschah. Ich war damals mit einer Künstlerin zusammen. Gemeinsam gingen wir zu Ausstellungen und auf verschiedene Veranstaltungen. So gelangte ich irgendwann zum New York Experimental Glass Workshop, der heute unter dem Namen Urban Glass bekannt ist. Ich verliebte mich sofort in das Material. Da ich vom Sternzeichen her Löwe bin, fühle ich mich von Natur aus zu Feuer hingezogen. Glasblasen ist die perfekte Kombination aus Bewegung und Kreativität. Anfangs zeigte ich zwar wenig Begabung, doch war mein Ehrgeiz geweckt, es irgendwann gut können zu wollen.

Inwieweit ist Glasblasen eine unterschätzte Kunst? Glas wird völlig unterschätzt und viel zu wenig genutzt. Das liegt daran, dass es als Material lange Zeit schlecht zugänglich war und diejenigen, die damit hantierten – zumindest hier in den Staaten –, derart darauf konzentriert waren, die technischen Fähigkeiten zu beherrschen, dass sie kaum Kapazitäten hatten, wirklich kreativ zu sein. Erst seit 50 Jahren gibt es eine künstlerische Glasbewegung. Und obwohl Amerika der Ort ist, an dem ein grosser Teil dieser Bewegung ihren Anfang fand, fehlt es uns an qualifizierten Lehrer*innen. Von denen gibt es in Europa tatsächlich mehr.

Es ist beeindruckend, dich bei der Arbeit zu beobachten. Wie anstrengend ist das Glasblasen? Besagtes Gleichgewicht zwischen dem Technischen und dem Kreativen zu finden, das ist eine der grössten Herausforderungen überhaupt. Auch innerhalb meiner Karriere. Das Glasblasen erfordert massive Konzentration, sowohl geistig als auch körperlich, so dass kaum und Energie für anderes übrigbleibt.

Glasblasen ist eine Gratwanderung zwischen Technik und Kreativität. (Bild: Corning Museum of Glass)
Glasblasen ist eine Gratwanderung zwischen Technik und Kreativität. (Bild: Corning Museum of Glass)

Und trotzdem überraschst du immer wieder mit innovativen Arbeiten. Wie fühlt es sich für dich an, als Frau in einer eher von Männer dominierten Domäne tätig zu sein? Es geht doch genau darum. Nämlich an Orte zu gehen, an denen die eigene Sichtweise nicht die vorherrschende ist. Ich muss sagen, dass mich das sehr motiviert. Quasi die Figuren auf einem bereits bestehenden Spielfeld neu sortieren und den Tisch erweitern zu können. Ich möchte eine Meisterin werden und das Paradigma ändern, wer als Herrscher*in über die Glaskunst angesehen wird.

In deinen Werken brichst du bewusst mit Männer- und Frauenklischees. Warum ist dir das wichtig? Ich verstehe das als eine Reflexion dessen, wer ich bin. Meine Kunst und ich sind eins. Sie reflektiert meine eigenen Glaubenssysteme. Und ich glaube mit grosser Leidenschaft an eine queere Welt.

Du hast bei «Blown Away» keine grosse Sache aus deiner LGBTIQ-Identität gemacht. Hier muss ich ein wenig aufklären. Es wurde jeden Tag mehr als zehn Stunden gefilmt. Die Teile, in denen ich meine Queerness öffentlich anspreche, wurden dann aber herausgeschnitten. Nur Andeutungen blieben bestehen. Die Sendung ist so gemacht, dass sie ein breites Publikum ansprechen und wenig kontrovers sein soll.

Würste, Spiegeleier oder spriessende Kartoffeln: Lebensmittel finden sich immer wieder in den Kreationen von Deborah. (Bild: David Leyes)
Würste, Spiegeleier oder spriessende Kartoffeln: Lebensmittel finden sich immer wieder in den Kreationen von Deborah. (Bild: David Leyes)

Welche Vorteile hat der Gewinn der Show dennoch für dich mit sich gebracht? Nun, zunächst einmal hatte ich beschlossen, dass ich nicht mehr unsichtbar sein wollte. Mir war es wichtig, mein authentisches Ich zu präsentieren. Auch wenn Millionen zuschauen. Meine Teilnahme bei «Blown Away» öffnete definitiv einige Türen. Durch die Reichweite der Sendung sogar weltweit. Es kamen zunehmend neue Angebote auf mich zu und die Menschen begannen, meine Arbeit viel mehr wertzuschätzen. Zum Beispiel wurde ich vom Time Magazine in die Top 10 der TV-Charaktere des Jahres 2019 gewählt.

Glaubst du, dass die Welt bereit für eine queere, weniger binäre Zukunft ist? Das ist eine komplizierte Frage, weil es viele Teile der Welt durchaus schon sind. Und trotzdem ist es anderswo noch immer lebensbedrohlich, homosexuell, queer oder vor allem trans zu sein. Sogar in den Vereinigten Staaten. Sichtbarkeit ist wichtig und ich bin so froh, dazu beigetragen haben, mehr Bewusstsein zu schaffen. Leute aus den unterschiedlichsten Ländern haben sich an mich gewandt und mir erzählt, dass ihnen das geholfen hat.

«Ich möchte eine Meisterin werden und das Paradigma ändern, wer als Herrscher*in über die Glaskunst angesehen wird.» (Bild: Melina Tavares)
«Ich möchte eine Meisterin werden und das Paradigma ändern, wer als Herrscher*in über die Glaskunst angesehen wird.» (Bild: Melina Tavares)

Wie gestaltete sich dein persönliches Coming-out? Der Kontext ist entscheidend. Immerhin ist das schon um die vierzig Jahre her. Vielleicht erscheint es naiv, aber ich wollte mit meiner Umgebung etwas teilen, von dem ich selbst sehr begeistert war. Ich war idealistisch und verlor Freund*innen. Die Leute redeten plötzlich nicht mehr mit mir. Trotzdem war ich glücklich, queer zu sein. Deshalb spielte es auch keine Rolle für mich. Es verging kein Tag, an dem ich nicht verbal angegriffen oder belästigt wurde, aber ich wusste, dass man mich nie brechen würde.

Fühlst du dich heute akzeptiert? Ich habe meinen Platz in einer Community gefunden, in der ich mich als Teil von etwas Grösserem und Queerem fühle. Natürlich hat sich die Gesellschaft verändert, aber das vor allem im Westen. In anderen Ländern werden LGBTIQs noch immer getötet und haben keine Rechte.

Was sind deine Wünsche, Hoffnungen und Pläne in Bezug auf deine Arbeit? Ich wünsche mir, dass meine Kunst weiterhin queere Menschen und solche, die sich anders fühlen, inspiriert. Sie sollen wissen, dass es für sie einen Raum und Sichtbarkeit gibt und dass ihre Existenz heilig ist.

Apropos heilig. Lass uns zum Abschluss noch über den Begriff «Glory Hole» sprechen. Schwule Männer stellen sich sicher etwas anderes als einen superheissen Ofen vor, wenn sie diesen Begriff hören. Tatsächlich ist es für Glasbläser*innen aber genau das. Die Verwendung des Wortes «Glory Hole» lässt tatsächlich die ein oder andere Augenbraue zucken. Ich dachte anfangs, es heisse so, weil es der Ort für die Erschaffung jener glorreichen Objekte aus Glas sei. Kürzlich sah ich dann aber einen Porno, in dem es um Sex in Pandemiezeiten ging. Erst da wurde mir klar, dass meine Karriere auf diesem sexualisierten Begriff basiert. Laut dem Glaslexikon, das auf der Website des Corning Museum of Glass zu finden ist, handelt es sich bei einem «Glory Hole» um ein Loch in der Seite eines Glasofens, das zum Wiedererwärmen von Glas dient, welches gerade geformt oder dekoriert wird. Obwohl es mehrere Ursprünge für die Herkunft des Wortes gibt, ist die folgende am bemerkenswertesten. Die Öffnung des Ofens schaffe eine Illusion, nicht unähnlich der, die man auf Gemälden von Heiligen und Engeln sieht, um deren Köpfe ein heller Schein erstrahlt.

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