«Ich hatte nie ein Coming-out – ich habe ein Bühnenprogramm!»

Der Comedian Marcel Mann mannstruiert wieder für uns

Marcel Mann Foto: Henrik Pfeifer)
Marcel Mann Foto: Henrik Pfeifer)

Die neue Ausgabe der MANNSCHAFT-Kolumne Mannstruation von Marcel Mann ist allen ungeouteten, verängstigten jungen Menschen gewidmet.

Laut meiner investigativen Recherche an der Erdoberfläche ist der Sommer wohl nun vorbei. Und was jetzt? Gerade wurde ich so effizient grazil bei meiner neuen äusserst urbanen aber doch so individuellen Freizeitbeschäftigung, dem Stand-up-Paddeln. Und was fange ich jetzt mit dem angebrochenen Summerbody an? Meine Hobbys sind wohl jetzt erstmal wieder: Facebook-Hasskommentare von Männern mit Autos als Profilbild blockieren und in den restlichen 30 Minuten meines Tages Frauen nicht-belästigen.

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Eines muss man jedoch auch als Meteorologie-ferner Mensch sagen: Dieser Sommer enthielt nicht nur Spuren von selbigem, sondern war vollumfänglich anwesend. Wir hatten dicke Sommer. Vermutlich fehlten trotzdem viereinhalb Sachen zwischen Juni und August. Unter anderem fielen die meisten Gay Prides, CSDs und sonstige Community Events aus. Ich empfinde das als Verlust. Da ich nicht jedem Bürger jeden Tag eine Kolumne schreiben kann, braucht es den CSD. So können schon Schulkinder, sobald sie von ihren Home-Schooling Büchern mit den Textaufgaben durchs Küchenfenster nach draussen blicken, diversere Lebensmodelle sehen. Und sich auf die brennenden Textaufgaben des Lebens stürzen.

Zum Beispiel dieser: Czuen-Szen und Sabahat haben jeweils eine Wassermelone. Wieviele Wassermelonen haben Czuen-Szen und Sabahat, sobald sie zu sich selbst stehen können und keine Angstmehr vor politischer Verfolgung durch die korrupte Regierung ihres Heimatlandes haben müssen? Die Antwort: Immer noch jeweils eine. Ist einfach Mathematik. Aber wenn mehr Menschen für das Recht auf Liebe für alle, auf die Strasse gehen, haben die beiden noch die Möglichkeit, die Melone mit dem Partner ihrer Wahl in Freiheit zu essen.

Die Menschen, die jedes Jahr auf den Gay Prides der Welt friedlich marschieren haben es überhaupt erst möglich gemacht dass es die Ehe für alle in vielen westlichen Ländern gibt, dass es Regenbogenfamilien ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geschafft haben.

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Waass? REGENBOGENFAMILIE. Ein Trigger-Wort! «Ein Kind braucht Mutter und Vater», sagte ein noch nie wirklich bibeltreuer Christ. Kleiner Hinweis: Jesus hatte auch zwei Väter und aus dem ist auch was geworden. Je mehr jeder über das Leben von LGBTIQ-Menschen weiss, desto seltener muss man die immer gleichen Fragen beantworten.

Als Mann, der Männer liebt bekommt man die fortwährend gestellt. Wann wusstest du dass du schwul bist? Hattest du schon mal was mit ner Frau? Soll ich das Kleid kaufen? Und die Antwort lautet so gut wie immer: Nein Rebecca, nicht mit deinen Beinen. Ehrlich gesagt finde ich die Frage: Wann wusstest du dass du schwul bist? sehr knifflig zu beantworten. Machen wir uns nichts vor: Die Frage hat sich mir nie gestellt. Vielleicht mit fünf als ich vor dem Fernseher sass und dachte die Teletubbies sollten mal wieder zum Sport oder als ich ein Baby war und meine Mutter mir die Brust geben wollte und ich ihr tief in die Augen blickte und dachte: Junge Frau, wir sollten lediglich Freunde bleiben.

Ich wurde als Kind nie gestillt. Freiwillige Entscheidung. Ich wollte nicht an die weibliche Brust und das Konzept hab ich bis heute durchgezogen. Womit auch die zweite Frage beantwortet wäre. Hattest du jemals was mit ner Frau? Ja, Streit darüber, wer das talentierteste Spice Girl war. Ganz klar – Victoria. Die war so gut, die musste nicht mal singen. Wirklich, ihre Stimme kennt man auch nur gerüchteweise.

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Ich hatte auch nie ein Coming-out. Ich habe ein Bühnenprogramm. Bringt mehr Eintritt. Andere junge Menschen gestalten mit ihrem Coming-out den Heiligabend etwas spannender, ich hab mir Barbies gewünscht seit ich vier war. Von meiner Seite aus gab es keinen Gesprächsbedarf. Und ich bin meinen Eltern sehr dankbar. Die hatten nie ein Problem damit dass ich so bin wie ich bin. Ich hab die häuslichen Qualitäten einer Tochter und das Gehalt eines Sohnes. Deren Altenpflege ist gesichert.

Ich bin ihr Lieblingskind und solange meine Geschwister dieser Kolumne fern bleiben, werden die das nie erfahren. Aber ich weiss dass es für die wenigsten leicht war. Diese ständig spürbare Angst vor Ausgrenzung, die Verachtung, die einem von limitierteren Mitbürgern entgegen gebracht wird. Wenn ich down bin, denke ich mir auch warum hat mich Gott so gemacht? Hatte sie einen schlechten Tag? Warum hat Gott mir dieses Handycap gegeben? Warum bin ich nicht wie andere? Warum bin ich POLLENALLERGIKER?!

Und als stolzer Allergiker bin ich hier um euch zu sagen: Es ist wundervoll wie ihr seid. Ausser ihr habt ein Auto als Facebookprofilbild (Autor macht ein angeekeltes Gesicht). Was stimmt nicht mit euch? Wo war ich … Es ist wundervoll, wie ihr seid aber ich weiss auch, dass es nicht immer leicht ist zu sich selbst zu stehen. Gerade wenn man Teil der LGBTIQ-Community ist. Es ist eine Lebensaufgabe laut zu sagen: Ich bin wie ich bin und das ist mehr als okay. Aber es hilft ja nichts, es gibt halt keine Alternative dazu, man selbst zu sein. Ich hab es versucht – es geht nicht.

Bratwurstfest statt Straight Pride Ich wäre liebend gerne eine alleinerziehende Mutter. So gut wie unmöglich als schwuler Mann ohne Kinder. Seit nicht allzu langer Zeit muss ich eine ganz interessante Frage beantworten: Warum gibt es keinen CSD für Heteros? Mmmh, lasst mich kurz über den Sinn eines solchen Umzugs nachdenken. Ich hab’s! Sobald es in 70 Ländern der Welt verboten ist hetero zu sein und in 15 die Todesstrafe für einvernehmliche heterosexuelle Handlungen gibt, können wir nochmal über die Notwendigkeit von einer Straight Parade reden. Solange gibt es ja Bratwurstfeste, auf denen man sich zusammenfinden kann.

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Ich komme aus einem sehr kleinen Dorf. Ich war auf vielen Bratwurstfesten. 400 Seelen. Jeder kennt jeden, keiner sprach Hochdeutsch. Wir hatten nichts in diesem Dorf. Nicht mal einen CSD! Wir hatten dort nichts. Ausser einer Busfahrerin, einer Dorfkneipe und einer Dorfprostituierten. Im Nachhinein muss ich sagen, meine Tante war völlig überfordert mit den drei Jobs. Glück gehabt, egal mit was ich mich geoutet hätte, ich wäre nicht das schwarze Schaf der Familie gewesen. Aber ich war früher klein und auch allein, hatte Angst davor zu mir stehen, aus Angst dafür gehasst zu werden.

Und genau deswegen steh ich mittlerweile in der Öffentlichkeit. Weil es da draussen noch viele ungeoutete, verängstigte junge Menschen gibt und denen möchte ich allein mit meiner Anwesenheit zeigen: Anderssein ist kein Makel, anders sein ist eine Option, wenn nicht sogar eine Bereicherung. Ich sehe euch! Und an alle anderen: REGENBOGENFAMILIE!!! 🙂

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