«Nicht so schwul!» – Kerkeling sollte Schein­beziehung eingehen

Der Autor stellt sein neues Buch vor

Hape Kerkeling (Bild: Britta Pedersen/dpa)
Hape Kerkeling (Bild: Britta Pedersen/dpa)

Offene Homosexualität im Fernsehen? Vor einigen Jahrzehnten war dies undenkbar. In einem Interview berichtet Hape Kerkeling über den grossen Druck, seine Sexualität zu verbergen – sogar auf Rat seines Arbeitgebers.

An diesem Mittwoch erscheint das neue Buch von Hape Kerkeling: «Gebt mir etwas Zeit». Darin schreibt der Comedian und Entertainer einerseits über sein Hobby, die Ahnenforschung. Dabei geht es darum, den Stammbaum der eigenen Familie möglichst weit in die Vergangenheit zurückzuverfolgen – eine Leidenschaft, die der 59-Jährige mit vielen Menschen teilt. Während diese allerdings meist nichts anderes zutage fördern als spröde Tagelöhner, Bedienstete und Mägde, gräbt der gebürtige Recklinghäuser einen überaus illustren Kreis an Ahnherren aus. Allen voran natürlich den König von England. Dieser ist – so Kerkelings Überzeugung – der Vater seiner Ruhrgebiets-Oma Bertha.

Zum Glück erzählt Kerkeling zwischendurch immer wieder auch aus seinem eigenen Leben. Dabei setzt er ungefähr da ein, wo er bei seinen Kindheitserinnerungen «Der Junge muss an die frische Luft» aufgehört hat. Während er in diesem später auch verfilmten Bestseller über den Suizid seiner an Depressionen erkrankten Mutter berichtete, schreibt er unter anderem auch über seine Anfänge als junger, aufstrebender Journalist beim WDR in den Achtzigerjahren.

«Der WDR empfahl mir damals, eine Scheinbeziehung mit einer Frau zu führen», erzählt er offen im Interview mit dem Stern. «Mir wurde erst im Rückblick bewusst, wie schrecklich das eigentlich war. Es war seine Grossmutter, die ihn auf diese Art der Doppelmoral vorbereitete. Sie riet ihm, seine Sexualität vorerst geheim zu halten, um sich nicht unnötig Hindernisse in den Weg zu legen. Diese Ratschläge und ihre bedingungslose Akzeptanz halfen ihm, mit dem Druck umzugehen. «Meine Grossmutter machte daraus kein Problem«, erinnert sich Kerkeling. Dank ihrer weltoffenen Art habe er sich trotz der schwierigen Umstände als junger homosexueller Mann im Rampenlicht behaupten können.

Kerkeling beschreibt in dem Interview, wie schwer es ihm fiel, sich gegen die Vorschläge des WDR zu stellen. Unterstützung fand er bei seinem engen Freund und Kollegen Alfred Biolek, der ihn ermutigte, keine falsche Beziehung einzugehen. «Um Gottes willen! Fang das bloss nicht an!» hatte Biolek ihm geraten, so Kerkeling gegenüber dem Stern.

Doch das Klima im deutschen Fernsehen war angespannt. Redakteur*innen warnten ihn immer wieder, er solle «nicht so schwul vor der Kamera agieren». Dies führte dazu, dass er sich zeitweise stark selbst kontrollierte, um möglichst heterosexuell zu wirken.

Die Entscheidung, sich nicht verbiegen zu lassen, brachte ihm jedoch auch Schwierigkeiten ein. Kerkeling war in den Augen des WDR «in Ungnade gefallen», und er erinnert sich daran, wie ein Direktor ihn im Fahrstuhl einfach ignorierte. Heute blickt er mit gemischten Gefühlen auf diese Zeit zurück, weiss aber, dass sie ihn auch geformt hat. Humor und Spiritualität halfen ihm, nicht zu verbittern und seinen Weg zu finden. «Comedians sind alle verklemmt», erklärt er lachend, «und das nutzen wir auf der Bühne.» 2021 widmete er seinen Fernsehpreis der LGBTIQ-Community (MANNSCHAFT berichtete).

Vorübergehend lebte Hape Kerkeling in Todesangst Während Kerkeling mit gerade mal Anfang 20 in Deutschland zum Fernsehstar aufsteigt, wird Amsterdam zu seinem Refugium. In der liberalen Metropole kann er sein Schwulsein offen leben. 1987 trifft er dort in einem Club seine grosse Liebe Duncan: «Das Lächeln in Kombi mit den strahlend blauen Augen zwingt mich fast in die Knie. O mein Gott, ist dieser Mann schön!» Vor der ersten gemeinsamen Nacht ist ihm «schlecht vor Aufregung und Vorfreude, aber auch vor Angst». Denn es ist die Hoch-Zeit von Aids. «Im Hinterkopf küsst bei mir die Mahnung vor dem Todesvirus mit, und ich analysiere parallel mein eigenes Verhalten auf mögliche Sicherheitsmängel.»

Nach einiger Zeit verfliegen die Bedenken, es entwickelt sich eine wunderbare Beziehung – Duncan erweist sich als «unendlich liebevoller und zärtlicher Mann». Doch dann muss dieser seinem «Petertje» eines Tages unter Tränen berichten, dass er sich tatsächlich mit HIV angesteckt hat. Ein furchtbarer Schock – zumal Kerkeling befürchten muss, sich ebenfalls infiziert zu haben. «So viel Zeit wie möglich verbringe ich nun mit Duncan in Amsterdam. Zwischendurch muss ich immer wieder – gut gelaunt – Fernsehauftritte bewerkstelligen. Keine Ahnung, wie ich das schaffe. Innerlich gehe ich täglich und nächtlich durch eine Hölle.» Als er schliesslich die erlösende Nachricht bekommt – sein Test ist negativ – nimmt er das als Ausweis «von göttlicher Gnade». Duncan weint vor Freude, als er es hört.

Doch nun muss Kerkeling den schnell fortschreitenden Verfall seines geliebten Partners miterleben – die Ärztinnen stehen der Krankheit zu dieser Zeit noch fast machtlos gegenüber. «Nach meinen Besuchen in Amsterdam breche ich in meiner Düsseldorfer Wohnung regelmässig zusammen.» Eine bittere Erfahrung ist auch, dass sich viele alte Freunde von Duncan abwenden. Und ähnlich wie später in der Corona-Pandemie gibt es auch zu dieser Zeit schon Leute, die die Existenz der Seuche schlicht leugnen. Eine neue Wendung nimmt das Geschehen dadurch, dass Duncans Freund Kees den Sterbenden bei sich aufnimmt – aber nur unter der Bedingung, dass dessen deutscher Partner –auf den er eifersüchtig ist – das Haus nicht betritt.

Hape Kerkeling beschreibt diese dramatischen Geschehnisse aus seiner Jugend ebenso fesselnd wie reflektiert und liebevoll. Mehr davon – und weniger Vorfahren-Fiktion im Stil eines historischen Romans – hätte dem Buch gut getan. Unterm Strich bleibt dem Autor eine Erkenntnis, die er mit vielen Familienkundlern teilt: «Der Deutsche kommt aus dem Ausland! Nämlich aus all seinen Nachbarländern und angrenzenden Regionen. Wenn Sie so wollen, ist der Deutsche ein polnischer Holländer aus Mailand mit französischen und schwedischen Grosseltern aus Bern, einer jüdischen Tante aus Sankt Petersburg und einem serbischen Onkel aus Wien.»

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