From the bottom to the top: Fallt nicht auf die Hetero-Norm rein!
Wenn sich veraltete Rollen bei unseren Vorstellungen von Homo-Sex einstellen
Das Lesben-TikTok witzelt über Bottom und Tops. Aber wie genau kommen wir eigentlich drauf, wer «bottom energy» und wer «top energy» ausstrahlt? Unsere Samstagskommentatorin* ist dafür, Geschlechterrollen über den Haufen zu werfen.
In der lesbischen Ecke von TikTok ging kürzlich ein Lied um, das zur Melodie von «If you’re happy and you know it» gesungen wurde. Es gibt mittlerweile 800 Versionen davon.
Stop assuming that the masc one is the top 👏 👏 Stop assuming the the masc one is the top 👏 👏 You are gay either way and it really is okay Stop assuming the the masc one is the top
Meistens sind zu dem Video Frauenpaare zu sehen, bei denen die eine eher maskulin ist und die andere eher feminin. Das Lied ist sehr 2020; nicht nur, weil es auf TikTok rumgeht, sondern auch, weil frauenliebende Frauen der Gen Z sich endlich an die Labels Top und Bottom wagen. Wobei die Erfindung natürlich nicht neu ist; es gab schon in den Jahrzehnten und Generationen davor Teile der Lesbenszene, die sehr wohl mit Top/Bottom-Unterscheidungen hantierten, die weitläufig eher als schwuler Slang gelten.
@ashleyshaeishellagay “Ashley-Shae what sound is it?!” “It’s a SURPRISE!!” #oops #lesbian #lgbt #collegememories #keepingbusy @ohwowsi12 ♬ stop assuming that the masc 1 is the top clapclap – roxy
Für jüngere Generationen ist es neu, dass Wörter wie Top/Bottom so locker in der queeren Frauenwelt rumschwirren. Weil sie Sexualität enttabuisieren, was Frauen sonst verwehrt bleibt. Weil sie sexuelle Rollen beschreiben und man sie freudig verwendet. Weil es für einmal nicht den queeren Männern vorbehalten ist, so casually umzugehen mit dem Thema. Das ist cool. Das ist ein Schritt Richtung Enttabuisierung von Frauensex. Wer Wörter hat für Sexualität, kann eigene Bedürfnisse besser kommunizieren. Grindr ohne die Begriffe Top/Bottom wäre ähnlich lebhaft wie die Schweizer Promiwelt ohne Tamynique. (Too soon?)
Bevor irgendwer Wikipedia aufruft, sollen hier die beiden Begriffe kurz erläutert werden. Als Tops werden Menschen bezeichnet, die beim Sex gern den aktiven Teil übernehmen, also zum Beispiel die Person, die penetriert oder fingert oder fistet. Und Bottoms sind die Passiven (wobei man ja eigentlich auch sehr aktiv der empfangende Teil des Akts sein kann). Dass Top wortwörtlich «oben» und Bottom «unten» heisst, ist ebenfalls irreführend. Wer denkt denn bitte in Oben-Unten-Kategorien beim Sex ausser Heteros? Scherz.
Aber eben auch kein Scherz: Die Hetero-Norm besagt ganz selbstverständlich, dass der Mann der Top ist und die Frau der Bottom. So selbstverständlich, dass die Begriffe unter Heteros kaum je aufkommen (ausser Dom/Sub-Rollen im BDSM-Kontext, aber darum gehts grad nicht). Als könnten heterosexuelle Männer nicht penetriert werden, als könnten heterosexuelle Frauen nicht einen aktiven Teil des Akts übernehmen. Auch wenn wir hier nicht von kinky Sex reden, geht es doch auch um Kontrolle: Wer toppt, gilt als dominant.
Lesbische Geflüchtete aus Afrika werden fast immer abgelehnt
Genau diese Hetero-Norm, diese Erwartung männlicher Dominanz und weiblicher Passivität, genau diese veralteten Rollen schleichen sich oft bei unseren Vorstellungen von Homo-Sex ein. Bei Männern wird gern davon ausgegangen, dass femininere, feinere Jungs Bottoms sind; die harten Typen sind dann die Tops. Bei Frauen eigentlich recht ähnlich: Die Femmes, also die feminineren Frauen, gelten als Bottoms; die Butches und Tomboys als Tops.
Abgesehen davon, dass sich sexuelle Orientierungen nicht alle in binäre Rollen einordnen lassen, passiert es auch viel zu schnell, das wir ihnen noch ganz andere Eigenschaften zuschreiben. Also nicht nur, welche Rolle sie nun beim Fingern einnehmen. Sondern auch all das, was sonst als «männlich» (top) oder «weiblich» (bottom) gilt.
Dieser Text tut so, als ginge es um Sex. Aber eigentlich geht es hier um Geschlechterrollen. Nur weil wir gay sind, heisst das nicht, dass wir keine Geschlechterrollen beigebracht gekriegt haben. Das sitzt tief in uns drin, altmodische Vorstellungen davon, was männlich und was weiblich ist. Wenn wir ein Meme sehen, dass eine ernst dreinguckende heisse Butch «top energy» hat, ist das das Eine; wir sagen damit bestenfalls, dass sie kontrolliert und dominant wirkt. Aber wenn wir automatisch jeder etwas maskulineren Frau die Top-Rolle zuschreiben, schreiben wir ihr, ob wir es wahrnehmen oder nicht, auch oft andere Eigenschaften mit dazu: Härte, Dominanz, Rationalität.
Wer sind die Queeros 2020? Das Voting beginnt!
Den Femmes, die wir als Bottom wahrnehmen, ordnen wir oft Sensibilität, aber auch Passivität zu. Hier geht es also bei Weitem nicht nur darum, wie viele Butches im Bett gern mal die Kontrolle abgeben und wie viele Femmes gerne selbst den Strap-On montieren würden; es geht auch darum, dass wir femininen Menschen Stärke zurechnen und maskuline Menschen empfindsam sein lassen. Maskuline Queers haben meistens gar nicht so viel Bock darauf, immer den Tough Guy raushängen zu lassen. Und feminine Menschen werden schon ihr ganzes Leben unterschätzt.
Es gibt eigentlich genug sexuelle Akte, die nicht in Aktiv und Passiv eingeordnet werden müssen. Bei vielen Aktivitäten ist das auch ganz einfach abhängig davon, wie sie ausgeführt werden. Das Schöne an uns Queers ist ja, dass wir Geschlechterrollen über den Haufen schmeissen können. Tun wir das doch bitte. Auch beim Sex.
You are gay either way, and it really is okay.
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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