Frauenfussball – Ein ständiger Kampf gegen Klischees
Kickerinnen mussten und müssen auch heute noch alte Vorurteile bekämpfen
50 Jahre nach Aufhebung des Fussballverbots für Frauen in Deutschland schauen aktuelle und ehemalige Spielerinnen zurück. Die ARD-Doku (Mediathek) «Der grösste Gegner ist das Klischee» zeigt, dass der Frauenfussball noch immer unter den Vorurteilen leidet.
In Deutschland war es Frauen von 1955 bis 1970 nicht erlaubt, Fussball zu spielen. Selbst die Medizin äusserte Bedenken: Der Fussball widerspreche der weiblichen Natur. Frauen nähmen körperlichen und seelischen Schaden. Heute ist die Deutsche Nationalmannschaft der Frauen 8-facher Europameister und 2-facher Weltmeister. An den Olympischen Spielen 2016 gewann sie Gold und ist damit nach der USA die erfolgreichste der Welt. Vorurteile und Vorbehalte sind also alle ausgeräumt, oder?
Die ARD-Doku «Der grösste Gegner ist das Klischee» schaut zurück an die Anfänge des Frauenfussballs in Deutschland. Sie zeigt ehemaligen und aktuellen Spielerinnen alte Fernsehübertragungen und lässt sie kommentieren. Sprüche wie «lesbische Mannsweiber», «Dicke Beine in kurzen Höschen» und «Decken, decken – nicht den Tisch decken» waren auch bei Fernsehkommentatoren gang und gäbe.
Heute können sie darüber lachen, aber eigentlich sei es eine traurige Situation, kommentieren Jessica Wich und Merle Barth die entsprechende Szene. Merle Barth ist Abwehrspielerin beim 1. FFC Turbine Potsdam und hat mit vier Jahren mit Fussball angefangen. Für sie und ihre Kollegin Jessica Wich (Bayer 04 Leverkusen) war das ganz normal.
In der Doku fragt sich ein Mann, warum Frauen ausgerechnet Fussballspielen wollen, wenn es doch «so viele schöne Sportarten» gibt. Schlagzeilen wie «Wenn meine Frau spielt: Scheidung!» sind eher die Regel als die Ausnahme. Hannelore Ratzeburg, Vizepräsidentin des Deutschen Fussball-Bundes, beschreibt die Kommentare der Männer in der Anfangszeit als «chauvinistisch, sexistisch, dumm.»
Auch heute noch haben Frauen, die Fussball spielen mit Vorurteilen zu kämpfen. Ihre Spiele werden mit «Wie Amateurfussball, nur in Zeitlupe» und «peinlich» kommentiert. Ihre Namen sind trotz internationalen Erfolgen grösstenteils unbekannt. Auch das Klischee der «Kampflesbe» hält sich hartnäckig. Gerade auch, weil sich homosexuelle Spielerinnen offener auch während ihrer Karriere outen, als schwule Fussballer wie Thomas Hitzlsperger, der sich nach seinem Rücktritt outete (MANNSCHAFT berichtete).
Die ehemalige Schweizer Nationalspielerin Lara Dickenmann spielt beim VfL Wolfsburg im Mittelfeld. Im Podcast «Sports-Idols» mit Felicia Mutterer erzählt Dickenmann von den zusätzlichen Herausforderungen, die sie als offen lesbische Fussballerin bewältigen muss. Es sei schwer, sich zu positionieren, es gebe kaum Vorbilder, erzählt sie. Nach der Frage, was sie macht käme zudem immer als Anschlussfrage etwas über lesbisch sein. «Jetzt trage ich auch noch zum Klischee bei und das wollte ich einfach nicht», sagt Dickenmann.
In der Schweiz und auch in der DDR war Frauenfussball übrigens nie verboten. 1972 wurde die Schweizer Fussballnationalmannschaft der Frauen gegründet, die 2014 erstmals an der Weltmeisterschaft und 2017 an einer Europameisterschaft teilnahm.
Ungleiche Wertschätzung
Einen grossen Unterschied zwischen dem Frauen- und dem Männerfussball stellt noch immer die Bezahlung dar. Selbst Topspielerinnen kommen selten auf einen fünfstelligen Lohn, der bei den Männern gang und gäbe ist. Doch auch hier hat sich einiges getan. Während die ehemalige Fussballerin und spätere Bundestrainerin Silvia Neid neben den Trainings noch Vollzeit gearbeitet hat, konnte sich Nia Künzer während ihrer Karriere das Studium finanzieren.
Die Commerzbank ist Sponsorin der Deutschen Fussballnationalmannschaft der Frauen. 2019 veröffentlichte sie einen Werbespot, in der Nationalspielerinnen mit Klischees aufräumen und aufzeigen, mit welchen Vorurteilen sie zu kämpfen haben. Er wurde bereits über 800’000 Mal angeschaut. So wird auch die geringe Wertschätzung des Frauenfussballs thematisiert: Für ihren ersten Europameistertitel gab es als Gewinn ein 41-teiliges Kaffee-Service.
Im Buch «Vorbild und Vorurteil» schreibt ein Autorinnen-Quintett über lesbische Sichtbarkeit im Sport (MANNSCHAFT berichtete). Darin werden neben Lara Dickenmann auch die Nationalspielerin Ramona Bachmann und die ehemalige Nationalspielerin Tatjana Hänni sowie Athletinnen anderer Sportarten porträtiert. Im Interview mit MANNSCHAFT spricht Co-Autorin Corinne Rufli über die Intention des Buches.
In der Sommer-Ausgabe der MANNSCHAFT sind wir dem Thema der lesbischen Sichtbarkeit im Sport näher auf den Grund gegangen. Hier gehts zum Abo-Shop.
Das könnte dich auch interessieren
Kommentar
Trenne nicht LGB und TIQ – denn es tut ihnen weh!
Immer mehr Queers sind offenbar bereit, sich hinter die Kampagne «Drop the T» zu stellen – wollen trans Personen aus der Community ausschliessen oder zumindest nicht für ihre Belange und Rechte kämpfen. Das ist nicht zuletzt geschichtsvergessen, kommentiert unser Autor.
Von Sören Kittel
LGBTIQ-Rechte
Queerfeindlichkeit
Schwul
TIN
Lesbisch
Religion
«Sie ist zwar Erzbischöfin, kann aber alleine nichts entscheiden»
Die Kirche von Wales hat eine lesbische Frau an der Spitze. Die protestantische Pfarrerin Kerstin Söderblom erklärt, welche Spielräume Bischöfin Vann hat, ihre Kirche queerfreundlicher zu machen.
Von Michael Freckmann
Lesbisch
Sport
«Er hat Ja gesagt!» – Olympischer Eiskunstläufer gibt Verlobung bekannt
Der Kanadier Paul Poirier wird seinen Langzeitpartner Kevin heiraten.
Von Newsdesk Staff
Ehe für alle
People
USA
Florida übermalt Gedenk-Zebrastreifen für «Pulse»-Opfer
2016 tötete ein Angreifer in einem queeren Nachtclub in Orlando 49 Menschen. Ein bunter Zebrastreifen erinnerte bis diese Woche an die Opfer. Jetzt ist er weg.
Von Newsdesk Staff
Queerfeindlichkeit
News
International