Ex-Bundesanwalt Lauber: «Eine lesbische Bundesrätin ist noch tabu»
Im Interview kritisiert er die Kündigung des schwulen Lehrers in Pfäffikon
Für die ältere Generation sei Homosexualität immer noch mit Ausgrenzung verbunden, sagt der ehemalige Bundesanwalt Michael Lauber.
Von 2012 bis 2020 war Michael Lauber Bundesanwalt der Schweiz und damit Amtsleiter der Bundesanwaltschaft. Bereits während seiner Amtszeit lebte der heute 58-Jährige offen schwul. In einem Interview mit dem Sonntagsblick (Paywall) sprach er über seine Erfahrungen und die weiterhin bestehenden gesellschaftlichen Tabus rund um Homosexualität.
Auf das eher späte Coming-out des ehemaligen Rennfahrers Ralf Schumacher angesprochen, sagt er: «Homosexualität ist noch lange nicht so selbstverständlich, wie wir denken.» Lauber kenne einige Männer, die ein Doppelleben führten – sein ehemaliges Berufsumfeld, die Justiz, sei ein konservatives Gebiet.
Der Journalist erwähnte die ehemalige Bundesrätin Ruth Dreifuss, die 1993 als alleinstehende Frau nch Bundesbern kam und für Gerüchte sorgte. Später sagte sie darüber: «Wenn ich lesbisch wäre, hätte ich mich längst geoutet!» Auf die Frage, ob die Schweiz bereit für einen schwulen Bundesrat oder eine lesbische Bundesrätin sei, meinte Lauber: «Wenn man die Bundesrät*innen fragen würde, ob sie mit einem offen schwulen Kollegen klarkämen, würde die Antwort lauten: Klar, kein Problem! Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass es noch ein Tabu ist.»
Offen zur Homosexualität zu stehen, sei für ältere Generationen nicht so einfach. Er selbst sei mit 58 Jahren in einem ähnlichen Alter wie der Bundesrat. «Für diese Altersgruppe war Homosexualität nicht etwas Normales. Schwulsein bedeutete wahrscheinlich in ihrer Jugend wie für mich Aids, Tod, Stigmatisierung, Verachtung, Ausgrenzung, Isolation», sagt er. «Für eine jüngere Generation mag das anders sein. Und trotz aller liberalen Gesellschaftsbedingungen: Ein Coming-out ist immer sehr individuell, deshalb kann das selbst für einen jungen Mann heute noch schwer sein.»
Im Interview übte Lauber unter anderem auch scharfe Kritik an der Schulpflege in Pfäffikon, die sich von einem schwulen Lehrer trennte, nachdem sich wertkonservative Eltern in seinen Sexualkundeunterricht eingemischt hatten (MANNSCHAFT berichtete). «Ich kenne den Fall nur aus den Medien. Sollte die Schulpflege wirklich vor freikirchlichen und islamistischen Extremisten gekuscht haben, wäre das ein Skandal», sagt Lauber dem Sonntagsblick. «Die Entlassung des Lehrers wäre rechtswidrig und das Verhalten der Schulpflege eines Rechtsstaates unwürdig.»
Die von Pink Cross gemeldete Zunahme homophober Gewalt sollten «alle alarmieren», sagt Lauber. Obwohl es die Aufgabe des Staates sei, die Bevölkerung zu schützen, könne man nicht alles verordnen. «Toleranz und Respekt sind Haltungen und kein Gesetz»,sagt er. «Ich bin nach wie vor von dem überzeugt, was ich als Bundesanwalt gesagt habe: Wir brauchen ein hartes Strafrecht für die schweren Fälle – dann kann es glaubwürdig und konsequent umgesetzt werden. Alles andere droht unser Justizsystem zu überlasten und ist letztlich kontraproduktiv.»
Auf das Verbot der Leihmutterschaft angesprochen wünscht sich Lauber, dass die Schweiz auch bei Themen wie Reproduktionsmedizin und Adoptionsrecht liberaler wäre. Das Beispiel der Ehe für alle zeigt, dass die politischen Prozesse in der Schweiz langsam sind. Anders als Deutschland habe die Schweiz kein Bundesverfassungsgericht, das die Politik korrigieren könne. «Die Demokratie in der Schweiz ist oft träge und zäh. Deswegen dauert alles lange», sagt er.
Mehr: Lewis Hamilton nach Schumacher-Coming-out: Wir können mehr machen! (MANNSCHAFT berichtete)
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