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Erfindung mit Ecken und Kanten: 130 Jahre Reiss­verschluss

Ihm verdankt die feministische Literatur der 1970er Jahre den Begriff «zipless fuck» – für ungezwungenen anonymen Sex

Reissverschluss
Symbolbild (Foto: Unsplash, Miguel Parera)

Hätte es die Welt auch ohne ihn geschafft? Der Reissverschluss ist aus dem heutigen Alltag kaum wegzudenken. Doch es hat Jahrzehnte gedauert, bis er dort angekommen ist. Konkurrenz hat er immer noch.

Von: Ulrike von Leszczynski, dpa

Ritsch, ratsch. Ist damit alles gesagt über den Reissverschluss? Weit gefehlt. So alltäglich er heute erscheint, hat er eine ungeahnte Technik- und Kulturgeschichte. Es gab nicht allein Whitcomb L. Judson, der ihn am Dienstag (29. August) vor 130 Jahren in den USA zum Patent anmeldete. Weitere Erfinder*innen und viel Werbung waren nötig, bis er in der Mode Einzug hielt und sich schliesslich auf einem skandalträchtigen Plattencover der Rolling Stones feiern liess.

Schriftsteller Kurt Tucholsky stellte sich 1928 vor, wie der Erfinder des Reissverschlusses ausgesehen haben mag: Ein mürrischer Mann, Deutsch-Amerikaner und Buchhalter im Blumensamen-Handel. Eines Nachts kommt ihm eine Idee für die ungeliebte Handtasche seiner noch ungeliebteren Frau. Die Glosse liest sich wie eine Seifenoper, die aus dem armen Erfinder dank gieriger Investoren einen reichen Mann macht, der dann wieder alles verliert. Tucholsky spielt virtuos mit Erfinder-Klischees. Am Ende heisst es bissig: «Kein Mensch kann sich erklären, warum, warum der Reissverschluss funktioniert.»


So einfach ist das auch nicht. Ein Knopf lässt sich annähen. Ein kaputter Reissverschluss bereitet bis heute Kopfzerbrechen. Schon am Anfang seiner Entwicklung hat es mächtig geklemmt. Der US-Amerikaner Elias Howe, der als ein Erfinder der Nähmaschine gilt, machte sich schon Mitte des 19. Jahrhunderts Gedanken über eine Alternative zu Knöpfen, Haken, Ösen und Schnürungen. Er meldete einen «ununterbrochenen Kleiderverschluss» als Patent an. Die klobig anmutende Idee mit Haken, die über Rippen glitten, setzte sich aber noch nicht durch, schreibt Karl Nägele, der in den 1950er Jahren als Reissverschlussproduzent der Technikgeschichte auf den Grund ging.


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US-Erfinder Judson nervte der Legende nach das zeitraubende Zuschnüren von Stiefeln. Er interessierte sich Ende des 19. Jahrhunderts zwar eher für Druckluft-Strassenbahnen. Doch nebenbei verbesserte er Howes Reissverschluss-Idee entscheidend. Judsons «clasp locker» (Klammerverschluss), den er sich für Schuhe und Postsäcke vorstellen konnte, war eine Metall-Konstruktion aus Haken und Ösen mit einem Gleitmechanismus in der Mitte. Auf der Weltausstellung in Chicago im Jahr 1893 blieb jedoch die erhoffte Anerkennung aus – zu kompliziert, zu teuer, zu wenig zuverlässig. Für Kleidung war dieser Reissverschluss noch undenkbar. Die Erfindung hatte eher den Charme einer Fahrradkette – sie konnte rosten.


Whitcomb L. Judson
Whitcomb L. Judson (Bild: Wikicommons)

Hat die Welt den Reissverschluss gebraucht? Oder glaubte eher ein Erfinder, dass sie ihn dringend braucht? Schon Tucholsky hat die gegenläufigen Trends von Technikeuphorie und Fortschrittsskepsis aufs Korn genommen. Für die Kulturwissenschaftlerin Gabriele Mentges steht auch die Reissverschluss-Idee im Kontext der Phänomene Bewegung und Beschleunigung im Industriezeitalter. Verlangt das Knöpfen oder Schnüren bis heute Fingerspitzengefühl, das Kinder mühsam lernen müssen, reicht beim Reissverschluss eine mechanische Handbewegung. Die Technik dahinter aber ist nicht im Handumdrehen zu verstehen – selbst die «Sendung mit der Maus» brauchte dafür fast vier Minuten.

Die Grundlage des heutigen Mechanismus mit winzigen Zähnchen, die beim Zuziehen ineinandergreifen, verdankt die Welt dem gebürtigen Schweden Gideon Sundbäck. Er studierte im rheinischen Bingen Maschinenbau und wanderte in die USA aus. Sundbäcks leichtgängigere Reissverschluss-Version fand im Ersten Weltkrieg, eingenäht in Lotsenkleidung, Freunde bei der US-Marine, später bei Überschuh-Herstellern. Die Patente und der Austausch zwischen alter und neuer Welt führten ab den 1920er Jahren auch in Europa zur Gründung von Reissverschlussfabriken, zum Beispiel in Nürnberg und Wuppertal, wie US-Forscher Robert Friedel belegt.

Viele Deutsche verbuchten den Reissverschluss schnell unter dem Label Moderne, ergänzt Friedel. Zuerst bei Lederwaren, dann bei groben Schuhen – erst später dann auch bei Kleidung. Wobei ein bayerischer Hosenfabrikant 1935 mächtig die Werbetrommel für seine neue Schlitz-Variante rühren musste. «Zuverlässig, elegant und reissverschlossen» hiess es in der Anzeigenkampagne. In jeder Hose steckte ein Info-Zettel: «Mit Reissverschluss – weg sind die Querfalten, das seitliche Ausbeulen.» Und: Fünf Knöpfe weniger.


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Nicht zu vergessen: Die Verschluss-Techniken bei Männer- und Frauenkleidung – für Kulturforschende von jeher eine delikate Angelegenheit an der Nahtstelle zwischen Körper und Aussenwelt – glichen sich erst im 20. Jahrhundert langsam an. Wobei Forscher*innen betonen, dass lange Reissverschlüsse am Rücken, die yogaähnliche Verrenkungen erfordern, der Damenmode vorbehalten blieben.

Zipper control steht für eheliche Treue.

Einen hübschen und lautmalerischen Namen wie «zipper» in den USA gibt es im Deutschen nicht. Nach Gleit- oder Trennverschluss blieb es beim eher technisch-sperrigen Wort Reissverschluss. Anders als der viel ältere Konkurrent Knopf fand er keinen Eingang in Metaphern wie «zugeknöpft». Im Englischen sei das anders, berichtet Historiker Friedel. Dort erdachte die feministische Literatur der 1970er Jahre den Begriff «zipless fuck» für ungezwungenen anonymen Sex, «zipper control» steht dagegen für eheliche Treue. Im Deutschen machte der Begriff nur im Strassenverkehr Karriere: mit dem Reissverschlussverfahren.

Vielleicht brauchte es für modische Ideen unkonventionelle Talente – so wie die italienische Designerin Elsa Schiaparelli im Paris der 1920er und 1930er Jahre. Befreundet mit Salvador Dalí, Man Ray, Marcel Duchamp und Jean Cocteau trumpfte sie mit einem Kleid im Skelett-Look und surrealistischen Hüten auf. Anders als andere Modemacher ihrer Zeit fremdelte sie auch nicht mit dem «vulgären» Reissverschluss und setzte ihn, inzwischen auch aus Cellulose bunt gefertigt, ohne verschämte Blendleiste in der Haute Couture ein.

In der Nachkriegszeit, die biegsamere Modelle aus Kunststoff für die Massenkonfektion hervorbrachte, machte sich der metallene Reissverschluss im Rocker- und später auch im Punkmilieu Freunde – sogar ohne Funktion als cooles Zierelement. Erotisch kam er in Lack und Leder als schneller Aufreisser daher, was den historischen Casanova wohl eher verschreckt hätte. Die «Sticky Fingers»-Platte der Stones von 1971, deren Reissverschluss-Cover mit hautenger Jeans Andy Warhol entwarf, spielte auf ihre Art mit Prüderie.

Auf ganzer Linie gewonnen aber hat der Reissverschluss trotz vieler Verbesserungen bis heute nicht. Knöpfe, Haken und Ösen gibt es immer noch. Sogar selbstschliessende Schuhe, die es rund 30 Jahre nach dem zweiten Teil des Films «Zurück in die Zukunft» nun auch in der Realität zu kaufen gibt, haben die guten alten Schnürsenkel nicht verdrängt.

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