«Shwule Grüsse vom Balkan» (17) – Aleks bleibt Aleks
«Du bist ein Heuchler!» – Väterliche Bigotterie
In unserer Kolumne «Shwule Grüsse vom Balkan» setzt sich Alen für seinen Bruder Aleks ein und bringt die Eltern zu einer Beratungsstelle.
Familie Mihailović ist aus Dalmatien wieder zurück in der Schweiz. Aleks ist nach seinem Autounfall in der Reha. Indessen sucht sein Bruder Alen nach einer Beratungsstelle in Zürich. Er will, dass Aleks’ Shwulsein für die Familie kein Thema mehr ist.
Bei seiner Recherche stösst er auf Beratungsseiten wie du-bist-du.ch, fels-eltern.ch oder mycheckpoint.ch. Darin findet er einige Situationen wieder, die er bei Aleks’ Coming-out selbst erlebt hat: Sein erstes Gefühl war ein Schock, gefolgt vom Gedanken, von seinen Freunden deswegen geächtet zu werden. Auch hat er befürchtet, sein Ruf als Nachwuchsfussballer könnte darunter leiden.
Je länger er sich alles durchliest, umso mehr realisiert er, wie hart es Aleks die ganzen Jahre hatte: Er konnte in seiner Pubertät nie mit jemandem über das Schwärmen sprechen, das er für einen Mitschüler empfunden hatte. Geschweige denn über sein erstes Mal. Auch konnte er nie in der Öffentlichkeit mit seinem Freund Händchen halten oder ihn küssen, wenn ihm danach war, weil ihm böse Blicke oder Gewalttaten drohten.
«Was für eine kranke Gesellschaft!», rastet Alen vor dem PC aus. «Warum brüllst du so?», betritt Bogdana das Bürozimmer von Vater Cvetko, in dem Alen nach einer Beratungsstelle für seine Eltern sucht. «Ich habe euch Informationen von «fels» bestellt, dem Verein für Freund*innen und Eltern von Lesben und Shwulen. Nächste Woche gehen wir zu einer Sexualpädagogin. Ihr lest euch das vor dem Termin gut durch», antwortet er fordernd.
Zwei Tage später öffnet Bogdana den Briefkasten und findet darin die Unterlagen von «fels». Sie überreicht Cvetko die Coming-out-Broschüre, der gerade beim Kaffee sitzt und den Sportteil der Zeitung liest. «Was ist das?», fragt er. «Alen hat diese Broschüre für uns bestellt, damit wir uns vor dem Beratungstermin zu Aleks’ Situation informieren», antwortet sie. Er setzt sich seine Lesebrille zurecht und blättert die Broschüre durch. Als er auf ein Bild zweier Männerkörper in Slips stösst, wird ihm schlecht: «Ich kann das nicht. Das ist mir zu viel.»
Dein Sohn liebt Männer und darüber willst du kotzen, aber bei zwei Frauen nicht.
«Aber zwei küssende Frauen im Fernsehen lassen dir die Galle nicht mit der Gurgel tanzen, was?», schnauzt sie ihn an. «Merkst du eigentlich, wie bigott du bist? Dein Sohn liebt Männer und darüber willst du kotzen, aber bei zwei Frauen nicht. Du bist so ein Heuchler!» Widerwillig krallt sich Cvetko die Broschüre wie der Kater aus Tom und Jerry und liest weiter.
Die Woche darauf begleitet Alen seine Eltern zur Beratung. Dort angekommen begrüsst sie Lidija Golubović, eine Sexualpädagogin mit Balkanwurzeln. Vater Cvetko wechselt prompt in den Flirtmodus, als er ihr begegnet. Bogdana rammt ihm dabei den Ellbogen in die Rippe und stellt sich mit Alen ebenfalls vor.
«Erzählen Sie mir, warum Sie heute hier sind und wie ich Ihnen helfen kann», eröffnet Lidija das Gespräch. «Unser Sohn macht da eine komische Phase durch», beginnt Cvetko. «Wie alt ist Ihr Sohn?», fragt sie. «Ende zwanzig», schiebt er nach.
Ich glaube, SIE sind in einer Phase!
Lidija lacht laut heraus und erklärt ihm, dass Aleks’ Shwulsein völlig in Ordnung ist und er sich deswegen keine Sorgen machen muss: «Ihr Sohn weiss schon lange, wer er ist und was er will. Nun müssen SIE den Weg bis dahin gehen. Lassen Sie sich dafür die nötige Zeit und reden Sie mit Ihrem Sohn darüber.»
Cvetko zuckt zusammen. Beleidigt wie ein Schulbub, dem ein Mädchen gerade einen Korb gegeben hat: «Sie haben gut lachen. Was sagen denn all die anderen dazu? Ich will nicht zum Gespött werden!», ärgert er sich. «Wovor haben Sie Angst?», kehrt Lidija zur Ernsthaftigkeit zurück. «Ich habe Angst davor, dass meinem Aleks etwas Schlechtes widerfährt: dass er Aids kriegt, ihn ein Mob verprügelt oder er nie Kinder kriegt und glücklich wird.»
«Braucht es Kinder zum Glücklichsein?», fühlt ihm Lidija auf den Zahn. Er zuckt mit den Schultern. «Kann Aleks nicht auch nach einem Fussballspiel einem Mob begegnen?» Wieder nur Schulterzucken. «Und warum sollte sich Aleks mit Aids anstecken können und nicht Ihr heterosexueller Sohn Alen?» Er blickt sie mit offenem Mund an: «Aids betrifft doch hauptsächlich die Shwulen?»
«HIV bzw. AIDS ist keine Frage der sexuellen Orientierung, sondern des persönlichen Risikoverhaltens», erwidert Lidija nüchtern. «Was Ihr Umfeld angeht: Die Leute reden immer. Sollten Sie mal einem blöden Kommentar begegnen, stellen Sie sich hinter Ihren Sohn – denn das ist das Wichtigste. Sagen Sie denen, Aleks’ Privatleben gehe sie nichts an. Und denken Sie daran: Ihr Sohn ist immer noch derselbe. Er liebt zwar anders, aber Aleks bleibt Aleks.»
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic.
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