Dragqueen nach Attacke in Zürich: «Werden uns nicht verstecken»
Die Polizei sei sich des Fehlers bewusst und werde die Vorgehensweise überdenken
Dragqueen Vio la Cornuta hofft, dass die jüngste queerfeindliche Attacke in der Nähe des Hauptbahnhofs Zürich die Gesellschaft wachrüttelt. Auf LGBTIQ-Hasser will sie proaktiv zugehen.
Die Luzerner Dragqueen Vio la Cornuta war am 4. Februar 2023 an einer Club-Eröffnung in Zürich im Einsatz. Zusammen mit zwei anderen Dragqueens sowie einer Frau und einem Mann, die nicht in Drag waren, wurde sie auf dem Nachhauseweg von drei jungen Männern angepöbelt. Nach zahlreichen Beleidigungen fingen die Täter an, auf sie einzuprügeln (MANNSCHAFT berichtete).
Besonders schlimm erwischte es eine Thuner Kollegin von Vio la Cornuta: Miss Miss Chris erlitt eine Platzwunde am Hinterkopf, eine Gehirnerschütterung, eine aufgeplatzte Lippe und ein gebrochenes Handgelenk. Dann machten sich die Täter davon. Vio la Cornuta blieb körperlich unverletzt.
Polizei nicht im Fokus Der Anruf bei der Polizei entpuppte sich als Enttäuschung. Die Stadtpolizei hatte nicht genügend Kapazität, um jemanden vorbeizuschicken. Da die Männer nicht mehr zugegen waren, empfahl man der Gruppe, heimzufahren und am nächsten Tag eine Anzeige zu erstatten.
Zahlreiche Medien, die aufgrund des Beitrags von MANNSCHAFT über den Vorfall berichtet haben, stellten das nicht einwandfreie Verhalten der Polizei in den Fokus. «Das war mir etwas unangenehm», sagt Vio la Cornuta gegenüber MANNSCHAFT heute. «Klar, die Polizei hätte am Telefon besser reagieren können – aber ich will keine Polizeikritik üben, sondern mit der Geschichte die Gesellschaft wachrütteln», so die Luzerner Dragqueen.
Sie sei, im Nachhinein betrachtet, vielleicht im Gespräch zu sachlich gewesen, sodass der Ernst der Lage nicht genügend zum Ausdruck gekommen war. «Bei Notfällen tendiere ich zu einem sehr ruhigen Verhalten; vielleicht muss ich das nächste Mal etwas panischer sein.»
Video des Vorfalls vorhanden Auch bei der Polizei sei man sich des Fehlers bewusst und werde die Vorgehensweise bei solchen Anrufen überdenken und womöglich ändern. Das wertet Vio la schon mal als Erfolg. Dass nicht genügend Polizist*innen im Einsatz waren, sei ja auch nicht unbedingt die Schuld der Polizei. Sie hoffe, dass künftig vor allem am Wochenende mehr Personen aufgeboten werden und nicht mehr so viele Wachen über Nacht geschlossen bleiben.
Da es sich bei der Suche nach den Tätern um ein laufendes Verfahren handelt, kann Vio la Cornuta nicht viel preisgeben. Nur so viel: Die Polizei ist an der Arbeit. Und es gibt offenbar Aufnahmen des Vorfalls von einer Überwachungskamera.
Viele Gespräche geführt Miss Miss Chris geht es wieder etwas besser. Auch Vio la Cornuta hat sich vom Schrecken erholt – und war am vergangenen Sonntag bereits wieder im Ausgang, wenn auch nicht in Drag. Sie werde sich aber bestimmt nicht verstecken und weiterhin Sichtbarkeit praktizieren. Ausserdem würde sie es gut finden, wenn man auf «problematische Etablissements», in denen es queerfeindliche Tendenzen geben könnte, proaktiv zugehen würde. «Auch sollte man gewissen Menschen ein paar Auszüge aus der Bundesverfassung zusenden, damit die sehen, dass ich tatsächlich das Recht habe, mich so in der Öffentlichkeit zu bewegen.»
Seit dem Vorfall hat Vio la Cornuta zahlreiche Gespräche geführt: etwa mit Vertretern von PinkCop, aber auch mit anderen Dragqueens, die von ihren persönlichen Erfahrungen berichteten. Dabei zeigten sich bemerkenswerte Unterschiede. Eine Dragqueen sagte, dass sie schon anfange zu zittern, wenn der Uber-Wagen noch nicht bereitstehe und sie im Freien warten müsse. Eine andere Kollegin berichtete hingegen, dass sie nur dann Hassverbrechen erlebe, wenn sie als androgyner Mann nicht in Drag sei.
Tipps für Betroffene Vio la Cornuta hat schliesslich noch drei wichtige Hinweise zu diesem Thema. Der erste betrifft eine virtuelle Begleitung für den Heimweg: Wer sich nicht sicher fühle, solle doch die Dienste des Instagram-Accounts «Viola Walk Home» in Anspruch nehmen. Freiwillige Mitarbeitende begleiten einen dort via Video-Call nachhause.
Ausserdem bittet Vio la Cornuta die Opfer von Hassverbrechen – auch wenn es sich «nur» um Beleidigungen handeln sollte – sich bei der LGBTIQ-Helpline zu melden. Dies könne man auch noch Monate nach dem Vorfall tun. Und nicht zuletzt sollte man in so einer Situation immer auch die Polizei einschalten und eine Anzeige erstatten.
In Zürich kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu queerfeindlichen Angriffen. Aus diesem Grund haben die Vereine Network und PinkCop gemeinsam eine Kampagne gegen homo- und transfeindliche Gewalt gestartet (MANNSCHAFT berichtete). Die Plakate sind seit vergangenem Herbst auch in den Clubs zu sehen (MANNSCHAFT berichtete).
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