Die Pride – mir zu laut, zu bunt, zu aufdringlich
Unser Kolumnist Peter Fässlacher kann mit CSDs nicht viel anfangen
Worin liegt die Stärke unserer Community? Unser Kommentar* von Peter Fässlacher, Moderator und Sendungsverantwortlicher bei ORF III und Stimme des Podcasts «Reden ist Gold» über Liebe und Leben von LGBTIQ.
Ich bin kein Pride-Geher. Für meinen Geschmack ist das alles zu laut, zu bunt, zu aufdringlich und einfach zu weit weg von mir selbst. Ich war bis jetzt nur einmal auf einer Parade – in Wien 2019. Und es war überraschend okay.
Heuer zog man «Vereint in Liebe» durch die Strassen. So lautete jedenfalls das Motto des diesjährigen Christopher Street Days in Berlin (MANNSCHAFT berichtete). Ich denke mir: Würde «vereint» alleine nicht ausreichen? «In Liebe» kann man es immer noch versuchen. Schon auffällig, dass bei Pride-Paraden häufig die Gemeinschaft betont wird. Gerne wird ein symbolisches «Wir» erschaffen, das Kraft geben und das Rückgrat stärken soll. Aber fühlt sich jede*r diesem «Wir» auch zugehörig? Wer sind all diese Leute auf den Paraden mit ihren Regenbogenfahnen wirklich? Bin ich Teil von ihnen? Sind sie Teil von mir? Gehöre ich dazu? Auch dann, wenn ich denke, es nicht zu tun?
Seit im Februar 2021 die Initiative #ActOut an die Öffentlichkeit getreten ist (MANNSCHAFT berichtete), frage ich mich, warum diese Aktion eigentlich so eine grosse Resonanz gefunden hat. Ein Coming-out ist heute nichts Neues mehr. Auch dann nicht, wenn es 185 Schauspieler*innen gleichzeitig machen. Das Besondere an #ActOut war aber die Form, die dafür gewählt wurde. Es war nicht das «Was», sondern das «Wie», das interessant war. Hatte diese Aktion deshalb so eine Kraft, weil sie eine unbewusste Sehnsucht angesprochen hat, die viele Menschen in der Community haben? Nämlich: Die Sehnsucht nach einer positiven Gemeinschaftserfahrung?
Wie stark Gemeinschaft sein kann, konnte man bei dieser Initiative beobachten: Wer als Journalist*in mit gewissen Teilnehmenden von «Act Out» ein Einzelinterview führen wollte, bekam eine Absage. Begründung: Zu einem Einzelinterview sei er*sie noch nicht bereit. Dafür sei es noch zu früh. Es war also die Kraft der Gruppe, die Halt und Sicherheit gegeben hat, sich öffentlich zu zeigen.
Ist es nicht spannend, dass in «queer» zumindest akustisch das Wort «wir» vorkommt?
Ich glaube, dass es einen wesentlichen Unterschied gibt zwischen «Gemeinschaft» und «Schicksalsgemeinschaft». Es ist der Unterschied zwischen einer selbst gewählten Gemeinschaft und einer, der man ohnehin angehört, ob man will oder nicht. Oder anders formuliert: Vielleicht ist es für statistische Minderheiten genau diese Transformation, die das persönliche Gemeinschaftsgefühl auf eine ganz neue Ebene hebt: Wenn man es schafft, aus der Schicksalsgemeinschaft – der man ohnehin angehört – eine selbst gewählte Gemeinschaft zu machen. So wie die Teilnehmer*innen von #ActOut. Und auch alle Menschen, die auf der Pride gemeinsam feiern. Durch ihre eigene Entscheidung und freie Wahl, Teil dieser Aktion oder Veranstaltung sein zu wollen, machen sie für sich aus einer Schicksalsgemeinschaft eine Gemeinschaft. Immer wieder denke ich mir: Ist es nicht spannend, dass in «queer» zumindest akustisch das Wort «wir» vorkommt?
Ich habe übrigens gelogen. Ich war nicht erst einmal auf einer Pride. 2021 war ich zufällig am CSD-Wochenende in Berlin und bin nach der Parade mit einem Freund zum Nollendorfplatz gefahren. Es waren viele Polizist*innen dort, um die Einhaltung der Coronamassnahmen zu kontrollieren. Immer wieder waren Lautsprecherdurchsagen zu hören, mit der Aufforderung, die Masken aufzusetzen. Aber nicht in einem aggressiven Ton oder um Macht zu demonstrieren, sondern «damit wir hier alle weiter feiern können und uns niemand vorwerfen kann, wir hätten uns nicht an die Vorschriften gehalten», so hat die Durchsage der Polizei gelautet. Es haben sich fast alle daran gehalten. Vielleicht lag es ja am «Wir»?
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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