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«Der Prinz» – Dunkle Liebe im Männerknast

Sebastián Muñoz hat das Buch jetzt verfilmt

Der Prinz
Foto: Salzgeber

Mario Cruz’ berüchtigter Pulp-Roman «Der Prinz» erscheint parallel zum Film erstmals in deutscher Übersetzung. Es ist ein wiederentdeckter Text über das Erwachen von Selbstbewusstsein und Zärtlichkeit in einer Welt der Gewalt. Stefan Hölscher hat ihn für uns gelesen.

Der erste Absatz
«Wenn ich jetzt im Knast landete, dann aus reiner Blödheit. Aber was hätte es gebracht abzuhauen? Alle hatten mitbekommen, wie ich dem Zigeuner* den Stich versetzt hatte. Ich bin am Arsch, dachte ich noch, während die Blutlache immer grösser wurde.»

Genre
Schwuler Untergrund-Knast- und Coming-of-Age-Roman aus dem Chile der frühen siebziger Jahre.

Die Handlung
Der junge Jaime, muss, nachdem er betrunken seinen heimlich begehrten Freund, «den Zigeuner» vor Eifersucht erstochen hat, in den Knast. Dort trifft er in seiner Gruppenzelle auf den von den anderen Knastinsassen gefürchteten «El Potro», der sich Jaime als seinen neuen «Prinzen» auswählt. Jaime steht fortan unter dem Schutz von El Potro, dem er dafür loyal und vor allem sexuell zu Diensten sein muss. In der Beziehung zu «El Potro» erfährt Jaime zum ersten Mal in seinem Leben Zärtlichkeit. Zugleich beginnt er sich seiner selbst, seines Körpers und seiner schwulen Männlichkeit mehr und mehr bewusst zu werden. Als es zum Kampf zwischen El Potro und einem Mitgefangenen, der dessen Rolle als Anführer nicht länger anzuerkennen bereit ist, kommt, wendet sich die Geschichte, ins Tragische.


Das Urteil
Drei Dinge haben mich auf das Buch neugierig gemacht: 1. seine Geschichte als, wie Florian Borchmeyer im Nachwort sagt, «Schmuddelheft auf dem Gemüsemarkt», also das zufällige Wiederentdecktwerden dieses vor 50 Jahren in Chile im Selbstverlag erschienen und auf dem Schwarzmarkt verkauften Buches.

2. Die verheissungsvoll klingende Aussage auf dem Buchcover: «Mit seinem Roman «Der Prinz» führt uns Mario Cruz in eine Welt der Hierarchien und Machtproben, deren Doppelbödigkeit er in knapper, schnörkelloser Sprache offenlegt: so unmoralisch wie naiv, so zart wie fatalistisch.» Und 3. das, wie ich finde, in einem sinnlichen Rot gestaltete, durchaus erotisierungsfähige Cover.

Man kann in einem Buch verschiedene Dinge suchen. Geht es einem um eine schnell und sehr leicht lesbare Lektüre einer zwischen Aggressivität und Sexualität changierenden schwulen Knastwelt, wobei spätestens auf jeder zweiten Seite auch «etwas passiert», so wird man hier auf jeden Fall fündig. Geht es einem um einen queer-historisch interessierten Einblick in eine Welt, in der allein das Verfassen eines solchen Buches schon extrem ungewöhnlich und mutig war und sein offizielles Erscheinen ein absolutes No Go gewesen wäre, so ist die Lektüre der Geschichte verbunden mit der im Nachwort sehr kundig und eloquent verfassten Geschichte der Geschichte spannend und aufschlussreich.


Wir haben es hier mit einem Buch zu tun, das tatsächlich bei Albino erschienenen ist und von J.J. Schlegel ins Deutsche übersetzten Fassung zum allerersten Mal überhaupt in einem Verlagshaus veröffentlicht wurde. Und wir haben es hier auch mit einem Buch zu tun, das über das Erleben von Eros und Gewalt zwischen den Protagonisten zugleich ein Licht auf eine Gesellschaft wirft, in der das Leben sozialer Underdogs nicht viel wert ist – erst recht nicht, wenn sie schwul sind.

Geht es einem schliesslich bei der Lektüre darum, von Literatur in einem tieferen Sinne dieses Wortes berührt zu werden, so wird man hier nach meinem Eindruck eher leer ausgehen. Denn zwar ist die Sprache des gerade mal 90 Seiten langen Romans in der Tat «knapp» und «schnörkellos», allerdings ist sie literarisch nicht anders zu nennen als seicht. Die Tugend des knappen und schnellen Erzählstils paart sich in diesem Fall damit ziemlich frei von einer wie auch immer gearteten literarischen Besonderheit oder gar Raffinesse zu sein, wie sie etwa die Romane von Jean Genet, der für Cruz offenkundig eine Inspirationsquelle war, aufweisen.

Die im Übrigen recht vorhersehbare Geschichte des «Prinzen“ ist in schlichten Worten runtererzählt. Das kann man mögen, wenn man sich von dem Sujet eines solchen Romans angezogen fühlt, ohne sich zugleich bei der Lektüre allzu sehr fordern zu wollen. Für literarisch ambitionierte Leser*innen dürfte «Der Prinz» aber eher enttäuschend sein.

Nichtsdestotrotz: Das Buch mit seiner besonderen Historie des Entstehens, Verschwindens und Wiederentdecktwerdens ist es durchaus wert, betrachtet und gelesen zu werden. Nicht als grosse Lesereise durch die kommenden herbstlichen Wochen, aber vielleicht als kleine phantasietreibende Exkursion, wenn man die den unternehmen möchte, in eine durch die Untrennbarkeit von Gewalt und Eros geprägte archaisch anmutende, hermetische Männerwelt.

Das Buch «Der Prinz» (100 Seiten – ISBN 978-3-86300-294-7) kann man direkt bei Albino bestellen.

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