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«Bleib doch noch ein bisschen»: Der Journalist Martin Reichert ist tot

Er nahm sich kurz nach seinem 50. Geburtstag das Leben

Martin Reichert
Martin Reichert (Foto: Jürgen Bauer / Suhrkamp Verlag)

Wie die taz in einem Nachruf meldet, hat sich ihr langjähriger Mitarbeiter Martin Reichert am Freitag (26.5.) «selbst aus dem Leben genommen».

In seinem Artikel schreibt Jan Feddersen, dass Reichert in den 1990er Jahren nach Berlin gekommen sei und an der Humboldt Universität Kulturwissenschaften und Geschichte studiert habe.

«Seinen ersten Text schrieb er für Verlagsbeilagen der taz, ehe er in die Redaktion der Wochenendbeilage taz.mag fester einstieg, mit allen möglichen Sorten von Texten, zu gastronomischen Fragen, zu Erlebnissen als studijobbender Taxifahrer, auch zur damaligen Expo in Hannover, gewiss auch zu schwulen Fragen. Sein Stil war unmittelbar, sinnlich, bilderreich», so Feddersen.

«Aids in der Bundesrepublik»
Der Redakteur und erfolgreiche Kolumnist («Landmänner») wurde 2006 mit dem Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet. Er hat auch verschiedene Bücher geschrieben, u.a. das Standardwerk zum Thema Aids in der Bundesrepublik: «Die Kapsel».


Anhand zahlreicher Begegnungen mit Betroffenen und Zeitzeugen erzählt Reichert darin die Geschichten homosexueller Männer, die abgekapselt von der Gesellschaft, allein mit dem Verlust ihres Partners zurechtkommen mussten, «enterbt von der pfälzischen Familie, ausgeladen von der Beerdigung im Schwarzwald und von ihren Mitmenschen stigmatisiert».

Martin Reichert
Martin Reicherts Buch «Die Kapsel: Aids in der Bundesrepublik» (Foto: Suhrkamp Verlag)

Angebot vom Spiegel-Kulturressort
Im vergangenen Winter habe Reichert laut Feddersen das Angebot bekommen, zum Spiegel ins Kulturressort zu gehen. Er sei jedoch, wie zu seinen taz-Anfangszeiten, unsicher gewesen, ob er den Druck aushalten könne. «Und alle Freundinnen* ermutigten ihn: Wer, wenn nicht Du?»

Am 1. Februar 2023 trat er diese Stelle an. Im Nachruf des Spiegel heisst es: «Zuletzt führte er ein Interview mit Tagesschau-Sprecher Constantin Schreiber über Glück. Und schloss seinen Nachruf auf Karstadt mit den Worten: ‹Bleib doch noch ein bisschen.› Er war in der Lage, noch die banalste Vorlage mit seinem Sternenstaub zu veredeln.»


Reicherts Ehemann informierte Feddersen kürzlich, dass es «seinem Martin» nicht gut gehe, heisst es im taz-Nachruf. Er habe sein Leben «nicht mehr ausgehalten». Feddersen fragt: «Hätten wir etwas merken müssen? Und was genau? Er hinterlässt trauernde Freundinnen* und Angehörige. Und seinen Mann Bostjan, für den gerade die ganze Welt eingestürzt ist.»

Auf Facebook postete Bostjan Bugaric zum Abschied von seinem «Schnupssi» dieses Foto mit drei Sonnenblumen:

Brauchst du Hilfe? Wende dich in der Schweiz telefonisch an die Nummer 143 oder schreibe an die Berater*innen von Du-bist-Du.ch. In Österreich hilft die HOSI Wien (zu Büroöffnungszeiten) unter (+43) 660 2166605, das Kriseninterventionszentrum oder für LGBTIQ die psychosoziale Beratungsstelle Courage. In Deutschland gibt es die Notfall-Nummer 19446, zudem hilft u.a. der Verband für lesbische, schwule, bisexuelle, trans, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie, in Städten wie Köln kann man sich an Rubicon wenden.


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