Der Höhepunkt, das Hochamt: Happy Eurovision!
Das ESC-Finale findet an diesem Samstag statt
Der internationale Musikwettbewerb ESC findet zum 66. Mal statt. An diesem Samstag wird im Finale der Siegertitel unter insgesamt 40 Musikbeiträgen gewählt. Der Contest ist politisch und queer wie nie, meint unser Kommentator.
Dass der 66. Eurovision Song Contest abermals die populärste Show der Welt ist, dass wieder 120 Millionen Zuschauer*innen gemeinsam fiebern, dass sie also ein europäisches Lagerfeuer veranstalten, ist klar. Das wissen Fans natürlich seit vielen Monaten. Und fiebern mit. Es ist ja auch die queerste Familienshow überhaupt. Und das wissen wir gemeinsam: Der ESC war das Aschenputtel unter den Shows – und steht nun wie eine Königin da.
Dieses Jahr ist vieles anders. Nicht im Prinzip. Aber im Konkreten. Russland und sein Putinregime führen Krieg gegen die Ukraine seit dem 24. Februar. Die Teilnahme des kriegführenden Landes wurde umgehend seitens der ESC-Koordinatoren kassiert, schon voriges Jahr wurde Belarus nach der Niederschlagung der Aufstände gegen das Lukaschenko-Regime ausgeschlossen. Der ESC behauptet von sich selbst seit eh und je, nicht politisch zu sein – aber er ist es seit vielen Jahren doch. Muss es auch sein, denn die Konflikte in der wirklichen Welt jenseits der Showtreppen können ja bei einem ESC nicht ignoriert werden.
Früher konnte ein faschistisches Spanien am ESC teilnehmen, sogar gewinnen und damit, wie 1969, einen ESC als Promoshow für das Franco-Regime abhalten. Sowas ginge heutzutage nicht mehr, selbst ein ESC, wie 2012, in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku wäre in den demokratischen Öffentlichkeiten Europas kaum mehr begründbar. Jedenfalls: Die Ukraine nimmt natürlich am ESC in Turin teil; deren Act, das Kalush Orchestra, durfte ausreisen, obwohl Männer nicht mehr das Land verlassen dürfen, weil sie Kriegsdienst zu versehen haben (und dies auch allermeist wollen).
Aber das Land kämpft gegen seine Vernichtung durch Russland und seine Militärmaschine und ist auf jeden Prestigeerfolg angewiesen. Und da die europäischen Jurys und Televoting-Gemeinden vermutlich nur abbilden, was an Stimmung zum Krieg gegen die Ukraine in ihren Ländern wabert, darf von einem haushohen Sieg vom Kalush Orchestra ausgegangen werden (MANNSCHAFT berichtete). Von Serbien und anderen noch Putin-freundlichen Ländern abgesehen wird diese Solidarität diesem Act und seinem Lied «Stefania» zuteil werden.
Das ist für die Gruppe selbst toll, sie wissen ja um die Mission, die sie zu erfüllen haben, aber hat auch irgendwie den leichten Makel, dass es in einigen Jahren heissen könnte, die haben ja nur gewonnen, weil in ihrem Land Krieg herrschte. Dabei wird übersehen und überhört, dass diese Gruppe mit ihrem Lied, ein Ethno-Folk-HipHop-Coolness-Ding mit starker Präsenz auf der Bühne, auch in Friedenszeit Siegesanwärter wären.
So ist die Lage in diesem Jahr – und ansonsten ist der Liederreigen so offen queer wie nie. Der Rumäne mit seinem spanischen Lied, der Australier mit seiner Fully-Camp-Show, der Schweizer, der beteuert, Jungs dürfen ja auch weinen (MANNSCHAFT berichtete) – und schliesslich die Stars dieses ESC, die Italiener Mahmood (er war vor drei Jahren mit «Soldi» bereits einmal Zweiter beim ESC) und Blanco mit einem Lied, dessen Titel «Schauder» lautet, also Gänsehautalarm verbreitet. Ein Schmachtfetzen in intenso, bei dem sich zwei einst Liebende von den Trümmern und dennoch vorhandenen Noch-Chancen ihrer Beziehung erzählen.
Die Jahre, in denen Queeres, Lesbisches, Schwules irgendwie angedeutet nur war, scheinen vorbei.
Dass es eine Liebe zweier Männer füreinander ist, steht ausser Frage, wird aber, so souverän muss man erstmal sein, überhaupt nicht explizit erwähnt. Es ist durch die beiden ein ultrakrasses Zeichen, dass Schwulsein auch nur eine Liebes- und Lebensform unter vielen ist – aber sie gibt es eben auch. Die Jahre, in denen Queeres, Lesbisches, Schwules irgendwie angedeutet nur war, als das Nichtheteronormative entweder von den Gesetzen der Diskretion oder der Ulknudelhaftigkeit zu leben hatte, scheinen vorbei.
Last but not least: Für jedes feierliche Hochamt, für einen ESC braucht es Supermoderator*innen – sie müssen alles formal korrekt machen, die Punktewertung, die diplomatischen Formeln akkurat verkünden – aber sie müssen auch locker sein. Die Wucht schlechthin ist dieses Jahr die frühere San-Remo-Siegerin und Superstar Laura Pausini. Sie macht aus der Show eine fröhlich-robuste, frivole Angelegenheit – und singen kann sie auch.
Freuen wir uns, also: Happy Eurovision!
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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