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«Der Hirtenstern»: Brügge sehen, lieben und leiden

Neues von Alan Hollinghurst, auf Deutsch jedenfalls

Alan hollinghurst
Foto: Pixabay & Promo

«Der Hirtenstern» erzählt die Geschichte einer Schwärmerei, die sich zur Besessenheit entwickelt. In Grossbritannien war das Buch in den 1990er Jahren für den Booker Prize nominiert. Nun erscheint es erstmals in deutscher Übersetzung.

Der erste Satz
Auf der schmalen Insel der Strassenbahnhaltestelle wartete bereits ein Mann, und ich fragte ihn stockend, wohin die Linien fuhren.

Das Genre
Der Hirtenstern (Originaltitel: «The Folding Star») ist bereits 1994 erschienen, und liegt nun in deutscher Übersetzung vor.

Die Handlung
Edward, ein junger Brite, kommt in eine kleine flämische Stadt, um Englisch zu unterrichten. Schon bald verliebt sich in einen seiner Schüler, den 17-jährigen klugen Luc, der von der Schule geworfen wurde. Er spioniert ihm nach, ist geradezu versessen nach dem Jungen und seiner Nähe. «Meine letzte verrückte Eskapade, bevor das Alter beginnt», wie er seiner besten Freundin Edie erzählt, als sie zu Besuch kommt.


Edward ist kein Kind von Traurigkeit. Er geht im nächtlichen Park cruisen, vögelt mit Cherif, den er im Stadtmuseum abschlept, lässt sich auf Matt ein, der selbstkopierte Pornos und getragene Unterwäsche verkauft. Aber der junge Luc geht ihm nicht aus dem Kopf …


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Das Urteil
Gleich der erste Mann, dem Edward in der Einleitung begegnet, ist eine Enttäuschung: Der Protoganist des Romans erscheint als ein Suchender, ein Hungriger, Sehnsüchtiger. Wie er sich in atemberaubender Geschwindigkeit in Luc verbeisst und ihn regelrecht stalkt, lässt nichts Gutes ahnen.


Diese fanatische Liebe erinnert nicht zufällig an Thomas Manns «Tod in Venedig», an Gustav von Aschenbach, der dem schönen, deutlich jüngeren Tadzio verfällt. Diese Referenzen fügen sich zusammen mit den Gemälden des belgischen Symbolisten Edgard Orst zu einem düsterem Bild, die unser Protagonist im Museum der Stadt findet, morbide sind sie und mysteriös.

Das Raffinierte wie Kultivierte und das Schmutzige liegen bei Hollinghurst (Gewinner des Booker Prize im Jahr 2004 für «The Line of Beauty») oft nah beinander, ebenso wie das Tragische und Komische. Es macht viel Vergnügen, dabei zu sein, wenn Edward in den flämischen Homobars unterwegs ist und bestimmte Dramaturgien beschreibt, wie wir sie alle nur zu gut kennen.

«Ich war ein Neuling, ein Unbekannter, vielleicht ein Urlauber oder ein scheuer Debütant. Ich glaubte, einige Köpfe drehten sich kurz um, ein paar Bemerkungen wurden gemacht. Doch als ich meine Flasche teures Modebier bekommen hatte und herumschlenderte, war mir klar, dass ich nicht wie eine Bombe eingeschlagen hatte.»

«Der Hirtenstern» ist klug erzählt, smart komponiert und man fragt sich, warum es knapp 30 Jahre gedauert hat, bis endlich jemand diesen Roman übersetzt.

Alan Hollinghurst: «Der Hirtenstern»
624 Seiten
Albino Verlag, Salzgeber Buchverlage GmbH


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