«Shwule Grüsse vom Balkan» (10) – Ein Shwuler unter Fussballern
Dalibor, Fussballer und shwuler bester Freund des Bruders
Aleksandar aus unserer Kolumne «Shwule Grüsse vom Balkan» hat einen Bruder: Alen. Der ist geschockt. Sein bester Kumpel ist shwul und dann soll er auch noch in ihn verknallt sein?
Alen kann es immer noch nicht fassen: Sein «Bro» Dalibor soll shwul sein? Und auf ihn stehen? Zumindest behauptet das sein shwuler Bruder Aleks, wegen dessen Outing sich beide so heftig gestritten haben wie noch nie in ihrem Leben.
Das einzige, was Alen in diesem Moment hilft, ist Ablenkung – und zwar im Zürcher Elite Club, in dem am Wochenende die nächste Balkanparty steigt. Dort will er sich mit seinen Kumpels aus der Nachwuchsmannschaft treffen und auf die bisher sehr erfolgreiche Fussballsaison anstossen. Auch Dalibor, sein bester Freund seit Kindestagen und Mitspieler im Nachwuchsteam, ist dabei.
Vorher treffen sich beide zum Fitnesstraining, wo ihm Alen etwas auf den Zahn fühlen will: «Sag mal, wie läuft es eigentlich mit Nada? Kommt sie heute Abend auch zur Party?» Dalibor erhöht die Geschwindigkeit auf dem Laufband und lacht leicht verlegen: «Ach, das mit Nada war wohl im wahrsten Sinne des Wortes ‹nada, niente und ništa›.»
Während der Frauenname ‹Nada› auf Serbokroatisch mit ‹Hoffnung› gleichzusetzen ist, hat sich letztere aus Alens Sicht soeben in ein dreisprachiges ‹Nichts› aufgelöst: «Aber sonst läuft bei dir schon was?», hakt er bei seinem besten Freund nach, weil er immer noch nicht glauben will, dass dieser shwul ist. «Nichts Festes, nur kleinere Abenteuer …», Dalibor schraubt weiter am Tempo seines Laufbands und keucht etwas genervt, «aber warum willst du das wissen – bist du meine Mutter?»
Das öffentliche Coming-out – to be continued!
Alen schüttelt den Kopf und lacht leicht nachdenklich, weil ihn Dalibors Antwort an seinen Bruder Aleks erinnert, den Mutter Bogdana oft nach einer potenziellen Freundin ausgefragt hat: «Nur so, weil du nichts mehr von Nada erzählt hast … Ich mach nun Feierabend hier. Sehen wir uns im Elite?», verabschiedet sich Alen von Dalibor. Dieser schnaubt weiter und winkt ihm nickend zu.
Hat Aleks recht? Ist Dalibor wirklich shwul? Alens Gedanken prasseln auf sein Hirn ein wie bleierne Kopfbälle, signalisieren ihm aber, dass an der Geschichte was dran sein muss. Schliesslich ist ihm Dalibor bei seinen Fragen ausgewichen. Besonders der Satz mit der Mutter war ein klares Zeichen: Denn auf dem Balkan sind Mütter heilig. Und wenn diese als Geschütz aufgefahren werden, dann steckt mehr dahinter.
Wenn die Sonnenbrille zur Geheimwaffe wird
Nichtsdestotrotz macht sich Alen auf in den Elite Club, um zu feiern und zu vergessen: Gleich zwei shwule Jugos im privaten Umfeld kommen einem lebenslangen Verzicht auf Cevapcici gleich – zwar nicht tödlich, aber schwer zu ertragen. Vor dem Eingang des Clubs trifft er auf Dalibor und begrüsst ihn in gewohnter «Bro-Manier», bestehend aus einem zur geschwellten Männerbrust gezogenen Armdrücken und gleichzeitigem gegenseitigen Abklopfen am Rücken, als wäre der Kumpel ein staubiger Teppich, den es bloss nicht zu berühren gilt. «Alles klar bei dir, Bro?», löst sich Alen wieder rasch von Dalibor. Dieser merkt, dass mit Alen etwas nicht stimmt, entgegnet aber gewohnt lässig:
Wie immer, Brate.
Drinnen genehmigen sich beide Hochprozentiges, während weitere Leute aus der Nachwuchsmannschaft und dem Freundeskreis dazukommen. Alle sind gut gelaunt, der Jugo-Sound dröhnt und der Alkoholpegel steigt – bis Alen aufs Klo muss: «Ich muss meinen Boiler leeren», lallt er seiner Feiergemeinde entgegen. Alle lachen. Unbemerkt folgt ihm Dalibor aufs Klo.
Dort angelangt stellt er sich am Pissoir neben ihn: «Alen …», schwankt er konzentriert vor sich hin, um das Pissoir nicht zu verfehlen, «ich muss dich was fragen.» Alen wippt ebenfalls etwas wacklig und lacht sich wegen seines bevorstehenden Wortspiels schlapp: «Spritz los, Bro.» Dalibor schüttelt ab, geht zum Waschbecken und schaut in den Spiegel, bis sich Alen zu ihm umdreht und nachdoppelt: «Nun sag schon.»
«Wie stehst du eigentlich zum Shwulsein, Brate?» Alen zuckt zusammen und knüpft sich schlagartig den Schritt zu: «Wie meinst du das?» Dalibor trocknet seine Hände ab, dreht sich um, packt Alen und küsst ihn: «Weil ich dich liebe.»
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic.
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