Bücherverbote und Geschrei: Kulturkampf an US-Schulen

Es geht auch um Sexualität jenseits von Heterosexualität im Unterricht

Foto: Pixabay
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Müssen Schulkinder eine Maske tragen? Was wird unterrichtet – und vor allem was nicht? Diese Fragen sorgen für Streit in den örtlichen Schulausschüssen der USA. Die einflussreichen Gremien sind Schauplatz politischer Kämpfe geworden. Was steckt dahinter?

Von Julia Naue, dpa

Es war das Verbot eines Klassikers über den Holocaust im Schulunterricht, das international Wellen schlug. «Maus» heißt der Comic des US-Künstlers Art Spiegelman, den ein Schulausschuss in Tennessee vom Lehrplan gestrichen hat. Spiegelman zeichnete Nazis als Katzen und Juden als Mäuse in seinem Werk, das auf eindrückliche Weise die Gräueltaten der Nazis darstellt. Er bekam dafür 1992 den Pulitzer-Preis. Zu viele Schimpfwörter und Nacktheit, befand aber ein Schulausschuss im Bundesstaat Tennessee.

Es ist nur das jüngste Beispiel für die Entscheidung eines örtlichen Schulausschusses, die Schlagzeilen macht. Ob Corona, Rassismus oder sexuelle Aufklärung: Die sogenannten School Boards sind zum Brennglas der politischen Debatten des Landes geworden.

Die Mitglieder eines School Boards werden in den USA in der Regel von den Einwohnerinnen und Einwohnern eines Schulbezirks gewählt. Sie können aber auch ernannt werden. Sie haben weite Befugnisse und kontrollieren den Betrieb der Schulen – sie machen Bildungspolitik vor Ort. Das heißt: Die Ausschüsse haben eine große Macht.

Das haben auch Rechtspopulisten wie Steve Bannon erkannt – und mobilisieren verstärkt, um dort ihre Werte durchzusetzen. In seinem Podcast «War Room» rief der ehemalige Chefstratege von Ex-Präsident Donald Trump im Mai 2021 dazu auf, die Schulbehörden «zurückzuerobern». Er nannte das eine «populistische Revolte» und wandte sich an die Mütter und Väter: «Es liegt an euch. Es liegt auf euren Schultern.»

Es sind nicht nur bestimmte Entscheidungen der Schulbehörden, die für Aufsehen sorgen. Es ist auch die aufgeheizte Stimmung bei den Treffen, die gerade seit dem vergangenen Jahr auffällig ist. Von Geschrei, körperlichen Angriffen bis zu Morddrohungen wird berichtet. Doch warum eskalieren die Sitzungen gerade jetzt?

Der Politikwissenschaftler Kenneth Wong von der renommierten Brown University in Providence sieht die Kapitol-Attacke vom 6. Januar als Wendepunkt. «Sie eröffnet denjenigen, die darauf abzielen, staatliche Institutionen zu stören oder zu destabilisieren, ein viel breiteres Spektrum an Handlungen», sagt der Wissenschaftler, der sich auf Bildungspolitik spezialisiert hat.

Was meint er damit? Es habe schon immer unterschiedliche Meinungen und auch Diskussionen gegeben, sagt er. Das sei völlig legitim. Aber seit dem 6. Januar habe sich die Gesellschaft weiter polarisiert. Es gehe auch darum, das Klima in den Schulausschüssen zu verändern und die Grenzen akzeptablen Verhaltens zu verschieben.

Wong geht davon aus, dass diese Entwicklung in den Schulbehörden organisiert ist. «In gewisser Weise ist es fast wie eine landesweite Bewegung», sagt er. Es seien nicht nur einzelne Eltern, die ihre Sorgen zum Ausdruck brächten. Dahinter stehe ein Netzwerk, in dem Ideen ausgetauscht würden. «Das Ziel ist die Destabilisierung der demokratischen Institutionen und ihrer Funktionsweise», sagt Wong mit Blick auf die Drohungen und das aggressive Verhalten mancher.

Der Autor Spiegelman sagte im TV-Interview, er habe auf die Entscheidung zu seinem Buch mit «totaler Verblüffung» reagiert. Sie sei «kurzsichtig» und habe den «Hauch von Autokratie und Faschismus». Das School Board verteidigte sich – das Buch sei für Erwachsene.

Es kommt in den USA immer wieder vor, dass Bücher in den Schulbibliotheken auf die Giftliste gesetzt werden. Oft ins Visier genommen wird zum Beispiel «Sehr blaue Augen» der Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison. In dem 1970 veröffentlichten Buch beschreibt sie, was es hieß, als Schwarze aufzuwachsen. Jüngst traf es auch das Buch «All Boys Aren’t Blue» von George Matthew Johnson, das sich speziell an queere schwarze Jugendliche richtet. Queere Menschen identifizieren sich nicht mit gesellschaftlichen Normen rund um Geschlecht und Sexualität.

An den Beispielen lassen sich die Themen erkennen, die in den School Boards besonders mobilisieren. Zum einen ist das Sexualerziehung, die auch Verhütung lehrt sowie Sexualität jenseits von Heterosexualität. Zum anderen ruft das Thema Rassismus wütende Eltern auf den Plan. Reizwort ist die sogenannte Critical Race Theory – ein akademisches Konzept, das strukturellen Rassismus offenlegen soll.

Der Republikaner Glenn Youngkin konnte mit seiner Ablehnung des Konzepts bei der Gouverneurswahl 2021 im US-Staat Virginia massiv mobilisieren. Bei der Präsidentenwahl ein Jahr zuvor lag in Virginia der Demokrat Joe Biden vorn. Der Konservative Youngkin gewann – und löste als Gouverneur sein Versprechen ein. «Unsere Kinder haben etwas viel Besseres verdient, als dass man ihnen sagt, was sie denken sollen», heisst es in seiner Anordnung, mit der die Critical Race Theory nun in Schulen des Bundesstaats untersagt wird.

Youngkin stellte sich auch gegen Maskenvorschriften an Schulen. Die Corona-Politik ist ebenfalls ein riesiger Aufreger. Abstandsregeln, Masken, die Impfung – all das hat die US-Gesellschaft in den vergangenen zwei Jahren entzweit. Die teils aggressive Stimmung hat sich direkt auf die Sitzungen der School Boards übertragen – Eltern machten landesweit bei Demonstrationen gegen Maskenpflicht mobil.

Organisationen wie «No Left Turn on Education» mobilisieren Eltern landesweit gegen «Geschichtsrevisionismus», «politische Korrektheit» oder die Ablehnung sogenannter amerikanischer Werte. Die konservative Gruppe «Citizens for Renewing America» (Bürger für die Erneuerung Amerikas) hat eigens ein Handbuch mit Tipps für eine erfolgreiche Wahlkampagne für einen School-Board-Posten veröffentlicht. Gerade in letzter Zeit haben solche Organisationen Auftrieb bekommen.

Da Schulen Orte gesellschaftlicher Debatten seien, lasse sich kaum vermeiden, dass sich dort Interessengruppen engagierten, sagt der Wissenschaftler Wong. Es gebe etwa die eine Seite, die sich gegen Rassismus und für mehr Gleichheit stark mache. Und dann gebe es die andere, die ihre Privilegien schützen wolle. An sich sei das nicht neu. Aber die Kapitol-Attacke habe den Ton verändert – und für viele drastischeres Verhalten legitimiert.

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