Selbstmordgedanken und Depressionen – aus Frust über den eigenen Körper?
Ein neuer «Body Image Report» aus Grossbritannien dokumentiert die Folgen von Werbung und Social Media aufs Selbstwertgefühl von LGBTIQ. Besonders negativ betroffen sind schwule und bisexuelle Männer
In Grossbritannien ist diese Woche ein neuer «Body Image Report» erschienen, herausgegeben von der Mental Health Foundation und vom Gesundheitsministerium. Die Studie ergab, dass ein Drittel aller LGBTIQs Selbstmordgedanken haben bzw. hatten wegen Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper.
Im März 2019 wurden insgesamt 4.505 Erwachsene und 1.118 Teenager befragt. Dabei waren «Sexualität» und «Gender» zwei zentrale Punkte, die berücksichtigt werden sollten. Das Ergebnis ist, dass zwar die meisten LGBTIQs mit den selben Problemen konfrontiert sind wie Menschen, die sich als heterosexuell identifizieren. Dennoch unterscheiden sich die Gruppen markant.
So gaben heterosexuelle Männer in grösserer Zahl an, mit ihrem Körper zufrieden zu sein, als schwule oder bisexuelle Männer. Forscher haben als Erklärung vorgeschlagen, dass es für sexuelle Minderheiten wahrscheinlicher ist, ein Körperideal verinnerlicht zu haben, in dem es darum geht, «athletisch» auszusehen, und dass es innerhalb der Schwulen-Community eine stärkere Gewichtung in Bezug auf die physische Erscheinung gibt – die sich negativ aufs Selbstwertgefühl auswirkt, wenn man diesem Ideal nicht entspricht oder entsprechen kann. Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass schwule Männer einen stärkeren Wunsch geäussert haben, «dünn» sein zu wollen.
Vorangegangenen Studien zu schwulen und bisexuellen Männern hatten ergeben, dass Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper verstärkt zu Depressionen führen kann, aber auch zu Versagungsängsten im sexuellen Bereich und zu einer niedrigen sexuellen Selbsteffizient.
Die neue Studie fast zusammen, dass extreme Körperideale – die uns täglich durch Werbung, Pornofilme, Instagram-Posts von Influencern oder durch Fotos von Menschen auf Facebook begegnen – verschiedene negative Auswirkungen haben. Menschen, die mit ihrem eigenen Körper unzufrieden sind, haben mehr Gesundheitsprobleme, kämpfen öfter mit Essstörungen und leiden an psychischem Stress.
Gay Macho Bezüglich LGBTIQ stellt die Studie fest, dass es eine deutliche Verbindung zwischen Sorgen-ums-eigene-Körperbild gibt und Selbstmordgedanken. 33 Prozent der befragten Erwachsenen gaben an, wegen ihres Körpers schon einmal solche Gedanken gehabt zu haben. Das sind mehr als doppelt so viele wie Heteros (11 Prozent).
Ebenso hoch sind die Zahlen in Bezug auf Angstgefühle und Depressionen, die unter LGBTIQ stärker verbreitet sind.
Sam Smith steht zu seinem Körper
Der Studie zufolge ist es wahrscheinlicher, dass heterosexuelle Männer mit ihrem eigenen Körper zufrieden sind als schwule, bisexuelle oder trans Männer. Daraus folgern die Forscher, dass sexuelle Minderheiten mit einem stärkeren Druck konfrontiert sind, einem bestimmten Körperideal zu entsprechen. Über die Macht von Körperidealen hatte bereits in den 1980er-Jahren Martin P. Levine das Buch «Gay Macho» herausgebracht, das beschreibt, wie in der schwulen Subkultur von New York City ein Körperideal aufkam, dass eine Genderkonformität verlangte, die sich an einem betont männlich-heterosexuellem Äusseren orientierte. Es entstand der sogenannte «Clone Look», der den zuvor in der Szene dominanten «Tuntenlook» verdrängte. Die «Clone»-Kultur zeichnete sich u. a. durch extreme Promiskuität aus – was in dem Slogan mündete: «Jetzt sind wir selbst die Kerle, mit denen wir ficken wollen» – und sie wurde von Martin Levine in Anbetracht der heraufdämmernden Aidskrise als «toxisch» bezeichnet. Ein Begriff, der uns heute in vielen anderen Zusammenhängen immer wieder begegnet. Denn natürlich war dieses Ideal und die Promiskuität damals toxisch für alle, die ausgeschlossen wurden, weil sie dem «Clone Look» nicht entsprachen.
Bei Frauen ist die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper interessanterweise bei allen sexuellen Orientierungen gleich, es gibt also dort laut neuer Studie keinen Unterschied zwischen Heteros und LGBTIQ.
Minderheitenstress Die Studie weist auf «Minderheitenstress» hin, bestehend aus Diskriminierung, Schikanen und Viktimisierung, ausserdem gehen die Forscher auf verinnerlichte Schamgefühle ein. All das zusammen beeinflusst unser Verhältnis zum eigenen Körper. Die Umfrage ergab, dass 40 Prozent aller LGBTIQ Scham empfinden wegen ihres Körpers, 54 Prozent gaben an, an niedrigem Selbstwertgefühl zu leiden. Diese Zahlen sind deutlich höher als bei Heteros.
In einer Zusammenfassung schlägt die Studie vor, dass Gesundheitsbehörden einen stärkeren Fokus auf LGBTIQ legen sollten und sich mit der Bekämpfung von Minderheitenstress auseinandersetzen sollten. Die Frage wäre allerdings: wo anfangen?
Wie zufrieden bist Du mit Deinem Körper?
Insgesamt stellte die Studie fest, dass 21 Prozent der Erwachsenen aufgrund von Werbung fanden, dass mit ihrem Körper etwas nicht stimmt. 22 Prozent der Erwachsenen und 40 Prozent aller Teenager gaben an, wegen Bildern, die sie in sozialen Medien sehen, mit dem eigenen Körper unglücklich zu sein. Wenn man auch hier davon ausgehen kann, dass die Zahlen bei schwulen und bisexuellen Männern markant höher ausfallen, wird das ganze Ausmass des Problems deutlich.
Ein Versuch, das gängige Körperideal in der Schwulenszene zu durchbrechen stellte diese Woche eine Unterhosenmodenschau der britischen Firma Box & Scandal dar, die sich zum Ziel gesetzt hat, unrealistische männliche Schönheitsstandards in der Werbung zu bekämpfen mit dem Slogan «So unsexy it’s sexy». Die Models trugen nur Tiermasken und Unterhosen. Dazu hielten sie Schilder mit Aufschriften hoch wie «Make Love Handles Not War».
Ein Amateur-Model wollte seinen Körper zeigen, nachdem er unlängst Prostatakrebs überwunden hatte, jemand anderes wollte sich entblössen, «nach Jahren von Selbsthass wegen seines Aussehens». Der Besitzer der Firma Box & Scandal, Rob Nicholson, sagte einem britischen LGBTIQ-Nachrichtenportal: «Es ist unglaublich wichtig, dass wir etwas tun gegen die unrealistische Art und Weise, wie Männer in den Medien dargestellt werden, hier ist die Unterwäschebranche sicherlich einer der schlimmsten Sünder.» Und das gilt ganz besonders für die Unterhosenwerbung im schwulen Lifestyle-Bereich, Werbung, die in schwulen Medien weltweit allgegenwärtig ist.
Diversität & Inklusivität Nicholson sagt: «In jüngerer Vergangenheit gab es im Bereich von Frauenmode Kampagnen, um mehr Diversität zu zeigen und echte Frauenkörper zu porträtieren, die nicht mit Photoshop nachbehandelt wurden. Doch obwohl die Selbstmordrate bei Männern ein grosses und wachsendes Problem ist, zeigt bei Männern niemand mit dem Finger auf die Medien und Werbeindustrie, wie das bei Frauen geschehen ist.»
Nicholson dankte der Manchester Fashion Week, die diese Woche stattfand, wo man sich explizit dafür einsetzte, Models zu engagieren, die möglichst viele ethnische Gruppen repräsentieren, Menschen mit Behinderungen einzubeziehen und Menschen aus der LGBTIQ-Community auf den Laufsteg zu holen. Man darf gespannt sein, ob sich die Modebranche im deutschsprachigen Bereich dies als Vorbild nehmen wird.
Man kann den «Body Image Report» gratis als PDF herunterladen.
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